Sonntag, 3. Februar 2013

Als ein Tollpatsch durch die Straßen wankte


Wie die Fußlappen ungarischer Soldaten die deutsche Rechtschreibung bestimmten. 
Einige notwendige Angleichungen durch die Reform


Von Peter Schmachthagen

Wissen Sie, was ein Tollpatsch ist? Natürlich, ein ungeschickter Mensch, der schwerfällig durch die Gegend tollt und dabei womöglich noch einfältig um sich patscht. Alles spricht auf den ersten Blick dafür, dass der Tollpatsch zur Wortfamilie des Adjektivs toll gehört, das bereits im Althochdeutschen „dumm und töricht“ bedeutete und später mit „getrübt, umnebelt, verwirrt“ erklärt wurde.

Das heißt, aus dem Niederländischen wanderte dol auch in der Bedeutung „ausgelassen“ nach Deutschland und traf zuerst auf die Rheinländer. Was damit angerichtet worden ist, sehen wir während der drei tollen Tage, die einen kühlen Norddeutschen zu der Überzeugung kommen lassen, dass die Erklärung „umnebelt und verwirrt“ doch passender gewesen wäre.

Wir kennen die Tollheit, das Tollhaus und die Tollkirsche. Die Tollwut ist eine Zusammenrückung aus tolle Wut, und tollkühn heißt „auf tolle Weise kühn“. Dennoch – unser Tollpatsch hat nichts mit dem Adjektiv toll zu tun. Vielmehr müssen wir den deutschen Sprachraum Richtung Budapest verlassen. Ein Tolpatsch ist ursprünglich ein ungarischer Fußsoldat, ein talpas, ein „Breitfüßiger“, von ung. talp (Sohle).

Im 17. Jahrhundert bekamen die ungarischen Infanteristen keine Schuhe, sondern befestigten sich Fußlappen mit Schnüren als Sohlen unter den nackten Füßen. Wenn die besser ausgestatteten Österreicher so einen ungarischen Fußsoldaten, dessen Sprache sie zudem nicht verstanden, unsicher auf den Beinen durch die Straßen wanken sahen, nannten sie ihn einen Tolpatsch – und da es sich um die Eindeutschung des ung. talpas handelte, natürlich analog mit nur einem „l“.

Falls vor der Rechtschreibreform ein Schüler „toller Tolpatsch“ schreiben sollte, fiel es ihm schwer, zwischen einem und zwei „l“ zu unterscheiden. Zur Not half damals auch einmal eine Ohrfeige, bis er es kapiert hatte. Ohrfeigen im Unterricht sind heutzutage glücklicherweise verboten und in diesem Fall auch nicht mehr notwendig. Seit 1998 schreiben wir den Tollpatsch mit Doppel-l.

Ich will in dieser Kolumne möglichst den Rechtschreibfrieden wahren, aber um zu zeigen, was ist, ist es ab und zu angebracht, einen Blick darauf zu werfen, was war. Neben umfassenden Regeln wie die ss/ß-Auslautung oder die klare Bestimmung „Verb und Verb immer getrennt“ änderten die Reformer nicht nur beim Tollpatsch, sondern bei rund 40 Wörtern die Schreibweise, indem sie den Stamm oder die Analogie (Vergleichbarkeit) anpassten.

Wir Älteren mussten uns zuerst daran gewöhnen, dass der „Stengel“ zum Stängel, die „Gemse“ zur Gämse und die „Greuel“ zu Gräueln geworden waren. Manch einer schnäuzte („schneuzte“) sich überschwänglich ("überschwenglich“) und sah sein Fachwissen bedroht. Die deutsche Sprache ist jedoch so kompliziert, dass jede Vereinfachung ihre Akzeptanz nur erhöhen kann.

Wenn früher Väter oder Lehrer doch einmal zum Rohrstock griffen, um uns den Hintern zu versohlen, war dieser Körperteil hinterher unter Umständen blau. Also heißen die zugehörigen Verben auch verbläuen oder einbläuen? Heute ja, damals nein. Mit den blauen Flecken, zu denen die Schreibweise umgangssprachlich gezogen worden ist, hat diese Tätigkeit primär nichts zu tun; „verbleuen“ kommt vom althochdeutschen bliuwan (schlagen) und wurde deshalb bis 1998 mit „e“ geschrieben.

Zu Recht angeglichen hat man die nicht angepassten Schreibweisen „mit Nummern numerieren, auf dem Platz plazieren“ oder den „Tip auf dem Tippschein“. Als Kind dachte ich immer, bei einem Albtraum laste ein ganzes Gebirge auf der Brust. Dabei kommt der Ausdruck von dem Alb, einem Naturgeist, der ein solches Albdrücken hervorruft, und nicht von den Alpen.

Und dann hätten wir da noch das Wort belämmert, das mit der Reform vom „e“ zum "ä" wechseln musste und zum Schlagwort in der Rechtschreibdiskussion wurde. Schließlich komme „belämmert“ nicht von den Lämmern, die auf der Weide stünden und belämmert nach der Mutter blökten, sondern sei 2. Partizip des niederd. Verbs belemmeren (hindern, lähmen).

Da ein Abc-Schütze diesen sprachhistorischen Hintergrund jedoch nicht beherrscht, blieb es beim "ä". Belämmert, in der Tat!

abendblatt.de 2.10.2012


mehr von Peter Schmachthagen findet man bei rechtschreibung.com

Michael Schneider von der Universität Marburg hat eine Geschichte der deutschen Rechtschreibung verfaßt, die man herunterladen kann.

Seltsame neue Schreibungen und Wirkliche Probleme von Ingolf Giese bei aix.gsi.de
siehe auch die Fünf Schritte zur Abschaffung der Rechtschreibung
(nach gutefrage.net schon 1964 von H. R. Bachofen für »Bachofen’s Digest« verfasst)
für Menschen mit robuster Magenschleimhaut seien auch die Sprach-Nachrichten empfohlen

der ist schon etwas älter:

Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn
Uvinisterät, ist es nchit witihcg in wlecehr
Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid, das
ezniige was wcthiig ist, ist daß der estre und
der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion
snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien,
tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist
so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn,
snderon das Wrot als gseatems. Ehct ksras, oedr?!
Das ghet wicklirh! Und da gheen wir jrheanalg in
die Shluce???