Samstag, 8. Dezember 2012

Jeder Mensch braucht einen Engel

Die Erscheinung (Selbstbildnis mit Muse), 1917/18
Engel über den Dächern 

In seiner 1921 begonnen Autobiographie „Mein Leben“ notiert Marc Chagall: „Plötzlich öffnete sich die Zimmerdecke und ein geflügeltes Wesen schwebte hernieder mit Glanz und Gepränge und erfüllte das Zimmer mit wogendem Dunst. Es rauschen die schleifenden Flügel. Ein Engel! denke ich. Ich kann die Augen nicht öffnen, es ist zu hell, zu gleißend. Nachdem er alles durchschweift hat, steigt er empor und entschwindet durch den Spalt der Decke, nimmt alles Licht und Himmelblau mit sich fort. Dunkel ist es wieder. Ich erwache. Mein Bild Erscheinung gibt diesen Traum wieder.“ 
Und in seinem Gedicht „Engel über den Dächern“ klingt dieses Erlebnis nach: 

„…wo der Fluss schläft, dort träumte 
ich goldene Tage hindurch. 

Und in der Nacht – der lichte Engel 
loderte über dem Speicherdach auf 
und schwor mir, dass er meinen Namen 
in die Höhe bringe…“

Marc Chagall



Das Bild stammt aus den Jahren 1917-1918. Chagall hat dieses Motiv wiederholt variiert. Es erinnert an seine erste Ankunft in Petrograd, St. Petersburg, 1909. Völlig mittellos teilt er das Bett eines Arbeiters auf einem ärmlichen Dachboden. Der Besuch der Kunstakademie scheidet aus, weil Chagall der entsprechende Schulabschluss fehlt, die Kunstgewerbeschule lehnt ihn ab, weil seine vorgelegten Arbeiten zu befremdlich seien. Aber nicht nur, was seine Kunst betrifft, droht Chagall den Boden unter den Füßen zu verlieren. Der tägliche Kampf gegen den Hunger bedroht seine Existenz. Skrupel, Selbstzweifel und Grübelei bemächtigen sich seiner. Da träumt Marc Chagall eines nachts, dass sich die Zimmerdecke öffnet und ihm ein Engel erscheint. Das ist übrigens nicht das einzige Erlebnis dieser Art in seiner Biographie. Schon als Kind erfährt er sich am Ufer des Flusses, der durch sein Heimatdorf fließt, von neun Engeln umringt, die einen schützenden Kreis um ihn bilden.
Trotz der bedrückenden Erdenschwere, die Chagall in diesen Wochen erlebt, ist sein Bild überraschend leicht, gewichtlos, transparent und durchlässig. Es ist, als ob der Künstler auf den Grund der Dinge blickt. Er reduziert die Szene auf das Wesentliche — die Größe und den Glanz einer ungeheuerlichen Begegnung. Wie Prismen sammeln die Diagonalen das Bild in einem fernen Fluchtpunkt, in dem die schwarz-graue Welt des Künstlers und die zarte blaue Sphäre des Engels zusammentreffen. Wo sie sich begegnen, entsteht weißes Licht, das sich ausbreitet, das Zimmer und den Maler erfasst und auf dessen Leinwand widerstrahlt und ihr Grau-in-Grau verdrängt. Jeder Mensch braucht einen Engel, heißt es. Bei Chagall hat er ihn. Engel bevölkern sein Werk wie kaum ein anderes im 20. Jahrhundert. Sie sind Boten Gottes, die ihn behüten, beschützen und begleiten. Für Chagall ist es Gewissheit: Es kann ihm nichts geschehen, wie schwer und bedroht sein Leben auch immer sein mag. Die Erscheinung des Engels erinnert mich daran, dass es eine beständige Verbindung gibt zwischen Himmel und Erde, dass Himmel und Erde füreinander offen sind und in andauerndem Austausch stehen. Solche Wunder, wie sie Chagall erlebt hat, geschehen täglich. Es ist nur die Frage, ob ich das wahrnehme. Es kommt darauf an, wie durchlässig ich selber bin, wie transparent mein Leben dafür ist, dass meine Erdenschwere ein himmlisch-leichtes Gegengewicht hat und mich Tag für Tag neu in die richtige Balance bringt.



Adventsrätsel (das Achte von vierundzwanzig)

Je mehr man dazu nimmt, desto größer wird es. 
Je mehr man dazu gibt, desto kleiner wird es.
Auflösung zu Nr. 7

Heute vor 219 Jahren – 8. Dezember 1793: Marie-Jeanne Dubarry wird hingerichtet

Bewegtes Leben mit schaurigem Ende 

 Das Leben der schönen Marie-Jeanne Dubarry, geborene Becu (1743-1793), die aus ärmlichen Verhältnissen zur Favoritin des französischen Königs Ludwig XV. aufstieg und fortan ein Leben in Luxus und Verschwendung führte, ist mehrfach verfilmt und auch in einer Operette auf die Bühne gebracht worden. Operetten haft war ihr Leben in der Tat, ihr Ende ausgesprochen dramatisch. 


Marquise de PompadourFrançois Boucher, 1756
 Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin am Hof, Madame Pompadour, griff sie nicht in die Politik ein, sondern begnügte sich damit, bei Hofe zu intrigieren. Als ihr königlicher Geliebter 1774 starb, wurde Madame Dubarry in ein Kloster verbannt. In den ersten Jahren der Revolution hielt sie sich mehrfach in England auf, wo sie französische Emigranten unterstützte. Das wurde ihr zum Verhängnis: 1793 verurteilte das Revolutionstribunal sie zum Tode. Auf dem Schafott lieferte sie ein letztes Schauspiel. Sie biss und kratzte, sie schlug und trat um sich, fünf Henkersknechte waren nötig, um die »rasende Megäre« zu bändigen. Anders als die vielen Adligen, die sich widerstandslos und auf Eleganz bedacht unters Fallbeil legten, kämpfte die Dubarry bis zum letzten Atemzug um ihr Leben. 
 Brockhaus - Abenteuer Geschichte 2012

Fernsehtip: 8 Blickwinkel

Montagabend um 20:15 läuft auf Kabel eins »8 Blickwinkel« mit Dennis Quaid, Forest Whitaker und Sigourney Weaver



Auf youtube kann man sich sogar den ganzen Film ansehen!