Montag, 19. November 2007

Armut und Gesundheit

Das Deutsche Ärzteblatt legt in der Nr. 43 aus dem Oktober 2007 den Schwerpunkt auf den Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit.

das Editorial:

Priv.-Doz. Dr. med.
Christopher Baethge
Leiter der Medizinisch-Wissenschaftlichen Redaktion


Dieses Heft steht im Zeichen der Armut. Es ist ein Schwerpunktheft über den Zusammenhang von sozialer und gesundheitlicher Lage. Die Akuität vieler Leiden und die prompten Erfolge vieler Interventionen überlagern manchmal, dass Erkrankungen oft genug eine lange Geschichte sozialer Probleme vorausgeht. Je weiter wir jedoch zurücktreten, desto offensichtlicher wird das Wechselspiel zwischen Lebensbedingungen und Krankheit. Dies zeigt sich besonders bei Kindern: Thomas Lampert und Bärbel-Maria Kurth etwa demonstrieren in ihrem Artikel mit den Daten des deutschen Kinder- und Jugendgesundheitssurveys die enge Assoziation von niedrigem sozialen Status mit Übergewicht und psychischen Auffälligkeiten (Seite 2944).
Unser Schwerpunktheft ist Teil einer gemeinsamen Aktion internationaler medizinischer Zeitschriften, die in ihren aktuellen Ausgaben über Armut und Gesundheit berichten: Global Theme Issue on Poverty and Human Development. Das Council of Science Editors, eine internationale Organisation von Wissenschaftsredakteuren, organisiert in diesem Jahr bereits die dritte Themenausgabe, um einem weltweiten Problem den gebührenden Platz einzuräumen. 1996 hatten mehr als 200 Artikel in 36 Fachblättern die Aufmerksamkeit auf die globale Bedrohung durch Infektionen gelenkt, ein Jahr später widmeten sich schon fast 100 Redaktionen dem Thema Altern. In dieser Woche nehmen mehr als 230 Zeitschriften teil, von JAMA und Nature über das Ghana Medical Journal bis zum Icelandic Journal of Nursing. Das Deutsche Ärzteblatt beteiligt sich zum ersten Mal – und als einzige deutschsprachige Fachzeitschrift.
Sunna Gieseke schildert ab Seite 2930 die Praxis des Sankt-Bonifaz-Klosters in München, die sich der Versorgung Obdachloser angenommen hat. Noch umfassender versucht der freie Trägerverein „Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.“, über den Heike Korzilius berichtet, die Bewohner der Obdachlosensiedlung „Zwerchallee“ in Mainz zu unterstützen: Gesundheitserziehung, Ernährungs- und Impfberatung, Sport, Entspannungsübungen zur Gewaltprävention – diese Programme sollen die Obdachlosen in die Lage versetzen, sich zu helfen (Seite 2918).
Wir wissen sicher, dass Arbeitslosigkeit und Krankheit überzufällig häufig gemeinsam auftreten, aber: Macht Arbeitslosigkeit krank oder macht Krankheit arbeitslos? Dieser Frage gehen Andreas Weber und seine Koautoren in ihrer Übersichtsarbeit nach (Seite 2957). Wie das Zusammenspiel zwischen Arzt und Gutachter der Arbeitslosenversicherung im Sinne des arbeitslosen Patienten verbessert werden kann, erklärt die Autorengruppe um Walther Heipertz, dem leitenden Arzt der Bundesagentur für Arbeit (Seite 2925). Viviane Brunne vom Kompetenznetz HIV/AIDS rechnet vor, dass die Immunschwächekrankheit auch Volkswirtschaften schädigt (Seite 2932).
Die Säuglingssterblichkeit liegt in Deutschland mit circa vier pro 1000 Geburten auf einem international niedrigen Niveau. Dennoch, und darauf weisen Oliver Razum und Jürgen Breckenkamp hin (Seite 2950), findet sich auch bei uns ein Sozialgradient: Für ausländische Neugeborene liegt etwa in Nordrhein-Westfalen die Sterblichkeit mehr als doppelt so hoch wie für deutsche. Ganz besonders dramatisch ist die Lage allerdings in vielen armen Staaten. Unsere Autoren zeigen in ihrem internationalen Vergleich, welche Faktoren eine hohe Kindersterblichkeit bedingen.
„Armut und Gesundheit“ – ein regionales und ein globales Thema, eine Herausforderung für die Gesellschaft und für den einzelnen Arzt. Ich würde mich freuen, wenn die Beiträge unseres Schwerpunktheftes Ihr Interesse fänden.

Link zur Global theme issue:
www.councilscienceeditors.org/globalthemeissue.cfm