Mittwoch, 4. Oktober 2006

Aggressive Gesellschaften auf der Psychocouch


Terror und Krieg, Unterdrückung und Gewaltausbrüche sind nicht die Ursachen, sondern sind die Symptome für gesellschaftliche Krankheitszustände. So sehen es die kritische politische Psychologie und die mit ihr verbundene Psychohistorie. Typische Vertreter dafür sind Arno Gruen, Horst-Eberhard Richter, Alice Miller und – als Begründer der Psychohistorie – der amerikanische Politikwissenschaftler und Psychoanalytiker Lloyd deMause. Er kritisiert die traditionelle Geschichtswissenschaft und das traditionelle Denken in den Sozialwissenschaften, DeMause will historische Vorgänge durch eine methodisch begründete Analyse der bewußten und unbewußten psychologische Motive der geschichtlich Handelnden begreifen. Das bringt ihm von Seiten der etablierten Wissenschaften, die sein Vorgehen unwissenschaftlich finden, heftige Kritik und Ablehnung der Psychohistorie ein. Doch wer die Herangehensweise, die Erkenntnisse und die Perspektiven verfolgt, die deMause entwickelt, wird seinen psychohistorischen Ansatz zweifellos ergiebig und bereichernd finden.

In seinem neuen Buch über »Das emotionale Leben der Nationen«, das sein Denken glänzend zusammenfaßt, beantwortet deMause die Frage, warum es zu kriegerischen und terroristischen Ereignissen kommt und wie Kriege und Gewaltpotential überwunden werden können. Der Golfkrieg wird von ihm als »emotionale Störung« beschrieben. Sie hat damit zu tun, daß eine bestimmte in der Nation untergründig vorhandene Bereitschaft auf einen ebenso gewaltbereiten Anführer trifft. Die nationale Bereitschaft wird dabei durch den gleichen Anführer oder seine Vorgänger herbeigeführt. Ronald Reagans Kindheit war »ein Albtraum von Vernachlässigung und Mißbrauch, in seinem Fall beherrscht von einer religiös besessenen Mutter und einem gewalttätigen Alkoholiker-Vater«, der ihn mit dem Stiefel zu treten pflegte und ihn und seinen Bruder verdrosch. George H. Bush wurde von seinem Vater regelmäßig mit einem Gürtel oder Rasierabziehriemen auf den Hintern geschlagen. Permanente Angst vor dieser Situation wurde zum ständigen Lebensbegleiter. Dieser Disposition von Persönlichkeiten entspricht auf der anderen Seite eine vorhandene oder herbeigeführte Disposition der nationalen Stimmung. So gehen bestimmte Formen der Kindererziehung und ihre Traditionen mit bestimmten kollektiven Stimmungen und Gefühlen der Depression, der Schuld, der Angst, der Panik vor der Strafe eine Verbindung ein, die in Krieg, Terror und Gewaltanwendung ihr Ventil und ihre Fortsetzung finden. Sie wurzeln ihrerseits in schweren Defekten, Belastungen und Mißbräuchen, also in seelischen Verwundungen (Traumata) der Kindheit.

DeMause beschreibt die «Wiederaufführung früher Traumata in Krieg und sozialer Gewalt« eingehend und überzeugend. Passagenweise erspart deMause den Lesern nicht eingehende Beschreibungen körperlicher und seelischer Gräuel, die in der Vergangenheit bis heute Kindern angetan werden. Das Votum für Hitler wird begreifbar als Wahl eines phallischen Führers in einer depressiven Zeit. Das Töten von Behinderten, Juden, Sinti und Sozialisten versteht deMause als Ausdruck einer manischen Phase, in der »nutzlose Esser« beseitigt werden, damit die Täter von nichts und niemandem aufgehalten und verunsichert werden können. So ziehen Gruppen und Nationen in den Krieg, um sich für erlittene Kindheitstraumata zu rächen und sich von Gefühlen eigener Sündhaftigkeit zu befreien – »in der Hoffnung auf Reinigung und Wiedergeburt durch die Opferung dessen, was den ›schlechten‹ Teil ihres Selbst repräsentiert«. Auch das Christentum spielt hier eine unrühmliche Rolle. Wenn es gelänge, Eltern darin zu unterstützen, ihren Kindern liebevoller und einfühlender zu begegnen, dann ließe sich die Gewalt eindämmen und die Ablehnung von Krieg und Terror vermitteln. Doch das verlangt »Investitionen in das wahre Vermögen der Nationen«. Kostenlose Elternschaftszentren, kostenlose universale Schulen, Respekt vor Kindern: Das und nicht der Antiterrorkrieg würde unsere Welt sicherer machen.


Das Buch ist über den Publik-Forum-Bücherdienst zu beziehen, Best.-Nr. 7368

Eröffnungsrede von Dr. Norbert Copray | Deutscher Fairness Preis 2011 [7:17]

Veröffentlicht am 07.05.2012

Eröffnungsrede zur Verleihung des Deutschen Fairness Preises an Thomas Jorberg und des Fairness-Initiativpreises an Lobbycontrol e.V. am 29. Oktober 2011 in Frankfurt am Main

aktualisiert am 17.06.2016