Sonntag, 18. März 2007

Gesund alt werden, dann schnell sterben - ist das eine Illusion?

Von Hanno Kautz

Manche Binse ist nur scheinbar eine. Etwa die, dass die Alterung der Gesellschaft die Gesundheitskosten in die Höhe treibt. Wissenschaftler können sich darüber jedenfalls trefflich streiten. Doch Verfechter der These, dass die Menschen künftig nur länger gesund bleiben, aber keine höheren Kosten verursachen, erhalten jetzt einen Dämpfer: Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherung (WIP) belegt erstmals anhand größerer Datenmengen, dass Alter kostet.

Wenn Gesundheitsministerin Ulla Schmidt über den demografischen Wandel spricht, versucht sie aus dem scheinbaren Problem eine gute Botschaft zu machen: "Wir werden alle älter." Hoffnung auf Krankheit vermeidende Medizin. Dass diese Erkenntnis nicht zwangsläufig den Zusammenbruch der Sozialsysteme bedeutet, davon ist die Ministerin überzeugt. Es komme nicht darauf an, dass wir älter werden, sondern wie, sagt sie dann. Auch Gesundheitsökonomen wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach glauben das. Die Ministerweisheit firmiert in der Wissenschaft unter dem Namen Kompressionsthese. Die besagt, dass die Menschen ihre durch den demografischen Wandel und den medizinisch-technischen Fortschritt gewonnenen Jahre überwiegend in Gesundheit verbringen. Moderne Medizin - und auch Prävention - führe dazu, dass die letzte Zeit vor dem Tod, die von Krankheit begleitet ist, schrumpft und deshalb weniger kostenträchtige medizinische Interventionen notwendig macht. Diese These ist politisch angenehm. Denn sie hilft, sich um einen radikalen Umbau der Gesundheitsfinanzen zu drücken: Wo es kein Problem gibt, muss es auch keine Lösung geben.

Doch auch diese Ausrede könnte reformmüden Politikern jetzt abhanden kommen. Denn eine neue, bislang noch nicht veröffentlichte Studie des Wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherung, die der "Ärzte Zeitung" vorliegt, belegt das Gegenteil: In fast allen Altersklassen wird das Gesundheitssystem durch die Alterung der Gesellschaft und den medizinischen Fortschritt teurer. Auch für diese These gibt es einen Namen: Medikalisierung. Und: Vor allem im Alter wachsen die Ausgaben für Medizin Jahr für Jahr besonders kräftig. Kostendämpfung in der GKV ist wirksam Untersucht hat das PKV-Institut die Gesundheitsausgaben von 1,2 Millionen privat versicherten Beamten im Zeitraum von 1995 bis 2004. Abgeglichen wurden diese Zahlen mit den Daten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) aus dem Risikostrukturausgleich der Jahre 1998 bis 2004. In beiden Systemen sind danach die Gesundheitsausgaben für fast alle Altersklassen gestiegen. In der PKV ist der Beleg für die Medikalisierungsthese allerdings deutlicher. Hier lag der durchschnittliche Ausgabenanstieg über alle Altersklassen hinweg pro Jahr bei rund drei Prozent - das sind 1,6 Prozentpunkte über der Inflationsrate. Am meisten sind die Ausgaben für ältere Menschen gestiegen. Für privat versicherte Beamte wurde im Jahr 2004 im Durchschnitt aller Altersgruppen 325 Euro und für Beamtinnen 472 Euro mehr als 1995 ausgegeben. Beamte im Alter zwischen 80 und 84 Jahren verursachten dagegen 2124 Euro und Beamtinnen im selben Alter 1815 Euro Mehrkosten. Deutlich wird der Ausgabenanstieg besonders im ambulanten Bereich. Dort lag der jährliche Kostenzuwachs bei über 50-jährigen bei mehr als vier Prozent. Im stationären Bereich pendelte sich das Ausgabenplus dagegen ungefähr auf der Inflationsrate ein.

Erklärt werden kann dieser Unterschied zwischen den Sektoren damit, dass Patienten inzwischen immer früher aus dem Krankenhaus entlassen werden. 1995 lag die durchschnittliche Verweildauer in der Klinik noch bei 11,4 Tagen, im Jahr 2004 nur noch bei 8,7 Tagen. Dass der Medikalisierungseffekt in einem stark regulierten System wie der GKV sehr viel geringer ausfällt als in der PKV, belegen die Zahlen aus dem Risikostrukturausgleich. Danach hat die GKV für über 70-jährige im Jahr 2003 nur rund 500 Euro mehr ausgegeben als noch 1998. Und als im Jahr 2004 das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) in Kraft trat, sanken die Ausgaben sogar um rund 100 Euro für diesen Personenkreis. "Das Ergebnis der Studie ist insgesamt aber so eindeutig, dass man die Notwendigkeit, auf die demografische Entwicklung zu reagieren, nicht mehr ignorieren kann", meint der Leiter des PKV-Instituts Christian Weber. Bislang habe die Politik die Folgen einer alternden Gesellschaft immer versucht zu verharmlosen oder zu verdrängen. Das sei jetzt nicht mehr möglich.

FAZIT:
Die Hoffnung, dass es gelingt, den Menschen mit Prävention und moderner Medizin zu einem langen Leben in Gesundheit zu verhelfen, ist trügerisch. Eher leben die Menschen dank Medizin länger - aber mit Krankheiten. Und das kostet Jahr für Jahr zusätzliches Geld. Die Dynamik ist in der PKV - mangels wirksamer Kostenbegrenzungsmöglichkeiten - deutlich größer als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dort könnte aber Kostendämpfung auch in Rationierung umschlagen. (HL)

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Es ist wirklich immer wieder erstaunlich, für was heute Geld ausgegeben wird. Heute abend habe ich im Weltspiegel einen Bericht über Irakkrieg-Veteranen gesehen. Ein alter Vietnamkrieg-Veteran berichtete, er sei als Berater des US-Militärs im Irak gewesen und habe entsetzt festgestellt, wie wenig die Soldaten über Guerillakrieg wußten. Es gebe viele Beispiele aus der Geschichte, berichtete er, in denen gut ausgebildete Armeen der Guerillakriegführung hilflos gegenübergestanden hätten. Der US-Verteidigungsminister, dem er darüber berichtete, habe von seinen Einwänden nichts wissen wollen und ihn lächerlich gemacht. Er leide wohl an einem Vietnamkriegs-Syndrom.
Ein Veteran aus dem Irakkrieg meinte, in Vietnam sei Amerika ohne adäquate geheimdienstliche Aufklärung in einen Krieg hineingestolpert, und jetzt sei dies wieder passiert. Irgendwoher kenne ich den Spruch: »Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen.« (Das gilt übrigens auch für die Psyche.)

Was ich damit sagen will? Es gibt genügend Situationen, in welchen politisch Verantwortliche bestimmte Dinge nicht wissen wollen. Und das Gesundheitswesen, konfrontiert mit einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft, kann einfach nicht billiger werden. Das hat schon Ivan Illich 1976 in seinem Buch »Die Nemesis der Medizin« geschrieben. Aber damals waren die Renten ja noch sicher. Das mit dem Teurerwerden der Medizin wollte damals keiner wissen. Damals wollte auch keiner was von Problemen mit Amalgamfüllungen wissen.

Ziehen wir uns also warm an und wählen Politiker, die uns mit unangenehmen Wahrheiten konfrontieren anstatt uns einzulullen.