Dienstag, 4. März 2014

Der Ukraine-Konflikt 1 – Westliche Aufgeregtheit und staatliches Gedächtnis

Die sehr emotionale Berichterstattung über Rußlands Vorgehen auf der Krim läßt mich den Kopf schütteln. Ist das eigentlich niemandem peinlich?

Ich denke: zwei Supermächte sind besser als eine, und ich hoffe, daß China noch auf absehbare Zeit genug mit sich selbst zu tun hat. Und genauso, wie die USA vor ihrer Haustüre Ordnung halten (Schweinebucht, Salvador Allende), versucht Putin, vor seiner Haustüre Ordnung zu halten.
Die Kubakrise wurde übrigens durch die Vereinigten Staaten provoziert, nur zur Erinnerung… 

»Im April 1962 wurden die amerikanischen Thor- und Jupiter-Atomraketen in der Türkei einsatzbereit gemacht. Weil sie wegen ihrer ungeschützten Aufstellung leicht angreifbar waren, konnten sie nur zu einem atomaren Erstschlag genutzt werden.
Zudem fuhren auf den Meeren US-U-Boote mit Polaris-Atomraketen. Diese Submarine Launched Ballistic Missiles konnten auch unter Wasser abgefeuert werden und waren entsprechend schwer zu treffen. Die Sowjetunion hatte zu dem Zeitpunkt nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.« (Kubakrise, Unmittelbare Vorgeschichte, Wikipedia, abgerufen am 04.03.2014)


Auf der Seite der ZEIT finden sich zwei angenehm unaufgeregte Artikel:
- Putins Krim-Kalkül geht auf (ZEIT vom 3.2.2014, hier finde ich vor allem Putins Einschätzung sehr bedenkenswert)
- Europa muss Machtpolitik lernen (ZEIT vom 3.2.2014)

Ich könnte manchmal auf die Knie fallen vor Begeisterung, wenn die Theaterakteure des Machtspiels auf unserem Planeten überdrehen und sich damit einmal selbst ans Bein pinkeln. So dem US-Außenminister Kerry vor wenigen Tagen geschehen.

Ukraine: Russia not behaving like '21st century G8 major nation' - Kerry [1:30]
Veröffentlicht am 05.03.2014 
US Secretary of State John Kerry spoke at the US embassy in Kiev on Tuesday after meeting with the Rada-appointed interim president of Ukraine, Oleksandr Turchynov, and the Rada-appointed interim prime minister of Ukraine, Arseniy Yatsenyuk.
Kerry said Russia was not behaving like a "21st century G8 major nation" by deploying troops in Crimea. Kerry added that if Moscow did not agree to cooperate with the new Ukrainian authorities, the US' partners would have no choice but to join the Obama administration in imposing sanctions "in order to isolate Russia politically, diplomatically and economically".
Kerry also confirmed that the US would, together with the IMF, provide Ukraine with $1bn (€730m) in loan guarantees in order to support the country's recovery.
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»You just don't in the 21st century behave in 19th century fashion by invading another country on completely trumped-up pretext.« 
(Diese Äußerung stammt aus einem Interview, in dem er das, was er in dem Video sagt, wiederholte. Es darf nicht überraschen, wenn dieser Satz in vielen US-amerikanischen Publikationen nicht zitiert wird.)

Promt twitterte Michael Moore: »Um, does he know 2003 was part of the 21st cen?«

Und selbst der Münchener Abendzeitung fiel die unfreiwillige Parallele zum Irak-Krieg auf, die Kerry seither genüßlich um die Ohren gehauen wird. 

Ich bewundere die Amis für ihre stete Begeisterungsfähigkeit, fürchte allerdings, daß diese ganz wesentlich mit ihrem kurzen Gedächtnis zu tun hat. Die unbeirrbare Penetranz, mit der sich diese Nation für die gute Seite hält und die Selbstverständlichkeit, mit der die russische Machtpolitik als unmoralisch gebrandmarkt wird, verbunden mit dem anscheinend völlig schamfreien Ignorieren eigenen Fehlverhaltens ist hoch beeindruckend. 

Nachdem sich die Amerikaner in Vietnam eine blutige Nase geholt (2 Millionen tote Vietnamesen, ein vergiftetes Land zurückgelassen und das Regime der Roten Khmer in Kambodscha erst ermöglicht) haben, sind sie 30 Jahre später mit der gleichen Begeisterung bereit, über Afghanistan herzufallen. Leute wie Peter Scholl-Latour, die von unseren politisch korrekten Gutmenschen in die Rechtsaußen-Schublade gesteckt werden, haben damals eindringlich – und natürlich vergeblich – gewarnt: Scholl-Latour zitierte den französischen General Massu, der seine Erfahrungen im Algerienkrieg so zusammenfaßte: »In Algier sind wir hineingeschlittert in Blut und in Scheiße - dans le sang et dans la merde.« Aber eine Supermacht – gleich welcher weltanschaulichen Couleur – muß demonstrieren, daß sie sich bestimmte Dinge nicht gefallen läßt. Erfahrungen aus dem alten Europa zählen angesichts des amerikanischen Begeisterungsbedürfnisses nichts… 
Vielleicht sind wir ja in 20 Jahren auch so weit wie die Amis, und unsere Bundestagsabgeordneten strafen befreundete Staaten durch das Umbenennen von Lebensmitteln

Frankreich / Algerien - Die Schwierigkeiten des Erinnerns - ARTE - Oktober 2010 [2:37]
Hochgeladen am 30.07.2011 
ARTE Journal - 19. Oktober 2010 - 21/10/10
Die Schwierigkeiten des Erinnerns
In Paris wurde am Dienstag eine Stiftung zum Gedenken an den Algerienkrieg von 1954-1962 eingeweiht. Vergangenheits-Bewältigung, das ist eine gute Sache, könnte man denken.
Aber Präsident Nicolas Sarkozy will, dass die Stiftung von Franzosen geleitet wird, die aus Algerien vertrieben wurden und von Algeriern, die auf Seiten der Franzosen gekämpft haben. Historiker protestieren: Es gehe nur darum, den "schmutzigen Krieg" von Frankreichs Armee unter den Teppich zu kehren. Eine Reportage von Richard Bonnet.

Man stelle sich vor (im Video ab 1:50 Min.), Angela Merkel würde über die Kolonialzeit in Namibia sagen: »Das Deutsche Reich ist nicht nur gekommen, hat ausgebeutet und die Ressourcen geplündert. Aber es war nicht nur ein Nehmen: Das Deutsche Reich hat Brücken, Straßen, Krankenhäuser und Schulen gebaut.«

ALGERIE - Les Auschwitz de la France en Algerie [9:58] Hochgeladen am 23.06.2007 
A video describing the atrocities in the concentration camps set up by the French in Algeria during the colonial occupation which France never admitted they existed.
La France n'arrete pas de pleurnicher sur les atrocités NAZI(es) en Europe..hélas, elle semble tres fiere des siennes en Algerie, elle les glorifie meme.
[Übersetzung: Frankreich hört nicht auf über Entsetzlichkeit NAZIs in Europa zu heulen … leider, es scheint sehr stolz über die Seinigen in Algerien zu sein, es verherrlicht sie sogar.]

Massu: …dans le sang et dans la merde… (Peter Scholl-Latour, Der Fluch des neuen Jahrtausends: Eine Bilanz, googlebooks, Download Leseprobe, S. 17)

Zitat: 
Bei Ihrem Balkan-Engagement sollten sich die deutschen Politiker, denen die Fürsorgepflicht für die Bundeswehr-Soldaten am Amselfeld obliegt, folgendes einprägen: das vielgerühmte G-8-Abkommen, das die fiktive Erhaltung einer jugoslawischen Föderation vorsah, ist heute nur noch ein Papierfetzen, und die Entwaffnung bzw. die »Demilitarisierung« der ominösen UCK – eine unerträgliche Wortklauberei – ist bestenfalls punktuell zu erreichen. Die NATO-Truppe droht dort in einen heimtückischen Partisanenkrieg mit wechselnden Fronten und Gegnern verstrickt zu werden. Die Guerilla und deren Bekämpfung gehen stets mit besonderer Brutalität einher. Die französischen Paras, die während der Schlacht von Algier Den Bombenlegern der algerischen Befreiungsfront nachstellten, sind bei den Verhören von Verdächtigen auch vor Folterungen nicht zurückgeschreckt, genauso wenig wie die Amerikaner bei der Operation »Phoenix« in Vietnam.