Helmut Schmidt war einer der Großen des vergangenen Jahrhunderts, bis zum Schluss des Wortes und der Rede mächtig, ein bedeutender Politiker und Publizist, aber am Ende trotzdem machtlos. Seine Bücher waren Bestseller, seine immer selteneren Auftritte im Fernsehen Quotenrenner, seine Interviews – vor allem die mit dem „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo („Auf eine Zigarette“) – Kult.
Die Ratschläge, die der Pensionär als Publizist und Buchautor den aktiven Politikern gab, wurden gern gehört, aber selten befolgt. Seine Warnungen vor einer noch schlimmeren Finanzkrise und weiteren Auswüchsen des „Raubtierkapitalismus“ viel zitiert, aber wenig beachtet. Zum Beispiel seine konkrete Forderung, die G-20-Staaten sollten durch „gemeinsam verabredetes Handeln“ den Handel mit Derivaten und faulen Krediten nicht nur auf nationaler oder europäischer Ebene, sondern weltweit verbieten.
mehr:
- Ein deutscher Methusalem (Hartmut Palmer, Cicero, 09.11.2015)
mein Kommentar:
Mann kann sich heute und wohl auch in den nächsten Tagen vor den medial geforderten Lobhudeleien kaum schützen. ich würde mein Augenmerk gern auf einen anderen Punkt lenken: Von Helmut Schmidt bis Angela Merkel hat es fünfundzwanzig Jahre gedauert. Wenn wir heute über Helmut Schmidts Tod trauern, sollten wir uns fragen, was sich in unserer Gesellschaft geändert hat, daß Leute wie Angela Merkel wählbar sind.
Dei beiden aus meiner Sicht zutreffendsten Aussagen zu seinem Tod:
»Wir Deutschen haben eine Vaterfigur verloren.« (Frank-Welter Steinmeier, Außenminister)
Der Jahresrückblick 2011 Teil 1.mp4 [14:59] mehr auf Youtube»Helmut Schmidt ist tot, und wir, die ihn überlebt haben, müssen jetzt erwachsen werden. Ob wir es wollen oder nicht.« (Giovanni di Lorenzo, Chefredaktuer der »Zeit« am Dienstag in Hamburg)
Hochgeladen am 27.12.2011
Der Jahresrückblick 2011. Helmut Schmidt im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo.
Giovanni di Lorenzo über Helmut Schmidt: "Er ist ein recht zufriedener Mensch" [5:29]
Veröffentlicht am 13.11.2014
ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo über Helmut Schmidt: Wie der Altbundeskanzler auf Betriebstemperatur kommt und warum er sich mit Journalisten schwertut.
Angela Merkel wird »Mama« genannt. Wer wählt Mama als Kanzler? Ein Kindergarten.
Obwohl es wahrscheinlich nicht gendergerecht ist: es heißt »Vater-« und nicht »Mutterfigur«. Und das macht Sinn:
Die psychischen Folgen der Vaterlosigkeit sind nur in Umrissen bekannt und wurden in Deutschland kaum systematisch erforscht. Das biografische Echo dieser traumatischen Erfahrung erfährt erst in allerletzter Zeit verstärktes wissenschaftliches Interesse. Eine psychosomatisch-epidemiologische Langzeitstudie an der Mannheimer Normalbevölkerung, in der auch der Langzeitverlauf psychischer und psychosomatischer Erkrankungen untersucht wurde, erbrachte als wesentliches Ergebnis, dass die „Kinder des Krieges“ (die Geburtsjahrgänge 1935 und 1945), denen in den ersten sechs Lebensjahren der Kontakt zum Vater fehlte, noch über 50 Jahre später ein deutlich höheres Risiko für psychische Störungen aufwiesen als die Kriegskinder derselben Jahrgänge, die einen konstanten Kontakt zum Vater hatten. Aus psychoanalytischer Sicht verdeutlicht Hartmut Radebold in seinem Buch Abwesende Väter. Folgen der Kriegskindheit in Psychoanalysen diese Zusammenhänge anhand eindrucksvoller Fallgeschichten. (Matthias Franz, Wenn der Vater fehlt, Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft)
In einer weiteren Metaanalyse untersuchten Allen Russell und Judith Saebel 287 Studien. Immerhin 40 Prozent dieser Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass sich Väter ihren Kindern gegenüber deutlich anders verhalten als Mütter. Danach legen Väter in ihren Spiel- und Freizeitaktivitäten einen starken Akzent auf Motorik und Körper. Sie fördern Selbständigkeit und Individuation und betonen das Geschlecht des Kindes. (Inge Seiffge-Krenke, Gut, dass sie anders sind, Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft)
»Jungen, die ohne Vaterfigur aufwachsen, auch das ist vielfach bewiesen, orientieren sich entweder am Weiblichen und passen sich an oder überkompensieren ihre männliche Identität.« (Melanie Mühl, S. 132, zitiert in Elke Pechmann, Rezension – Melanie Mühl: Die Patchwork-Lüge, Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft)
Die Bedeutung des Vaters für die Töchter ist nicht minder relevant: „Der Vater ist derjenige, der das Kind lehrt, der ihm den Weg in die Welt weist. Der Vater versöhnt die Tochter mit dem Fremden.“ (Melanie Mühl, S. 134, zitiert in Elke Pechmann, Rezension – Melanie Mühl: Die Patchwork-Lüge, Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft)
Melanie Mühl greift die Bedeutung des Vaters auf, um den vermeintlichen gesellschaftlichen Konsens, es sei egal, mit wem Kinder aufwüchsen, zurückzuweisen. „In den ersten Monaten, das hat die Bindungsforschung eindrucksvoll nachgewiesen, entstehen tiefe Bindungen, zu Mutter und Vater, der eben nicht erst dann eine wichtige Funktion übernimmt, wenn er mit seinem Kind Fußball spielen kann. Trotz der eindeutigen Belege gibt es nach wie vor noch genügend Stimmen, die beharrlich behaupten, jeder Vater sei ersetzbar, egal ob durch Stiefvater, einen Samenspender oder eine zweite Mutter.“ (Melanie Mühl, S. 131, zitiert in Elke Pechmann, Rezension – Melanie Mühl: Die Patchwork-Lüge, Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft)
Der US-amerikanische Sozialhistoriker David Blankenhorn, den Mühl als Beleg ihrer Kritik über die angebliche Bedeutungslosigkeit des Vaters zitiert, ist aufgrund seiner Forschungen davon überzeugt, dass anwesende Väter wesentlich zur Stabilität einer Gesellschaft beitragen. „Ohne Vater aufzuwachsen, ist die Hauptursache für die wachsenden sozialen Probleme wie Kriminalität, Teenager-Schwangerschaften und Gewalt gegen Frauen in der Familie“, warnt Blankenhorn. (Angelika Faas, zitiert in Gute Väter sind eine "Freikarte" für ein erfülltes Liebesleben, T-Online; zitiert in Elke Pechmann, Rezension – Melanie Mühl: Die Patchwork-Lüge, Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft)
Väter spielen für die Entwicklung von Kindern eine wesentliche Rolle, gerade weil sie anders als die Mutter mit ihnen umgehen. Sie bestimmen maßgeblich das Selbstwertgefühl der Kinder, unterstützen die Autonomie, fördern Motorik und Spielverhalten. Die Bedeutung des Vaters für die kindliche Entwicklung wurde lange unterschätzt (siehe Interview: „Über ,normale‘ Väter wissen wir erstaunlich wenig“ in PP 10/2002). Doch häufig scheitert die „soziale Vaterschaft“, das Konzept vom Vater als Erzieher und Betreuer. Der Vater ist in vielen Familien abwesend, beziehungsweise zieht sich auf die Rolle des Ernährers zurück. Das ermittelte Prof. Dr. Dr. Wassilios E. Fthenakis, Staatsinstitut für Frühpädagogik der Universität München, in einer Längsschnittstudie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums (2). Vor der Geburt des ersten Kindes sehen sich noch 67 Prozent der werdenden Väter in der Rolle des sozialen Vaters und nur 33 Prozent in der des Brotverdieners. Aber: „Das ideale Konzept der Väter hat in diesem Land keine Chance zur Umsetzung“, betonte der „Pionier der Vaterforschung“. Zieht der Mann sich auf die Rolle des Ernährers zurück, liegt das zumeist an der abnehmenden Qualität der Partnerschaft. Diese sinkt in den meisten Familien nach dem ersten Kind – Streit und Kritik am Partner nehmen zu, Sexualität nimmt ab. Nach dem zweiten Kind verfestigt sich dieses Phänomen (Grafiken 1 und 2). (Petra Bühring, Psychoanalyse und Familie: Andere Lebensfomen – andere Innenwelten, Ärzteblatt, Januar 2014)siehe auch:
- Helmut Schmidt? – Na ja! (AlterMannBlog, 11.11.2015)