Mittwoch, 20. Dezember 2006

Vorweihnachtliches

Im Juni 1922 wurde der Außenminister der ersten Deutschen Republik, Walther Rathenau, hervorragender Sohn eines hervorragenden Vaters, von Fememördern erschossen. Den jungen Fanatikern, ersten Gefolgsleuten Hitlers, war er ein verächtliches Sinnbild friedlichen Aufbaus nach der Niederlage, das Hindernis auf ihrem Wege zur Macht und zudem verhaßter Inbegriff des deutschen Judentums.

Zwei Mörder richteten sich selbst, als sie sich umzingelt sahen; der dritte, der 21jährige Werner T., entsprang. Am Tage nach dem Mord erhielt die Mutter des Mörders einen Brief von Mathilde Rathenau, der Mutter des Ermordeten. Hier sein Wortlaut:

„Im namenlosen Schmerz reiche ich Ihnen, Sie ärmste aller Frauen, die Hand. Sagen Sie Ihrem Sohn, daß ich im Namen und im Geiste des Ermordeten ihm verzeihe, wie Gott ihm verzeihen möge, wenn er vor der irdischen Gerechtigkeit ein volles öffentliches Bekenntnis ablegt und vor der göttlichen bereut. Hätte er meinen Sohn gekannt, den edelsten aller Menschen, so hätte er die Mordwaffe eher auf sich selbst gerichtet als auf ihn. Mögen diese Worte Ihrer Seele Frieden geben.“

Zwanzig Jahre nach jenem Brief begab sich folgendes: Werner T., der gefaßt, verurteilt und 1927 begnadigt worden war, tauchte im Zweiten Weltkrieg als französischer Fremdenlegionär und später als Matrose wieder auf. Der Nationalsozialismus hatte inzwischen Deutschland und die halbe Welt erobert. Aber eine Eroberung war ihm entglitten: die Seele des jungen Rathenau-Mörders. Die Erschütterung, die der Brief Mathilde Rathenaus bewirkte, ging durch und durch. Werner T. hat nicht nur gebüßt, sondern bereut und gutgemacht. Um seine Tat zu sühnen, setzte er sich jahrelang während der deutschen Okkupation Frankreichs mit allen Mitteln für das verfolgte Freiwild Hitlers, vor allem für die Juden, ein. Nach zuverlässigen Berichten hat er auf diese Weise mehr als siebenhundert Menschen vor Tod und Marter bewahrt, oft auf seltsamen Umwegen. Der Brief einer Mutter, die tiefste Menschlichkeit über tiefstes Mutterleid stellte, rettete nicht nur siebenhundert Menschenleben; er rettete eine Menschenseele, die in die Irre ging.

Quelle unbekannt