Donnerstag, 4. Februar 2016

Die »Lügenpresse«

Eines ist sicher: Jeder hat seine eigene Wahrheit. Was öffentliche Wahrheit ist, bestimmt die Kommunikation. Doch wer hat jetzt recht?

Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. Weitere Artikel seiner Kolumne "Fischer im Recht" finden Sie hier – und auf seiner Website.

Liebe Leser! Ich muss Ihnen eine traurige Mitteilung machen. Was Sie hier lesen, ist ein Text über Lügenpresse. Er erscheint – wo sonst? – in der Lügenpresse, also außerhalb der "Wahrheit" dessen, der es für erwiesen hält, dass die Lügenpresse immerzu Lüge anstelle von Wahrheit verbreitet. Aber was hat der Lügenpresserufer selbst zu bieten? Wenn alle Presse Lüge ist, bleibt für die Wahrheit doch nur noch das eigene Tagebuch. Das ist kein Weltniveau, das ist kein Vaterland, das ist gar nichts. Und das weiß auch jeder. Die Sache muss also neu aufgerollt werden.

Frage eins: Was ist Wahrheit, was ist Lüge? Und woher wissen wir das? (Ein fast unauflösliches Dilemma.)

Frage zwei: Kann es sein, dass das nicht neu ist? Haben wir nicht früher schon so etwas gehört?

mehr:
- Medien – Die Lügenpresse (Thomas Fischer, ZEIT Online, 02.02.2016)
Im Folgenden nimmt Fischer einen »kleinen Kommentar« eines der vier FAZ-Herausgeber, Berthold Köhler, genüßlich auseinander:
Am 29. Januar 2016 veröffentlichte die FAZ – die Zeitung für nichts weniger als Deutschland – auf Seite eins einen kleinen Kommentar einer ihrer Herausgeber, Berthold Kohler, zu dem Handgranatenanschlag auf ein Asylbewerberheim in Villingen-Schwenningen: Dieser sei, so lasen wir,

"der Höhepunkt einer langen Reihe von Brandstiftungen und anderen Anschlägen... Offenbar waren nicht bei jeder dieser Straftaten fremdenfeindliche Motive im Spiel. Doch kann niemand daran zweifeln, dass die Migranten (…) Zielscheiben einer zunehmend terroristische Züge tragenden Gewalt werden. Der Staat muss sie mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen, denn auch von dieser Seite her wird sein Gewaltmonopol angegriffen."
Sie werden sagen: Ein FAZ-Text, wie er im Buche steht. Nicht die geringste Unkorrektheit zu erkennen. Ich sage Ihnen: Ein Kunstwerk. Ein Werk, das von der Farbe zwischen den Buchstaben lebt und mit Ihrem Unterbewussten ein güldenes Band der Innigkeit schließt. Aber auch ein Wahrheitswerk? Vermutlich haben nur wenige einen vertiefenden Blick darauf geworfen. Wir tun es, gerade wegen der im Nichts dahinmurmelnden Unauffälligkeit des Textes.

1) Ein (missglückter) Handgranatenanschlag soll "Höhepunkt von Brandstiftungen und anderen Anschlägen" sein. Wie das? Ist ein Weißbrot der Höhepunkt einer Reihe von Schwarzbroten? Sterben Menschen in gesprengten Häusern schöner als in brennenden?

2) "Offenbar" waren "nicht bei jeder dieser Straftaten" fremdenfeindliche Motive "im Spiel". Wenn "Motive im Spiel" sind, weiß der deutsche Journalist in der Regel nichts zu diesen Motiven, tut aber so. Der schlaue Leser weiß dies wiederum, der dumme aber weiß es nicht und denkt, der Journalist sei schlau. Die FAZ weiß es sogar "offenbar". Schwieriges Wort: Bedeutet es "offenkundig" (= für jeden erkennbar"? Oder bedeutet es "es scheint so, als ob" (= vielleicht)? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass der Kommentator weiß, dass wir es nicht wissen. Deshalb schreibt er es ja. So bringt er mit einem klitzekleinen Nebelwölkchen in den Obertönen der Vokabel "offenbar" ein ganzes Weltgebäude ins Zwielicht. Anders gesagt: Nichts Genaues weiß man nicht. Aber wir machen uns Sorgen.

3) "Nicht bei jeder" Tat "spielten" fremdenfeindliche Motive mit. Interessant, Herr Kohler! Bei welcher zum Beispiel nicht? Und woher wissen Sie das? Was ist mit der Handgranatentat? War sie auch bloß der verspätete Silvesterhöhepunkt eines ewig zu spät Kommenden? Diente sie als Ersatz einer von der örtlichen CDU frech verweigerten Abrissgenehmigung? War sie Teil eines noch aufzuklärenden "familiären Hintergrunds"? Und vor allem: Welche anderen Spielmotive dürfen wir uns denken?

4) Es "kann niemand daran zweifeln"! Das ist der Höhepunkt: ein neuer, frischer Ton der Wahrhaftigkeit. Es "kann" (meint: darf) niemand daran zweifeln. Da sind wir knallhart, da haben wir uns entschieden. Jetzt müssen wir bloß noch sagen, welche Tatsache dem Zweifel entzogen sein soll: "Dass Migranten Zielscheiben werden".

Ja, nun gut. Man hätte natürlich auch sagen können: Zielscheiben sind. Denn "werden" ist ja wieder so eine deutsche Zweifelsform – irgendwo zwischen dem Futur I von Sein und dem Präsens von werden. Denn das schöne Hilfsverb "werden" hat ja auch noch – der FAZ-Journalist saugt so was natürlich mit der Muttermilch ein – eine Nebenexistenz als Quasi-Hauptverb. "Was willst du denn mal werden?", fragt Tante Elfriede ihren kleinen Neffen, und Adolf H. "beschloss, Politiker zu werden". Hei, und schon wieder purzeln die Bedeutungen durcheinander! Gerade eben meinten wir noch etwas ohne Zweifel, und schon wissen wir nicht mehr, ob wir nicht das pure Gegenteil gesagt haben! Die Migranten: Sind sie nun, oder werden sie Zielscheiben?

5) Eine Zielscheibe ist eine Scheibe, auf die man zielt. In der Mitte des Migranten ist ein schwarzer Punkt, das ist die Zehn. Außen ist weiß, da ist die Null.

"Migranten werden Zielscheibe": Auf diese Metapher muss man erst kommen. Der normale – sagen wir: mitfühlende, analytische, empathische – Mensch würde sagen: "Migranten werden Opfer von Gewalt", oder "Migranten werden Ziel von Gewalt". Der Herausgeber der Zeitung für Deutschland sagt: Migranten werden "Zielscheibe". Wir sagen: Sigmund Freud, mach uns einen Termin!

6) Aber bitte: Zielscheibe für wen oder was? Wir haben den Akkusativ erwartet und bekommen den Genitiv: "einer zunehmend terroristische Züge tragenden Gewalt".

Da kommt es ganz verdichtet! "Terroristische Züge". Mit den "Zügen" machen wir es uns hier einmal einfach, sonst bleibt kein Platz mehr: "Züge" = Gesichtszüge = Form. (Na ja.) Was ist terroristische Form? Hier wirft der Jurist einen Blick ins Strafgesetzbuch: Paragraf 129a – Terroristische Vereinigung ist eine Vereinigung, die sich zur Begehung bestimmter Straftaten bildet (siehe Kolumne der vergangenen Woche). Abs. 1: Mord und Totschlag. Passt. Abs. 2: Schwere Brandstiftung und Sprengstoffexplosion. Passt auch.

Jetzt noch das "zunehmend". Wenn Sie, liebe Leserin, abends das Bad blockieren: Tragen Sie darin dann zunehmend die Züge von Angelina Jolie? Wenn Dr. Jekyll in den Keller hinab- und Mr. Hyde aus demselben emporschleicht: Trägt er dann zunehmend die Züge von Donald Trump?

Ein Sprengstoffanschlag ist "Höhepunkt einer langen Reihe von Brandstiftungen". Deshalb trägt die Handgranate "Züge" einer "zunehmend terroristische Züge tragenden" Gewalt. Es geht auch noch schlimmer. Die "terroristischen Züge" sind natürlich beim ersten Brandanschlag noch klein. Beim zweiundzwanzigsten auch. Beim vierhundertzwölften Brandanschlag denkt der FAZ-Leser darüber nach, ob die "terroristischen Züge" einen Schritt nach oben gemacht haben könnten, auf der nach oben offenen Skala.

Und jetzt, am Höhepunkt einer langen Reihe (scil.: Sie ist 1.000 Anschläge lang), müssen wir erschüttert feststellen: Es könnte sein, dass – vorbehaltlich anderer Erkenntnisse – sich ein Indiz dafür findet, dass dies alles kein Zufall ist, sondern tatsächlich "Züge trägt". Bitte sehr: Das heißt nicht, dass es schon Terrorismus ist. Sie, liebe Leserin, werden ja auch nicht Angelina Jolie, nur weil Sie aus einem bestimmten Blickwinkel bei Kerzenlicht deren Züge tragen. Die Vorverurteilung ist die Mutter der Lüge. Wer wüsste dies besser als die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland?

7) Wenn es aber nun doch am Ende einmal so wäre – was dann? Da kennt die FAZ kein Pardon: "Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln" muss der Staat zuschlagen, wenn es so wäre, wie es ist.

Was heißt das nun, verehrte Qualitätspresse? Was heißt das bei 1.000 terroristischen Anschlägen in einem Jahr, 350 im Untergrund lebenden, per Haftbefehl gesuchten Rechtsradikalen, einem NSU-Prozess in München mit vorerst zehn mutmaßlichen Mordopfern?

Zur Veranschaulichung gedenken wir der Leitartikel der FAZ nach dem zweiten Brandanschlag der RAF oder nach deren mutmaßlichem vierten Mord. Und versuchen uns vorzustellen, was man damals mit "Alle zur Verfügung stehenden Mittel des Rechtsstaats" gemeint hat. Wissen, ahnen, albträumen Sie, liebe Leser, was das ist? Haben Sie eine Vorstellung davon, zu was unser Staat – mit Ihrer Zustimmung oder ohne – fähig ist, um 350 potenzielle Terroristen zu fangen oder zu "Zielscheiben" zu machen?

8) Und jetzt, als Höhepunkt, die Kamelle-Kanone, die Strüssche-Granate: "Denn (!) auch von dieser Seite her", sagt Herr Kohler, wird "das Gewaltmonopol des Staats angegriffen". Mit "dieser Seite" meint er den rechtsradikalen Terrorismus, an dem "niemand zweifeln kann". Und wieder haben wir zwei nörgelige Fragen, eng verwoben:

a) Was bedeutet ""Gewaltmonopol"? Ich meine das nicht allgemein, sondern im speziellen Zusammenhang. Ist jemals einer in diesem Land auf die Idee gekommen, die Ermordung Siegfried Bubacks oder Hanns-Martin Schleyers sei "ein Angriff auf das Gewaltmonopol des Staates"? Und deshalb müsse der Staat "mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln" gegen die Mörder vorgehen? Hat also, anders gesagt, irgendeiner jemals Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt vorgeworfen, sie hätten sich in Dinge eingemischt, die sie nichts angehen und für deren Erledigung eher der Staat zuständig sei? Darf man ernstlich schreiben, der rechtsradikale Terrorismus verletze, wenn er Migranten wegen ihres So-Seins ermordet, das "Gewaltmonopol des Staates"?
b) Und was bedeutet: "auch"? Von welcher anderen Seite her wird "das Gewaltmonopol des Staates" denn sonst noch angegriffen? Wir können, beim besten Willen und allen Auslegungskünsten, nur eine dem Kommentar immanente Antwort finden. Sie lautet: Das Gewaltmonopol des Staates wird nicht nur von den rechtsradikalen Terroristen, sondern "auch" von deren "Zielscheiben" angegriffen, also den "Migranten". Das muss man erst mal ersinnen. In einem Kommentar der Zeitung für Deutschland zu einem Handgranatenanschlag auf ein Flüchtlingsheim.

Damit sind wir am Ende unserer kleinen Deutschstunde angekommen. Was hat sie uns gezeigt? Sprache ist eine komplizierte Sache. Wahrheit ist nicht immer das, was sie zu sein scheint. Sprache formt, gestaltet, interpretiert und erzwingt Wahrheiten. Und manchmal sind die bedeutsamen Windungen der vorgeblichen Meinung nicht mehr als deren schlichtes Gegenteil.
siehe auch:
Der Ukraine-Konflikt 2 – Über unterschiedliche Meßlatten und die Verwendung von Sprache am Beispiel der Homosexuellen-Gesetzgebung in Deutschland und des israelisch-palästinensischen Konflikts (Post, 21.03.2014)
Publizist Volker Bräutigam erhebt beim Rundfunkrat Beschwerde (Post, 06.11.2014)
- Unsere Welt besteht aus Geschichten (Post, 17.12.2015)

mein Kommentar:
Lieber Herr Fischer, 
ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich dazu herbeilassen würden, Ihren geballten Intellekt auf die Medienberichterstattung zur die Ukraine-Krise loszulassen!

ZAPP: Vertrauen in Medien ist gesunken {13:46}

Veröffentlicht am 22.12.2014
Newskritik Archiv
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Kein Wunder sinkt das Vertrauen der Leute in die Medien. Es wird überall manipuliert, unkontrolliert abkopiert, Nachrichten von Agenturen abgekauft, usw.
Inzwischen weiss ein jeder, dass man den Massenmedien nicht bei Allem glauben sollte. Daran sind die Massenmedien vielfach selber Schuld.

Mein Kommentar:
Wie wäre es zum Beispiel mit der Programmbeschwerde zur Sendung Frontal21 vom 05.08.2014? (Neue Programmbeschwerde wegen Berichterstattung über Ukraine, Propagandaschau, 08.08.2014)
Die Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e.V. begründet ihre Beschwerde wie folgt:
Zwischen dem Beitrag zum Bürgerkrieg in der Ukraine und dem Satirebeitrag TOLL wird ab Minute 41:45 von der Moderatorin Ilka Brecht geäußert, dass „die Separatisten ihr wahres Gesicht bei den Plünderungen auf dem Trümmerfeld der MH17 gezeigt“ hätten.
Wir sehen in dieser unbewiesenen Behauptung klare Verstöße gegen die Programmgrundsätze § 5 (3), § 6 (1)sowie § 8 (1) des ZDF-Staatsvertrages sowie gegen I.4. der ZDF-Programmrichtlinien.
Wie sie die Nachbemerkung in der Programmbeschwerde
Es ist zu befürchten, dass auch diese Programmbeschwerde nicht die geringsten Folgen haben wird. Längst ist klar, dass wir es hier nicht mit journalistischer Schlamperei, sondern gezielter Irreführung der Bevölkerung zu tun haben.
interpretieren werden, darüber mache ich mir schon jetzt sehr erfreuliche Phantasien!
Auch finde ich es außerordentlich reizvoll, mir auszumalen, was sie über 
die Medienberichterstattung zum Umgang mit den Leichen der Absturzopfer von Flug MH-17 
- Ukraine 13 – Unser westliches Propaganda-System am Beispiel der MH 17-Berichterstattung (Post, 27.07.2014),
zum Tagesthemen-Bericht vom 20.05.2014 über angeblich »Zehntausende in einem Fußballstadion«
- Unsere Qualitätsmedien: Das sind keine Irrtümer; das sind Lügen, Propaganda und Zensur! (Post, 09.12.2014)
oder zu Putins Isolation auf dem G20-Gipfel in Melbourne 
Tagesschau sachlich und objektiv: »Putin, einsam und verlassen« (Post, 19.11.2014)
zu sagen haben…




TTIP: Deutscher Richterbund lehnt Schiedsgerichte ab

Offene Kritik an der EU-Kommission: Die Juristen sehen weder Rechtsgrundlage noch Notwendigkeit für die Schiedsgerichte, die als Teil von TTIP eingeführt werden sollen.
Der Deutsche Richterbund lehnt einen öffentlichen Investitionsschiedsgerichtshof ab. Sie sähen "weder eine Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit für ein solches Gericht", schreiben die Richter und kritisieren damit ganz offen die EU-Kommission. Die will einen solchen Gerichtshof (ICS) mit dem geplanten europäisch-amerikanischen Handelsabkommen TTIP einrichten, und so ausländischen Investoren besondere Klagemöglichkeiten gegen Staaten einräumen.

Die Richter kritisieren, "die Schaffung von Sondergerichten für einzelne Gruppen von Rechtsuchenden" sei der falsche Weg. Ein öffentlicher Gerichtshof für Investoren würde die Rechtssetzungsbefugnis der Mitgliedsstaaten und der Union zu stark beschränken. Es fehle ihm zudem die nötige Rechtsgrundlage. Und das Verfahren zur Ernennung der Richter genüge nicht den internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit von Gerichten.

Dass nun ausgerechnet der wichtigste Interessenverband der deutschen Richter den Kommissionsvorschlag ablehnt, ist ein starkes Signal an Brüssel. Denn die Kommission will ihren Gerichtshof als globale Alternative zu den umstritten privaten Schiedsgerichten etablieren. Sie will ihn daher nicht nur im TTIP-Vertrag verankern, sie hat ihn bereits in einen Handelsvertrag mit Vietnam geschrieben. Und sie verhandelt darüber derzeit mit Kanada, mit dem im vergangenen Jahr der Ceta-Handelsvertrag geschlossen wurde. Hier will die Kommission allerdings die Regeln für den Investitionsschutz nachbessern und auch hier private Schiedsgerichte durch das öffentliche Gericht ersetzen. Damit, so hofft die Kommission, steigen die Chancen, dass die europäischen Abgeordneten dem Vertrag zustimmen.

mehr:
- TTIP : Deutscher Richterbund lehnt Schiedsgerichte ab (Petra Pinzler, ZEIT Online, 03-02-2016)
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Sexismus-Klage gegen Yahoo

Schwere Anschuldigungen gegen Yahoo und dessen Chefin Marissa Mayer erhebt ein ehemaliger Redakteur des Unternehmens: Sexismus, Toleranz eines Bestechungsversuchs sowie rechtswidrige Massenkündigungen.

Eine gegen Yahoo eingebrachte Klage des ehemaligen Mitarbeiters Gregory Anderson gewährt Einblicke in die Unternehmenskultur. Sollten die Vorwürfe auch nur im Ansatz stimmen, würde das den Niedergang Yahoos erklären. Ein von Yahoo-Chefin Marissa Mayer eingeführtes, abstruses Benotungssystem soll der "Rechtfertigung" laufender Kündigungen dienen. Und Männer würden aufgrund ihres Geschlechts systematisch diskriminiert.

Der Druck auf die Belegschaft ist offenbar enorm. Laut der Klageschrift wollte ein Mitarbeiter Anderson bestechen, damit ein Kollege schlechter beurteilt werde. So wollte der Mann seinen Arbeitsplatz auf Kosten des Kollegen retten. Anderson habe den Vorfall gemeldet; statt Konsequenzen für den Bestechungsversuch habe das Konsequenzen für Anderson gehabt: Die Lebensgefährtin des Mannes sei eine Vorgesetzte Andersons gewesen und habe sich mit einer schlechten Note für Anderson gerächt.

Anderson war in einer leitenden Funktion im Mediengeschäft Yahoos tätig und hat nach eigenen Angaben vor Marissa Mayers Amtsantritt im Sommer 2012 gute Noten, Beförderungen, Gehaltserhöhungen und Lob bekommen. Doch im November 2014 sei er plötzlich wegen angeblich miserabler Leistungen gegangen worden.
mehr:

- Sexismus-Klage gegen Yahoo (Daniel AJ Sokolov, heise Online, 04.02.2016)

siehe auch:
- Der Mann als Wille und Vorstellung (Selma Mahlknecht, Telepolis, 30.01.2016)

Bei jungen Menschen verändert sich der moralische Kompass

Bei jungen Menschen, so eine US-Studie, verändert sich der moralische Kompass, Müll nicht zu recyceln, gilt als verpönter als das Anschauen von Pornos
Ältere Erwachsene, vor allem aber Jugendliche wenden sich zunehmend Pornographie auch deswegen zu, weil das "weniger riskant ist, als wirklich Sex zu haben". Das ist ein Ergebnis einer groß angelegten Studie, die von der kalifornischen Barna Group, die sich als Wissenschaftsorganisation zur Vermittlung von Religion und Kultur sieht und christlich orientiert ist, in Auftrag gegeben wurde. Erste Ergebnisse wurden nun bekannt gegeben, die Studie "Das Porno-Phänomen" soll dann im April veröffentlicht werden. Gesprochen wird von einer "Pornofizierung der Kultur".

Für die Studie wurden 3000 Amerikaner befragt. Ziel sei es, die Diskussion über Pornographie zu einer "gesunden" Veränderung zu führen, weil vieles, was im Hinblick auf "Pornographie in der digitalen Kultur" gemacht wurde, nicht besonders gut zu funktionieren scheint, meinen die Autoren. So sei schon der Begriff schwer zu definieren, für Amerikaner sei Pornographie mehr Funktion als Form, was meint, dass all das als Pornographie verstanden wird, was der sexuellen Erregung dient. Allerdings würden die meisten Amerikaner nicht sagen, dass Nacktheit oder teilweise Nacktheit schon Pornographie sei. Dabei werden auch gerne schon mal nackte Brüste, selbst bei stillenden Frauen, von den Betreibern sozialer Netzwerke zensiert.

Warum von Jugendlichen und älteren Menschen gerne auf Pornographie zugegriffen wird, weil sie weniger riskant als wirklicher Sex ist, ist den Autoren offenbar nicht klar. Das geschehe in den Altersgruppen wohl aus unterschiedlichen Gründen, vermuten sie wenig erhellend. Jugendliche und junge Erwachsene würden öfter als Erwachsene Pornographie aus "Langeweile, Neugier oder Lust" nutzen. Die 25-50-Jährigen hingegen eher, um Sextipps zu erhalten oder in Stimmung zu kommen.

Nach den Ergebnissen hätte sich bereits ein Wandel vollzogen. Pornographie könne man besser wissenschaftlich untersuchen, es sei kein Tabu mehr wie früher. Nur wenige würden noch Schuld empfinden, wenn sie Pornographie nutzen, vor allem Jugendliche und gläubige Christen. Wenn den Befragten die Möglichkeit angeboten wurde, die Beantwortung von persönlichen Fragen zu überspringen, hätten 90 Prozent diese dennoch beantwortet.

mehr:
- Pornographie in der digitalen Kultur (Florian Rötzer, Telepolis, 04.02.2016)