Dienstag, 29. September 2015

Hermann Hesse – Vernunft im bürgerlichen Zeitalter

Der anonyme Erzähler gibt sich als Historiker aus, der aus Briefen, Aufzeichnungen und anderem Archivmaterial die Lebensgeschichte des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht rekonstruiert hat. Zwar gelte inzwischen das Ideal der Anonymität und es sei nicht mehr üblich, Biografien zu schreiben, aber es komme ihm auch nicht – wie den Autoren des "feuilletonistischen Zeitalters" – darauf an, das Einmalige, Normwidrige oder gar Pathologische eines Individuums herauszustellen, sondern ein Beispiel zu geben für den Dienst eines Menschen am Überpersönlichen.

In der Einleitung erinnert der Autor kurz an die Entwicklung der europäischen Kulturgeschichte vor der Gründung des kastalischen Ordens. "Die Entwicklung des geistigen Lebens in Europa scheint vom Ausgang des Mittelalters an zwei große Tendenzen gehabt zu haben: die Befreiung des Denkens und Glaubens von jeglicher autoritativer Beeinflussung, also den Kampf des sich souverän und mündig fühlenden Verstandes gegen die Herrschaft der Römischen Kirche und – andererseits – das heimliche, aber leidenschaftliche Suchen nach einer Legitimierung dieser seiner Freiheit, nach einer neuen, aus ihm selbst kommenden, ihm adäquaten Autorität." Für eine bürgerliche Epoche, in der das Individuelle mehr als die Gemeinschaft geschätzt und eine Flut verantwortungsloser Zeitungsartikel geschrieben wurde, prägte "Plinius Ziegenhalß" den Begriff "feuilletonistisches Zeitalter". Die Vernunft gebrauchten die Machthaber nur gelegentlich, und auch dann nur als Kampfmittel. In diesen gewalttätigen, kriegerischen Zeiten konnten die Menschen kaum noch ihre Angst vor Tod, Anarchie und Untergang verdrängen, zumal auch die Kirchen keinen wirkungsvollen Trost mehr spendeten. Um sich abzulenken, fuhren die Menschen Auto, spielten Karten oder lösten Kreuzworträtsel, aber das Bedürfnis nach Recht und Wahrheit, Vernunft, Ordnung und Neubeginn nahm ständig zu, bis das feuilletonistische Zeitalter überwunden wurde und die Freude an den exakten Wissenschaften neu erwachte. Damals gründete eine Gruppe verzweifelter Morgenlandfahrer den kastalischen Orden, der sich politischer und wirtschaftlicher Geschäfte enthielt, auf schöpferisches Künstlertum verzichtete und stattdessen die allumfassende Synthese von Kunst und Wissenschaft anstrebte.
mehr:
- Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel – Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften – Inhaltsangabe (Dieter Wunderlich, 2002)
- Hermann Hesse (Wikipedia)
- Das Glasperlenspiel (Wikipedia)
- Brief Hermann Hesses an seinen Vater vom 14. September 1892 aus der Heilanstalt Stetten (Hermann Hesse.de)

Hermann Hesse Superstar - Dokumentation - Teil 1v2 [14:30]

Veröffentlicht am 03.05.2012
Eine hervorragende Doku über den Schriftsteller und Maler Herman Hesse.
Hermann Hesse Superstar - Dokumentation - Teil 2v2 [13:59]

Veröffentlicht am 03.05.2012
Eine hervorragende Doku über den Schriftsteller und Maler Herman Hesse.

Hermann Hesse - Sein erstes Paradies [1:28:45]

Veröffentlicht am 02.04.2014
Diesen Film können Sie als DVD in voller Auflösung genießen: http://www.hesse-film.de/dvd

Hermann 'Hesse's Erstes Paradies' lag in Gaienhofen am Bodensee. Dieser Film ist jenen ereignisreichen, höchst kreativen Jahren am Bodensee zwischen 1904 und 1912 gewidmet. Er heftet sich sozusagen an die Kneipp-Sandalen Hermann Hesses in jener wesentlichen Lebens- und Schaffensphase des Dichters, dessen Stern dabei ist, aufzugehen. Wir wollen der Frage nachgehen, was Hesse und die Mutter seiner Kinder, Maria Bernoulli, nach Gaienhofen zog. Und was sie dazu veranlasste, dieses paradiesische Stück Erde schon nach wenigen Jahren wieder zu verlassen.

Im August 1904 heiratete Hermann Hesse die selbständige Basler Fotografin Maria Bernoulli, die aus der weitverzweigten Familie der Bernoulli stammte. Aus dieser Ehe gingen die drei Söhne Bruno (1905--1999, Kunstmaler, Grafiker), Hans Heinrich (genannt Heiner; 1909--2003, Dekorateur) und Martin (1911--1968, Fotograf) hervor. Ganz im Sinne der Lebensreform zogen er und Mia in das damals sehr abgelegende Dörfchen Gaienhofen auf der Halbinsel Höri am Bodensee und mieteten ein einfaches Bauernhaus ohne fließendes Wasser und Strom, in dem sie drei Jahre lebten. Nach der Geburt des ersten Sohnes Bruno 1905 und der verbesserten finanziellen Lage ließen sie sich von dem Architekt Hans Hindermann im Ort ein modernes Landhaus im Schweizer Reformstil bauen. Dort legten sie einen großen Garten zur Selbstversorgung an. 1909 wurde Heiner und 1911 Martin geboren. Hesse war häufig auf Reisen, Mia mit den Kindern mit dem großen Haus und Garten oft allein.

Die Beziehung der beiden verschlechterte sich und sie verkauften ihr Haus 1912, um nach Bern zu ziehen.Psychische Krisen bei beiden führten zu einem endgültigen Auseinanderleben und zur Scheidung 1923. In Gaienhofen schrieb Hesse seinen zweiten Roman Unterm Rad, 1906 erschienen, in dem er seine Erfahrung aus Schule und Ausbildung einfließen ließ und literarisch verarbeitete. 1907 schloss Hesse sich dem wandernden Dichter und Naturpropheten Gusto Gräser an, zog zeitweise in dessen Grotte „in den Felsen" bei Ascona, die ihm zu seinem „heiligen Land" wurden (vgl. Monte Verità). Hier wurzeln seine Legenden aus der Thebais. Das Jüngerschaftserlebnis bei einem Einsiedler in der Wildnis blieb ein wiederkehrendes Motiv seiner Dichtung bis hin zu den Lebensläufen des Glasperlenspiels. Gräser öffnete ihm auch den Zugang zur geistigen Welt des Ostens.

Nach seiner Rückkehr ins bürgerliche Leben verfasste er vor allem Erzählungen und Gedichte. Sein nächster Roman Gertrud von 1910 zeigte Hesse allerdings in einer Schaffenskrise -- er hatte schwer mit diesem Werk zu kämpfen, in späteren Jahren hat er es als misslungen betrachtet. Auch in seiner Ehe vermehrten sich nun die Dissonanzen, und um Abstand zu gewinnen, brach Hesse mit Hans Sturzenegger 1911 zu einer großen Reise nach Ceylon und Indonesien auf. Die erhoffte spirituell-religiöse Inspiration fand er dort nicht, dennoch beeinflusste die Reise sein weiteres literarisches Werk stark.