Mittwoch, 3. Juni 2015

Sloterdijk: Dem “Krieg gegen den Terror” die Denkerstirn geboten

Eine ganze Woche ist es her, dass Peter Sloterdijk den Ludwig-Börne-Preis in der Frankfurter Paulskirche verliehen bekam. Der leitender Feuilletonredakteur, Richard Kämmerlings, musste das Ereignis erst mal sacken lassen, um heute endlich eine gebührende Würdigung des Preisträgers zu publizieren. Dass im Artikel mehrfach (7 Erwähnungen!) auf den Mitpreisträger Henryk M. Broder verwiesen wurde, wird auch ein bisschen der Tatsache geschuldet sein, dass Broder ein Kollege der “Springer – Welt” ist.
mehr:
- Sloterdijk: Dem “Krieg gegen den Terror” die Denkerstirn geboten (Netzexil, 23.06.2013)

EU-Parlament: Hausverbot für russischen Botschafter

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz reagiert auf Moskaus Einreiseverbote für europäische Politiker: Er verweigert Diplomaten aus Russland künftig den Zutritt.
mehr:
- EU-Parlament: Hausverbot für russischen Botschafter (ZEIT Online, 03.06.2015)

Ich bin immer wieder tief ergriffen, wie wir Logik und Sprache zu verwenden imstande sind: »Martin Schulz reagiert«. Man braucht nicht lange nachzudenken, was hier zwischen den Zeilen vermittelt wird. Die Propaganda geht weiter…
Immer dran denken: Es ist nur böse, wenn’s die anderen tun: Seit 15 Jahren schiebt sich Russland unaufhaltsam immer näher an die Militärstützpunkte der freien Welt heran.
EU Erweiterungen [Quelle: Erweiterung der Europäischen Union,  Gründung und Erweiterungen 1973–2013, Wikipedia]
[Quelle: Medvedev, Missiles and Obama, discoursology, net, ursprünglich aus dem Tagesspiegel]

US Military and CIA Interventions Since World War II
(The Nature of the Mind, 23.01.2012) siehe dazu:
- US Global Domination and the Prospect of Endless War (Richard D. Vogel)

Der war on terror besitzt die ideale Eigenschaft, nicht gewonnen werden zu können - und daher nie beendet werden zu müssen. (Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit)

Der Blatter in uns

Blatter ist weg. Nun könnte es besser werden, oder schlimmer. Oder es bleibt alles, wie es ist. Und dann ist da noch eine Utopie. Vier Blicke in die Fußball-Zukunft
1. Alles wird besser
Es ändert sich wirklich etwas, zum Guten. Dafür braucht es einen frischen Kandidaten, der so weit wie möglich von der bisherigen Fifa entfernt ist und trotzdem von England bis zu den Jungferninseln Autorität ausstrahlt: zum Beispiel Pierluigi Collina.

Collina war einer der besten Schiedsrichter der Welt und einer der beliebtesten. Seine Popularität und markante Erscheinung brachte ihm viele Werbeverträge und sogar aufs Cover von PC-Spielen, für einen Unparteiischen sehr ungewöhnlich. Als Boss der Uefa-Schiedsrichter ist er auch mit der Machtrolle vertraut. Mit Beliebtheit und auch Strenge schafft er es, die Nationalverbände von weitreichenden Reformen zu überzeugen:

mehr:
- FIFA: Der Palast in Zürich wird plattgemacht (Christian Spiller, ZEIT Online, 03.06.2015)

mein Kommentar: Wie verführerisch, mit dem Finger auf andere zu zeigen…

siehe auch:
- FIFA-Skandal… Wir Fetischisten eines schmutzigen Spiels (ZEIT Online, Felix Stephan, 02.06.2015)
Zitat:
Wir wollen nicht, dass chinesische Arbeiter ausgebeutet werden, das MacBook Air kaufen wir trotzdem. Wir wollen nicht, dass tropische Regenwälder gerodet werden, um Palmenplantagen Platz zu machen, palmölhaltige Produkte wie Nutella kaufen wir trotzdem. Wir wollen nicht, dass uns Konzerne um unsere informationelle Selbstbestimmung bringen, Accounts bei Facebook und Google haben wir trotzdem.
Auf den ersten Blick scheint das widersinnig und inkonsequent. Andererseits gründet unsere Gesellschaftsform auf der Idee, dass man alles sorgenfrei konsumieren kann und sogar soll. Jahrzehntelang haben die USA und Europa in der schönen Gewissheit gelebt, dass die Herstellung und dem Kauf eines Produktes eine emanzipatorische, befreiende Komponente innewohnt. Der soziale Status des Einzelnen hing nicht mehr davon ab, von welchem Blut er war, sondern ob er etwas verkaufen und kaufen konnte, und sei es eine schöne Illusion.

Der Fall Edathy – Was in den Köpfen bleibt

Johannes der Täufer wird 1610 als 
nackter Jüngling dargestellt, Caravaggio, 
Herkunft, Jugend und Lehre: Mailand (1571–1592)
[Wikipedia]
Von Sebastian Edathy ist lediglich ein Wort geblieben: Kinderpornos. Sein Verdienst während der Untersuchung des NSU scheint jetzt schon vergessen zu sein.

Die "Edathy Affäre" ist verwirrend. Sie ist es deshalb, weil sie ein Kapitel eines an sich verwirrenden Buches ist. Das Buch heißt "Deutschland, seine Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und der Rechtsterrorismus". Sebastian Edathy spielt in diesem Buch eine gewichtige Rolle. Bevor er der Pädophilie beschuldigt und von diesem Vorwurf freigesprochen wurde, war er der Vorsitzende des "Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Aufklärung der Taten der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund".

Der Ausschuss begann seine Arbeit am 26. Januar 2012 und legte am 22. August 2013 seinen 1.357-seitigen Abschlussbericht vor. In diesen eineinhalb Jahren befragte der "NSU-Ausschuss", wie er abgekürzt genannt wurde, zumeist immer an einem Dienstag und einem Donnerstag geladene Zeugen. Die Autorin dieser Zeilen saß diesem Ausschuss viele Monate lang bei und verfolgte die Sitzungen, die manchmal acht, zehn, zwölf, dreizehn Stunden andauerten.

CaravaggioAmor als Sieger [Wikipedia]
Bei den Zeugen handelte es sich um Bundes- und Landesminister, Präsidenten der Verfassungsschutzbehörden, des Bundeskriminalamtes, Oberstaatsanwälte, Sonderermittler, Mitarbeiter des MAD, kurz: um die Eliten der Bundesrepublik Deutschland aus Judikative, Exekutive und Legislative.


Die Zeugen gehörten wechselnden Regierungen, unterschiedlichen Parteien und Bundesländern an. Es waren Männer, die über den zu untersuchenden Zeitraum von 14 Jahren nicht wissen wollten oder konnten, dass Rechtsterroristen in diesem Land unbescholtene Bürger aus rassistischen Motiven töteten. Diese Männer hatten Macht und Mandate. Sie beschuldigten sich nie gegenseitig. Sie hielten dicht ("Das darf ich Ihnen nicht erzählen"). Und zusammen.

Kein einziges Mal hat die Autorin dieser Zeilen den Satz "Ja, ich trage persönliche Verantwortung" vernommen. Immer, ich wiederhole, immer hieß es, "das föderale System der Bundesrepublik trägt Verantwortung an den Ermittlungspannen".

Was da als Panne umschrieben wurde, sind zuhauf geschredderte Akten, lügende
Caravaggio, Kleiner kranker Bacchus (1593), 
Museo Galleria „Borghese“, Rom [Quelle: ebda]
Verfassungsschützer, Minister, die Vernehmungen behinderten, Kriminaloberkommissare, die die Opfer in den Akten als "Schmarotzer" degradierten. Es war – egal, wer befragt wurde, egal in welchem Fall man stocherte – eine Aneinanderreihung von Merkwürdigkeiten und Zufällen, stets zugunsten der Täter und zu Lasten der Opfer. Asservatenkammern wurden geplündert, Spuren verwischt, eine Leiche wurde beklaut und zwei Zeugen starben auf mysteriöse Weise vor ihrer Prozessvernehmung im Münchener NSU Prozess.

mehr:
- SPD – Die "Edathy Affäre" ist ein Kapitel (Mely Kiyak, ZEIT Online, 03.06.2015)
siehe auch:
- Caravaggios irdischer Amor – Bildbeschreibung (Susanne Haun, 26.01.2013)

FBI betreibt eine Flotte von Überwachungsflugzeugen

Offenbar werden ganze Städte mit Flugzeugen von Scheinfirmen ohne richterliche Genehmigung überwacht und wird auch die Mobilkommunikation abgehört
Schon länger bekannt ist, dass über manchen US-Städten Lauschflugzeuge kreisen. So wurde Anfang Mai von Bürgern Baltimores entdeckt, dass über die Stadt nach den Unruhen und während der anhaltenden Proteste tagelang mehrere nicht markierte Flugzeuge flogen. Die Routen konnten nachvollzogen werden.

Der Zweck blieb unbekannt, nach der Washington Post hatte wohl, wie ein Informant berichtete, die Polizei deswegen beim FBI angefragt. Vermutet wurde, dass die Polizei damit wahrscheinlich Gewalttäter über Video- und Infrarotaufnahmen ausfindig machen und über Handys verfolgen wollte.

mehr:
- FBI betreibt eine Flotte von Überwachungsflugzeugen (Florian Rötzer, Telepolis, 03.06.2015)

Ex-Kanzler kritisieren G7-Gipfel ohne Russland

Helmut Schmidt und Gerhard Schröder hätten Wladimir Putin eingeladen
Am 7. und 8. Juni findet im oberbayerischen Schloss Elmau der G7-Gipfel statt, bei dem sich die Staats- und Regierungschefs der USA, Japans, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Kanadas treffen, schlemmen und über die Weltpolitik sprechen. Früher hießen diese Veranstaltungen einmal "G8-Gipfel", weil Russland mit dabei war. Nach der Krimkrise im letzten Jahr verkleinerte man die Runde allerdings, um Druck auf den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin auszuüben.
Zwei deutsche Ex-Kanzler bezweifeln nun öffentlich, dass dieser Druck sich positiv auswirkt: Der Sozialdemokrat Helmut Schmidt, der die deutschen Bundesregierungen von 1974 bis 1982 anführte, glaubt, dass Wladimir Putin "beleidigt ist", weil "der Westen ihn seiner Vorstellung nach nicht ernst genug nimmt". Putin sieht es Schmidt zufolge als seine Aufgabe an, "nach der Wildwest-Periode unter Jelzin den russischen Staat wiederherzustellen". Das müsse man berücksichtigen.

Hätte man eine G7-Einladung "in gehöriger Form ausgesprochen", dann wäre der russische Staatspräsident Schmidts Ansicht nach sicher nach Elmau gereist. Weil dies jedoch nicht geschah, sind die Erwartungen des 96-Jährigen an den Gipfel "begrenzt". Der Ex-Kanzler hofft lediglich, dass nicht noch mehr "Öl ins Feuer" gegossen wird. Geschehe wenigstens das nicht, dann sei er schon zufrieden.

mehr:
- Ex-Kanzler kritisieren G7-Gipfel ohne Russland (Peter Mühlbauer, Telepolis, 02.06.2015)