Montag, 4. Juli 2016

Verfassungsbeschwerde wegen »Aktenprivatisierung«

Dieter Deiseroth über die gängige Praxis, Akten zu "bereinigen", um brisante Dokumente zu verbergen

Die Journalistin und Historikerin Gaby Weber (Eichmann wurde noch gebraucht) hat Verfassungsbeschwerde eingelegt, um Zugriff auf staatliche Akten zu erhalten, die von ehemaligen Amtsträgern mit in deren Privatarchiv genommen wurden. Im Interview mit Telepolis kritisiert Dieter Deiseroth, ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht, die "Privatisierung" von Akten scharf.

Bei den Akten aus Ministerien und dem Bundeskanzleramt gehe es nicht um Notizen einer privaten Familienfeier, sondern um das Handeln der Regierungsbürokratie. Deiseroth geht davon aus, dass die Entwendung von derart zentralen Akten eine historisch-kritische Aufarbeitung beeinträchtige und insbesondere auch die grundrechtlichen Schutzansprüche der Presse unterlaufe. Die entwendeten Akten gehörten nicht der Regierung, sondern der Gesellschaft. "Diese Akten und Dateien sind das Gedächtnis der Demokratie", so Deiseroth.

mehr:
- "Der Öffentlichkeit werden wichtige Erkenntnisquellen vorenthalten" (Markus Klöckner im Interview mit Dieter Deiseroth, Telepolis, 02.07.2016)
xZitat: Das Bundesarchiv klagt regelmäßig darüber, dass archivierungswürdige amtliche Dokumente nicht, wie es das geltende Recht vorsieht, an das Bundesarchiv abgegeben werden, sondern "in die privaten Papiere von Politikern und Spitzenbeamen gelangen und mit diesen zum Beispiel an die Archive der Parteien oder andere Stellen übergeben werden". Dort verbleiben sie dann oft dem Zugriff der Forschung und Wissenschaft und der Einsichtnahme durch Journalisten entzogen. […] 
Das geltende Archivrecht wird missachtet. Grundrechtliche Schutzansprüche der Wissenschaft und der Presse werden so unterlaufen. Der Forschung und der interessierten Öffentlichkeit werden wichtige Erkenntnisquellen vorenthalten. Das ist schlimm - nicht nur für die Wissenschaft und die Geschichtsschreibung, sondern auch für unsere Demokratie. Denn Archive sichern und erschließen die Vergangenheit für die Zukunft. […] 
Weder das Bundesarchivgesetz noch das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes regeln unmittelbar und explizit die Einsichtnahme in archivierungswürdige und archivierungspflichtige Akten und Unterlagen des Bundes, wenn diese bisher deshalb nicht in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Bundesarchivs gelangt sind, weil sie "privatisiert" wurden. Die gesetzlichen Regelungen müssen verfassungskonform, also unter Beachtung der Anforderungen des Grundgesetzes, ausgelegt und angewendet werden. Und das ist gar nicht so einfach. Dabei geht es vor allem um die Schutzgewährleistungen der Grundrechte der Presse- und Informationsfreiheit sowie der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit.
mein Kommentar:
Oh, wie sind wir Deutschen brav!

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