Mittwoch, 10. Oktober 2007

Die wundersame Wandlung des Tiziano Terzani

In der Osho-Times hat Satyananda alias Jörg Andrees Elten einen Nachruf auf den bekannten italienischen Starreporter geschrieben. Damit der Text nicht verlorengeht (wahrscheinlich ist er nur einen Monat lang auf der Seite), hab’ ich ihn hierher kopiert:

Klartext
Der Namenlose

Die wundersame Wandlung des Tiziano Terzani
von Satyananda

Wo immer er auftauchte, war er der Mittelpunkt. Einsneunundachtzig groß, schlank, athletisch, pechschwarze Lockenmähne, dazu ein frech geschwungener Schnurrbart und stets von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet. Unter seinen Kollegen, den Asien-Korrespondenten der Weltpresse, nahm er sich aus wie ein Papagei im Spatzenschwarm: Tiziano Terzani, Arbeiterkind aus Florenz, der es zum Korrespondenten des „Spiegel“ und zu einem der angesehensten Asienkenner gebracht hatte. Ein robustes Ego, ein wunderbarer Selbstdarsteller.
Im Vietnamkrieg und in Kambodscha war er immer ganz vorne dran und vertraute auf seine Schutzengel. Als die Vietkong zum Sturm auf Saigon ansetzten und die meisten westlichen Ausländer in Panik die Stadt verließen, flog Terzani in letzter Minute aus Bangkok ein, um den Einmarsch der roten Kämpfer hautnah zu erleben. Dabei stand er noch unter dem Schock eines Ereignisses, das ihn zwei Wochen vorher fast das Leben gekostet hätte: In Kambodscha hatten ihn ein paar halbwüchsige Kämpfer der Roten Khmer festgenommen, an die Wand gestellt und ihm eine Stunde lang ihre Revolver auf Augen, Mund und Nase gedrückt – bis endlich ihr Kommandeur auftauchte und den „Spiegel“-Korrespondenten laufen ließ.

Raus aus dem Society-Ghetto
Terzani konnte nicht wissen, was die Vietkong in Saigon mit ihm machen würden. Er wusste nur, dass er bei einem der größten Ereignisse in der Geschichte Asiens einfach dabei sein musste – dem Ende des Kolonialismus. Seine Reportage über die letzten Stunden von Saigon wurde zum Klassiker.
Um bei der Geburt des neuen China dabei zu sein, zog Terzani mit seiner Familie von Hongkong nach Peking um. Er und seine Frau Angela sprachen fließend Chinesisch. Die beiden Kinder lernten die Sprache auf einer chinesischen Schule. Das hatte es noch nie gegeben: dass ein westlicher Ausländer im Reich Mao Tse tungs seine Kinder auf eine chinesische Schule schickte! In Peking blieben westliche Diplomaten, Geschäftsleute und Journalisten ohne soziale Kontakte zu den Einheimischen ganz unter sich – in einer Art Ghetto. Terzani wollte raus aus dieser Ghetto-Routine mit ihren ewigen Cocktail- und Dinnerpartys.
Manchmal startete er mit seiner Frau und den Kindern zu spontanen Ausflügen aufs Land. Sie hievten ihre Fahrräder in den Zug, stiegen irgendwo aus, radelten los und sprachen mit Menschen, die noch nie einen Ausländer gesehen hatten. Für den Geheimdienst waren diese verbotenen Eskapaden des Reporters eine Provokation. Aber es dauerte immerhin fünf Jahre, bis sie die Geduld verloren und ihn verhafteten. Vier Wochen musste er im Gefängnis schmoren, dann wurde er abgeschoben.
Terzani hatte einst davon geträumt, dass Mao den Neuen Menschen in einem neuen China der Gerechtigkeit und Brüderlichkeit schaffen werde. Der Traum war verflogen. Der Reporter wusste nun, dass Bewusstseinsveränderung nicht durch ideologische Parolen von oben kommen kann, sondern eine Herausforderung für jeden einzelnen Menschen ist. Langsam verschob sich der Fokus des Reporters von der Politik zur Spiritualität, von der Logik zur Intuition, vom Kopf zum Herzen.

Abschied vom Journalismus
Eines Tages prophezeite ihm ein Wahrsager in Hongkong den Tod, wenn er im Jahre 1993 mit dem Flugzeug fliegen würde. Ein Reporter, der nicht fliegt? Unmöglich!
Aber Terzano ließ es darauf ankommen und eröffnete seinem Chefredakteur, dass er ein Jahr lang kein Flugzeug benutzen werde. Der Chef reagierte weise: „Tun Sie, was Sie für richtig halten!“ So durchbrach der Asienkorrespondent die sterile Routine von Flugzeug – Taxi – Hotel – Taxi – Flugzeug und stieg um auf Bahn, Mietwagen, Eselskarren, Fahrrad und Schiff. Seine Entschleunigung schärfte seine sinnliche Wahrnehmung und verband ihn mit den zeitlosen Kräften, die unter der Oberfläche des Tagesgeschehens wirken. Es war praktisch der Abschied vom Journalismus, aber das ahnte der Reporter damals noch gar nicht.
Der Abschied kam erst, als ein Arzt in Bologna den inzwischen Sechzigjährigen mit der Botschaft überraschte: „Signor Terzani, Sie haben Krebs!“ Terzani reagiert kühl und radikal – bricht alle Kontakte ab, außer zu seiner Familie, und nimmt den Kampf gegen den Krebs auf. Sein erster Kriegsschauplatz ist eine weltberühmte Krebsklinik in New York, eine Kultstätte der modernen westlichen Medizin. Terzani kommt sich vor wie in einer erstklassigen Reparaturwerkstatt. So nennt er seine Ärzte „meine Instandsetzer“. Sie operieren seinen Krebs – mit Erfolg. Terzani erholt sich, kehrt nach Asien zurück und macht sich auf die Suche nach den Quellen einer Heilkunst, die den ganzen Menschen einbezieht – nicht nur den Körper, sondern auch Geist und Seele.

Auf schwankendem Boden
Eine berühmte ayurvedische Klinik ist sein erstes Ziel. Danach geht es weiter zu mehr oder weniger bekannten Heilern, Wahrsagern, Gurus, Schamanen, Scharlatanen, aber auch zu seriösen Ärzten, die Medikamente aus wundersamen Heilkräutern und Kuhpisse herstellen. Terzani begegnet ihnen mit unvoreingenommener Neugierde und Respekt. Einerseits weiß er, dass ihm der „Realismus der Vernunft nicht mehr genügt“. Andererseits sind ihm Mystizismus und Spiritualität unheimlich, weil sie ihm „zu undefiniert, zu subjektiv und zu parteiisch“ erscheinen. Terzani: „Ich hatte das Gefühl, mich auf schwankendem Boden zu bewegen.“
Aber für eine Umkehr auf den scheinbar sicheren Boden der wissenschaftlich begründeten Realität war es schon zu spät. Als er zur Nachuntersuchung nach New York zurückkehrt, entdecken seine „Instandsetzer“, dass der Krebs Metastasen gebildet hat. Terzani lehnt Chemotherapie ab. Einer der Instandsetzer kommentiert lapidar: „Wenn Sie in einem halben Jahr noch leben, gehen Sie in die Geschichte der Medizin ein.“ Das war’s.

Was bleibt übrig?
Jetzt beginnt die interessanteste Etappe auf der letzten Reise des Reporters. Terzani sucht seinen „inneren Frieden“ und bereitet sich auf den Tod vor. Das Abenteuer beginnt mit der klassischen Frage aller spirituellen Sucher: „Wer bin ich?“ – „Mein Name, mein Beruf, meine Herkunft, all das, was ich einst herangezogen hätte, um mich zu beschreiben, gehörte nicht mehr zu mir“, schreibt er in seinem Buch „Noch eine Runde auf dem Karussell“. Und er fragt sich bang: „Was bleibt von mir ohne meinen Namen, ohne all das, woran ich mein ganzes Leben lang so hartnäckig gearbeitet habe?“
Auf der Suche nach einer Antwort tritt er als ein shisha (einer, der zu lernen würdig ist) in den Aschram eines Swamis ein, der von seinen Anhängern als Guru verehrt wird. Der gibt ihm den Namen Anam (der Namenlose). Drei Monate lang lässt er sich in Heiligen Schriften unterweisen, singt alte vedische Gesänge und Mantras und schweigt. Das Leben im Aschram ist spartanisch. Die Überwindung von Begierden gehört zu den hauptsächlichen Gesprächsthemen unter den Aschramiten. In Pune hätte es Terzani sicher besser gefallen. Aber Osho hatte seinen Körper schon verlassen.

Die Einsamkeit einer Berghütte
Der Abschied vom Aschram fällt Terzani letztlich nicht schwer. Das Gerangel der Jünger um die vorderen Sitze im Satsang und ihre kleinen Eifersüchteleien irritieren ihn. Er verehrt seinen Swami, aber Hingabe kommt für ihn nicht infrage. So zieht er sich lieber in die Einsamkeit einer Berghütte im Himalaja oberhalb von Almora zurück. Da ist die erhabene Kulisse schneebedeckter Achttausender, die wilde Ursprünglichkeit der Natur, der Gesang exotischer Vögel, die pralle Farbenpracht tropischer Pflanzen, der Bergleopard, der die Hütte umkreist, und da ist die kleine Maus, die Terzani, der Einsiedler, jeden Abend füttert, damit sie ihm nicht seine Vorräte wegknabbert. Er ernährt sich von Reis, Bohnen, Gemüse und Obst. Das Wasser holt er von einer Quelle. Schlag fünf Uhr morgens zündet er eine Kerze an und meditiert. Dann wandert er zu einem Felsen und begrüßt dort oben hoch über dem Tal die aufgehende Sonne.
Manchmal begegnet er einem anderen Einsiedler, einem alten Inder, der ein zweites Haus in der Nähe bewohnt. Terzani nennt ihn „Der Alte“. Der wird sein spiritueller Lehrer. Terzani fragt und Der Alte antwortet. Als Terzani nach einem kurzen Ausflug in die Welt mit einer kleinen Solaranlage und einem Laptop in die Einsamkeit zurückkehrt, um sein letztes Buch zu schreiben, schaut ihn Der Alte lächelnd an und fragt: „Für wen schreibst du das Buch? Für dein Ego?“ Terzani überlegt und sagt: „Eine gute Frage.“
Fast drei Jahre später, als das Buch „Noch eine Runde auf dem Karussell“ fertig ist, hat Terzani gefunden, wonach er gesucht hat: den inneren Frieden. Jetzt kann er in sein Haus in der Toskana zurückkehren und den Tod als Freund begrüßen. Am Ende einer langen Serie von Gesprächen mit seinem Sohn Folco, die später unter dem Titel „Mein Ende ist mein Anfang“ erscheint, fragt Folco seinen Vater, ob er nicht die Absicht habe, als Erleuchteter zu wirken. Terzani winkt ab: „Ich bin nichts als ein einfacher Mensch, der seine Bücher geschrieben, hier und da ein wenig genascht und dabei jede Menge Erfahrungen gesammelt hat …“
Tiziano Terzani starb 2004 mit 65 Jahren.
aus der Osho-Times vom Oktober 2007


»Fairer Kaffee im Stadtrat«

Wie können Städte anders einkaufen? Fragen an Dagmar Vogt-Sädler, Leiterin des Umweltamtes von Neuss
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Von Annette Jensen

Publik-Forum: Die 130 000-Einwohner-Stadt Neuss gilt als Modell für fairen Einkauf. Was machen Sie anders als andere deutsche Kommunen?
Dagmar Vogt-Sädler: Seit 1991 wird auf den Rats- und Ausschusssitzungen fairer Kaffee ausgeschenkt. Und sobald es Schokolade, Fußbälle und so weiter mit dem Transfair-Siegel gab, haben wir die auch eingekauft. Bei diesen Produkten gibt es die Garantie, dass sie ohne Ausbeutung hergestellt wurden. Aber bei vielem, was wir brauchen, existiert kein solches Siegel. Das gilt zum Beispiel für Dienstkleidung, Leder- oder Spielwaren. Deshalb hat Neuss Anfang 2006 als erste Stadt im Bundesgebiet beschlossen, nur noch Produkte – sofern verfügbar – zu berücksichtigen, die unter Beachtung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation hergestellt wurden.

Publik-Forum: Gewerkschaftsfreiheit gibt es in China nicht, und demnach dürfte Neuss dort auch nichts einkaufen.
Vogt-Sädler: Das sehe ich nicht so. Zwar hat China die entsprechende ILO-Norm nicht unterzeichnet. Aber es gibt ja Unternehmen in China, die in ihren Produktionsstätten Versammlungs- und Verhandlungsfreiheit erlauben. Und eine verstärkte Nachfrage in diese Richtung kann den Weg ebnen, dass die Einhaltung aller ILO-Normen in China gefördert wird.

Publik-Forum: Gab es auch kritische Stimmen, die sagten: Das alles kann eine Stadt wie Neuss doch gar nicht überprüfen?
Vogt-Sädler: Der Beschluss des Rates war einstimmig und wurde ohne eine lange Debatte gefasst. Natürlich kann es nicht unsere Aufgabe sein, selbst nach China zu fahren und die dortigen Betriebe zu inspizieren. Aber viele deutsche und europäische Unternehmen haben ja auch schon einen Verhaltenskodex, der sich in der Regel auf die Kernarbeitsnormen stützt und oft sogar die Forderung nach Mindestlöhnen beinhaltet. In solchem Fall erwarten wir, dass eine unabhängige Organisation die Einhaltung von solchen freiwilligen Selbstverpflichtungen bestätigt.

Publik-Forum: Rechnen Sie mit höheren Einkaufskosten für die Kommune?
Vogt-Sädler: Die Beachtung von Sozialstandards verteuert die Produkte nicht unbedingt. Der Anteil der Arbeitskosten am Verkaufspreis liegt ja bei nur ein bis fünf Prozent. Natürlich verursachen die Kontrollen durch unabhängige Gutachter zusätzliche Kosten. Doch auch das hält sich in überschaubarem Rahmen.

Publik-Forum: Was passiert, wenn die Angaben der Lieferanten falsch waren? Gibt es eine »schwarze Liste«?
Vogt-Sädler: Zurzeit gibt es noch keine solche Liste. Falsche Angaben würden aber grundsätzlich Zweifel an der Zuverlässigkeit des Unternehmens begründen und sind insofern ein Ausschlusskriterium von der Vergabe. •

aus Publik-Forum 18/2007