Donnerstag, 2. Oktober 2008

Jörg Andrees Elten über Barack Obamas Wahlkampf

Ich hab’ den Text hier eingestellt, weil er in wenigen Wochen wieder von der Osho-Times-Seite runtergenommen werden wird. Er stammt von dem STERN-Trauma Jörg Andrees Elten.


"Barack Obama ist der erste Kandidat, der das Internet auf eine unglaublich intelligente, kreative und effiziente Weise als Tool für die Organisation einer modernen Basisdemokratie einsetzt. Aus der Anonymität der Masse tritt das Individuum hervor und beteiligt sich über das Internet an der politischen Aktion und Diskussion. Während wir im Begriff sind, vom Zeitalter der Kohle und des Erdöls Abschied zu nehmen und das Zeitalter der Sonnenenergie einzuläuten, beginnt auf der politischen Ebene das Zeitalter der Internet-Demokratie."


Klartext
E-Mails von Barack

Der Präsidentschaftskandidat Barack Obama spielt virtuos mit dem Internet

von Satyananda

Es fing damit an, dass ich seine Webseite besuchte. Seither schreibt mir der amerikanische Präsidentschaftskandidat Barack Obama gelegentlich E-Mails. Er nennt mich Andrees und unterschreibt mit Barack. Neulich schrieb er mir zum Beispiel: „Andrees, du weißt vielleicht, dass ich zehn Leute nach Denver eingeladen habe, damit sie mit mir hinter den Kulissen des Parteitags der Demokraten zusammen sein können – Ich möchte dir gerne ein bisschen was über sie erzählen …“
Und so erzählte mir Barack etwas von lauter netten Leuten – Weißen, Schwarzen, Latinos, Alten und Jungen. „Jeder von ihnen“, schrieb er, „bringt seine oder ihre einzigartigen Erfahrungen und Ideen ein, und was alle eint, ist ihre Begeisterung für Wandel und Neuanfang.“

„Wir zählen auf Dich!“
Obamas Wahlkampfmanager David Plouffe hatte mir schon vorher mitgeteilt, dass Barack seine zehn Gäste auf dem Wege einer Lotterie auswählen werde. Mit einer Wahlkampfspende von fünf Dollars könnte ich mitmachen. Am Ende der E-Mail gab es einen grünen Knopf mit der Aufschrift DONATE. Also klickte ich DONATE an und stellte fest, dass ich Barack aus dem Ausland kein Geld schicken kann – jedenfalls nicht online.
Aber ich blieb am Ball. Neulich schrieb mir David: „Andrees, am nächsten Sonnabend geben mehr als 1000 Obama-Freunde in ganz Amerika eine Unite for Change-Party. Einfache Leute öffnen ihre Häuser für Freunde, Verwandte, Nachbarn und Kollegen, um mit ihnen über unser gemeinsames Ziel zu diskutieren. Eine ‚Unite for Change‘ Party zu geben, macht Spaß. Wenn du willst, werden wir dir bei der Vorbereitung helfen. Willst du?“
Natürlich ging Davids Brief nicht nur an mich, sondern an Millionen von Obama-Fans. Trotzdem fühlte ich mich angesprochen, als ich las: „We're counting on you, Andrees, to keep the ball rolling through November!”
Am Ende der E-Mail gab es wieder einen Knopf – diesmal mit der Aufschrift HOST GUIDE (Gastgeber-Tipps). Jetzt landete ich in Obamas „Aktionszentrum“. Zunächst las ich einige Zitate. Lynn schrieb zum Beispiel: „Es geht nicht darum, ob du Demokrat oder Republikaner bist. Es geht darum, unser Land aus den Klauen der Lobbyisten und der Konzerne zurückzuerobern.“ Und Teresa: „Wir sind wie eine Familie. Wir halten zusammen und helfen uns gegenseitig.“ Kim: „Jede einzelne Stimme, jedes Paar Füße, jede Minute, die jeder von uns für die gemeinsame Sache aufbringen kann, führt uns einen Schritt näher an unser Ziel.“
Dann die Party-Tipps. Hier einige davon: „Es geht vor allem um einen Dialog mit Leuten, die noch nicht entschieden sind … Entwerfe Flyer und hänge sie in Cafes und Supermärkten auf … Wenn du deine Gäste mit Obama for Change-Anstecknadeln oder einem Obama-T-Shirt überraschen willst, klicke auf Obama Merchandise … Vergiss nicht, Fotos von deinem Event zu machen und sie uns zu mailen … Noch besser wäre eine DVD mit Videoaufnahmen … Unterlagen für die Vorbereitung des Events und für die Diskussion findest du hier: Download Vote for Change planning materials.“

Ein Familiengefühl entwickeln
Dieser Link öffnet das Tor zu einem großen Barack Obama-Archiv. Biografie des Kandidaten und seiner Frau Michelle. Schöne Fotos mit ihren Kindern. Videoaufzeichnungen der wichtigsten Reden. Detaillierte Lösungsvorschläge für alle innen- und außenpolitischen Probleme Amerikas. Und jede Menge Argumentations-Munition, mit der man die Positionen des Gegenspielers John McCain in Schrott verwandeln kann.
Irgendwo entdeckte ich einen Fragebogen: Mit wie vielen unentschiedenen Wählern hast du gesprochen? An wie viele Türen hast du geklopft? Wie viele Leserbriefe hast du an deine Zeitung geschickt? Wie viele an deine lokale Rundfunkstation? Wie viele United for Change-Events hast du besucht? Wie viele hast du selbst veranstaltet?
Ich habe natürlich nichts von all dem getan. Stattdessen habe ich Barack Obamas Wahlkampfstrategen den Gefallen getan, meinen eigenen Internet-Blog einzurichten – ein digitales Tagebuch, in das ich Eindrücke, Meinungen und Anregungen eintragen und online zur Diskussion stellen kann. So können Millionen von Obama-Fans miteinander reden und ein Familiengefühl entwickeln.
Weiter ging’s durch Obamas Internetportal. Es war wie ein Sog. Irgendwann musste ich mich mit Namen, Passwort und E-Mail-Adresse einloggen, wenn ich weiterkommen wollte. Eine neue Tür öffnete sich: my.barackobama.com/uniteforchange. Die Webadresse verriet mir, dass aus Barack Obama plötzlich „mein“ („my“) Barack Obama geworden war. Hoppla, so weit wollte ich eigentlich nicht gehen.
Die Begeisterung der Obama-Gemeinde, der lebhafte und freundliche E-Mail-Austausch ihrer Mitglieder, die Nähe zum Kandidaten, der ständig über U-Tube-Videosendungen präsent ist, wirkt auf mich eher unpolitisch. Vielleicht kommt es daher, dass ich in seiner Mission den Herzschlag spüre. Keine Gehässigkeit, keine kleinlichen Rivalitäten, keine internen Machtkämpfe … Seine Gegner werfen ihm vor, dass er einen Glaubenskrieg führt.
Obamas Wahlspruch lautet: „Ich bitte Euch, zu glauben – nicht nur an meine Fähigkeit, Wandel und Neuanfang in Washington durchzusetzen. Ich bitte Euch an Eure Stärke und an eure Fähigkeiten zu glauben“. Die „Obama für Amerika“-Bewegung hat tatsächlich eine religiöse Komponente. Unübersehbar ist der Durst nach Erlösung und der missionarische Eifer der Anhänger. Sie wollen mit ihrem Kandidaten nicht nur die Wahl gewinnen – sie wollen die Demokratie in Amerika grundlegend erneuern. Eine Utopie? Vielleicht, aber in der Geschichte gab es immer wieder Utopien, die sich als die Realitäten von morgen erwiesen.

Der Tanz um das goldene Kalb
Jedenfalls tobt in Amerika nicht nur ein Wahlkampf. In Amerika hat eine fundamentale Veränderung des politischen Systems begonnen. Die Demokratie der Lobbyisten ist im Begriff, sich in eine Demokratie des Volkes zu verwandeln. Bisher füllten die Lobbyisten die Wahlkampfkassen. Plötzlich sind es die kleinen Leute, die mit 5-Dollar-Beträgen ihren Kandidaten flott-machen. Obama surft auf einer gigantischen Spendenwelle. Bis Ende Juli hat seine Wahlkampforganisation schon 389 Millionen Dollar an Spenden eingenommen. Der Republikaner John McCain hat im gleichen Zeitraum, vorwiegend von Lobbyisten, nur 174 Millionen Spenden-Dollar kassiert – weniger als die Hälfte.
Das ist die eigentliche Sensation dieses Wahlkampfes. Denn seit Jahrzehnten hat allein das Geld der mächtigen Interessengruppen die Politik beherrscht. Der Kandidat mit dem besseren Draht zum Big Business – gewöhnlich ein Republikaner – gewinnt die Wahl. In Deutschland ist es inzwischen nicht viel anders. Der Tanz ums Goldene Kalb macht aus der Parlamentarischen Demokratie eine Farce. Die Macht geht nicht mehr vom Volk aus, sondern vom Geld der Reichen und Mächtigen.

Die Internet-Demokratie
Die Mehrheit der Amerikaner ist z.B. gegen den Krieg im Irak. Trotzdem geht der Krieg weiter. Die Mehrheit der Deutschen ist dagegen, dass deutsche Soldaten in Afghanistan kämpfen. Trotzdem sind sie dort, und jeder Schuss, den sie abfeuern, geht nach hinten los. Auch die Privatisierung der Bahn wird in Berlin seelenruhig durchgezogen, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist.
Aber nun kommt Barack Obama und stellt die Lobby-Demokratie auf den Kopf. Just in dem Augenblick, da man die Totenglocken für das parlamentarische System bereits läuten hörte, gelingt es ihm, Millionen von Menschen zu mobilisieren und ihnen Hoffnung zu geben. Er ist der erste Kandidat, der das Internet auf eine unglaublich intelligente, kreative und effiziente Weise als Tool für die Organisation einer modernen Basisdemokratie einsetzt. Aus der Anonymität der Masse tritt das Individuum hervor und beteiligt sich über das Internet an der politischen Aktion und Diskussion.
Während wir im Begriff sind, vom Zeitalter der Kohle und des Erdöls Abschied zu nehmen und das Zeitalter der Sonnenenergie einzuläuten, beginnt auf der politischen Ebene das Zeitalter der Internet-Demokratie. Sie ist keine clevere Erfindung eines brillanten Politikers. Sie ist vom Wesen her global. Sie wird sich wie die Sonnenenergie auf dem Planeten durchsetzen, auch wenn Amerika noch nicht reif dafür sein mag und Barack Obama die Wahl im November verlieren sollte.
Und – last but not least – wird sie auch die Menschen unterstützen, die nach der Devise leben: Sei in der Welt, aber nicht von dieser Welt. In der Welt zu sein wird in Zukunft ganz neue Perspektiven eröffnen: Wir können uns auch politisch besser einbringen und auf allen Ebenen viel mehr bewegen.

www.hierjetzt.de


Lieber Andrees, da hast Du Dich ganz schön verrannt! Genauso wie es eine Immobilienblase gab, die geplatzt ist, gibt es jetzt wieder eine Begeisterungsblase. Die Irak-Krieg-Begeisterungs-Blase ist inzwischen ebenfalls geplatzt, und wenn Du Dich beklagst: »
Die Mehrheit der Amerikaner ist z.B. gegen den Krieg im Irak. Trotzdem geht der Krieg weiter«, dann zeigst Du nur, daß Du trotz Deines Alters ziemlich naiv geblieben bist. (Vielleicht nicht das Schlechteste: Nur wenn Ihr werdet wie die Kinder, werdet Ihr erleuchtet werden.) Damals zogen die Amis begeistert in den Krieg. (Das kennen wir Deutsche ja sehr gut, wir haben diese Begeisterung ja zweimal erlebt.) Ja, glaubst Du denn, die Amis könnten jetzt den Irakern sagen: »T’schuldigung, jetzt haben wir in den neusten Umfragen ermittelt, daß wir keine Lust mehr haben, wir gehen jetzt heim. Aufräumen müßt Ihr selber«? So geht’s ja wohl nicht. Das ist ja das Schlimme: Im Fall des Irak-Kriegs wurde Begeisterung verwendet, um Verhältnisse zu schaffen, die, wenn die Köpfe wieder klar sind, nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Du schreibst: »
Aus der Anonymität der Masse tritt das Individuum hervor und beteiligt sich über das Internet an der politischen Aktion und Diskussion.« Das mit der Masse ist so eine Sache, das haben wir Sannyasins in Oregon ja am eigenen Leib erfahren, was da mit unserer Individualität passiert. Und das mit dem Hervortreten des Individuums sehe ich auch eher skeptisch, Du schreibst ja selber, daß seine Bewegung etwas religiöses an sich hat und Obama auf einer Welle schwimmt. Also warten wir mal auf das Platzen der Obama-Blase, auf die Begeisterung wird Ernüchterung folgen…