Sonntag, 15. März 2015

Ukraine-Berichterstattung: Wie kommt die Wahrheit in die Mitte?

Viele Leser sind sauer, auch auf meine Ukraine-Berichterstattung. Ihr Misstrauen ist legitim. Aber es ist nicht einfach jede Sicht auf den Krieg gleich wahr. 

Leser B. schreibt. Beklagt sich über die Ukraine-Berichterstattung, sie sei irreführend und falsch. Ich bin die vergangenen Monate vor Ort gewesen, habe berichtet über den Maidan (ja, auch über die Rechtsextremen), über ukrainische Freiwilligen-Bataillone, den Abschuss der MH-17, die Wahlen, den Krieg, die Opfer von Donezk. Seine Kritik gilt auch mir, deshalb schreibe ich zurück. Was so irreführend sei?, frage ich. Welche Fehler ich gemacht habe? Denn dass ich welche gemacht habe, halte ich für gut möglich, für wahrscheinlich sogar, jeder macht Fehler. Die Frage ist, wie schwerwiegend sie sind und wie ich sie richtigstellen könnte. Ein Fehler wird erst dann zur Lüge, wenn er bewusst gemacht wurde, um zu verschleiern und zu täuschen. 

B. antwortetet auf eine Art, die ich schon von anderen wütenden Lesern kenne, die ihre Kritik genauer zu fassen versuchen: Wie man denn dazu komme, zu behaupten, Russland sei an dem Krieg in der Ostukraine beteiligt? Dafür gebe es keine Beweise! 

Meist schreibe ich dann ausführlich zurück. Doch, schreibe ich, es gibt Beweise. Es gibt russische Soldaten, die in Särgen aus der Ukraine heimkehren und Angehörige, die nicht über ihr Leid sprechen dürfen. Es gibt russische NGOs wie das Komitee der Soldatenmütter, die versuchen nachzuvollziehen, wie viele ihrer Söhne bereits in der Ukraine starben. Es gibt Berichte wie die des Armament Research Services, die russische (aber nicht nur die) Waffen in der Ostukraine identifizieren konnten – mal davon abgesehen, dass man sich doch zumindest wundern muss, wenn binnen weniger Monate ein Haufen lokaler Aufständischer eine professionellere Armee hat als die Ukraine. Es gibt russische Geheimdienstler wie Igor Girkin, der an der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine beteiligt war und offen über die russische Taktik spricht.
mehr:
- Fünf vor acht / Ukraine-Berichterstattung: Die Wahrheit liegt eben nicht in der Mitte (Alice Bota, ZEIT Online, 13.03.2015)
aus den Kommentaren:
erster Kommentar:
Eine perfekte Aufzählung der bösen Sachen, die Russland so macht! Wo bleibt der Finger, der auf das zeigt, was von westlicher Seite dort abläuft? Das begann schon vor dem Maidan, auf dessen Aufklärung auch hier im Westen noch viele warten.
Der Artikel ist ein netter Versuch in eine allzu offensichtliche Richtung, mich überzeugt er nicht!


dritter Eintrag:
Lassen Sie sich doch nicht von Putintrollen beirren. Schreiben Sie, was Sie nach bestem Wissen und Gewissen für nachprüfbar oder zumindest wahrscheinlich halten.
Ein Großteil der Behauptungen der Putinanhänger ist so abenteuerlich und offensichtlich falsch, dass man nur zu dem Schluss kommen kann, dass es sich dabei um einen Teil des bezahlten Propagandakriegs Russlands handelt.


vierter Eintrag (Kommentar zum dritten Eintrag):
schon im zweiten Leserkommentar: Putintrolle

fünfter Eintrag (Kommetar zum drittletzten Eintrag)
"Die Liste ließe sich fortsetzen."
Machen Sie doch mal Frau Bota und Zeit Online. Stellen Sie bitte mal eine Liste mit allen verfügbaren Beweisen für eine russische Kriegsbeteiligung hier bei Zeit Online ein. Lassen Sie nichts aus. Los!


sechster Eintrag:
Danke, Alice Bota! Schade nur, dass alles das nicht helfen wird, die Hardcore-PutinistInnen zu überzeugen.
Es gibt - s. Diskussionen über Klimawandel - stets mehrere Rückzugslinien der Apologetik. Als nächstes wird die Beteiligung russischer Soldaten als Schutz der russischstämmigen OstukrainerInnen vor einer ukrainischen 'Invasion' gerechtfertigt werden, sobald nichts mehr zu leugnen möglich sein wird.


mit dem siebten Eintrag belasse ich es:
Es sind bisher mehr als 5000 russisch-stämmige Ukrainer getötet worden, dazu die Toten des Massakers von Odessa (MH017 und Maidan wollen wir auch nicht unter den Teppich kehren). Wer schützt diese Leute? Amerikanische Offizielle fordern offen den Völkermord an den russischstämmigen Ukrainern:
http://www.liveleak.com/v... 

Das sind Bedingungen zu denen die NATO die Ukraine schon drei mal in Grund und Boden gebombt hätte, siehe Jugoslawien, siehe Libyen. Putin ist extrem zurück haltend. Steinmeier hat wohl den Schuss nicht gehört wenn er zu diesen Verbrechen schweigt und sich noch auf die Täterseite stellt. Deutschland sind solche schmierigen Bündnisse aufgrund Art. 2 des Zwei-Plus-Vier-Vertrages verboten und die Russen werden sicher nicht irgendwelche roten Linien ziehen sondern die juristischen Konsequenzen umsetzen.

ein weiterer Ausschnitt aus dem Artikel von Frau Bota
Der Leserbrief von Herrn B. steht für ein Phänomen, nämlich die Flucht in die Relativierung, wenn es um die russische Politik geht. Mal speist sich diese Relativierung aus der Angst, dass Deutschland in diesen Krieg hineingezogen werden könnte, mal aus dem Misstrauen gegenüber den Amerikanern, mal aus dem Hass auf sie; mal aus einer empfundenen historischen Schuld gegenüber Russland (die paradoxerweise selten den Ukrainern, Belarussen und Polen zuteil wird); mal aus Europaverachtung; mal aus Überforderung.
mein Kommentar: Das würde ich mal Pathologisierung nennen. Vorsicht! Was Frau Bota Relativierung nennt, könnte einfach ein Ausdruck von Hilflosigkeit sein!

Ich denke, was Frau Bota hier widerfährt ist das Gefühl von Überlegenheit, gepaart mit dem Gefühl des Angegriffen-Werdens durch jemanden, der weniger Informationen hat. Aber wenn ich als Fernsehzuschauer die Atmosphäre spüre, die herrscht, wenn Claus Kleber versucht, Joe Kaeser dazu zu bringen, zu gestehen, daß die Geschäftsbeziehung der Firma Siemens mit Russland unmoralisch sind oder Tina Mendelsohn ein Interview mit Bazon Brock nach sieben Minuten abbricht, weil sie es nicht geschafft hat, ihn dazu zu bringen, Gerhard Schröder ob seiner Männerfreundschaft mit Putin zu verurteilen, dann lasse ich mich auch nicht durch irgendwelche durch Frau Bota beigebrachte Fakten davon abbringen, den Medien zu unterstellen, mir eine bestimmte Meinung suggerieren zu wollen.
Dann geht es nämlich nicht mehr um Fakten! Und wenn Frau Bota nach einem Dutzend Briefen, die sie freundlich und ausführlich zurückgeschrieben hat, wieder feststellt, daß die Addressaten faktenresistent sind (so wie der Westen den Reden Putins 2001 und 2007 gegenüber), wird sie mit ihrer Empathie deutlich sparsamer umgehen, um nicht zu frustriert zu werden.



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