Wir müssen sie ernst nehmen, die Ängste der Menschen, der Bürger. Es sind Politikersätze. Signale an all die Abtrünnigen, doch endlich zurück in den Schoß der Etablierten zu kehren. Innenminister Thomas der Maizière übt sich gerade darin. Den Pegida-Demonstranten reicht er die Hand, warnt vor Stigmatisierung.
Parolen der friedlichen Revolution von 1989 ad absurdum geführt
Natürlich, Ängste sollten ernst genommen werden, wenn sie denn begründet sind. Sofern man es aber mit diffuser, unbegründeter Angst zu tun hat, sollten die Ängstlichen ihre Angst hinterfragen.
Denn: Was genau sollen wir eigentlich ernst nehmen? Sollen wir ernsthaft über die Islamisierung des Abendlandes diskutieren? Ernsthaft über Überfremdung in von Fremdheit unberührten Landstrichen wie den neuen Bundesländern? Müssen wir uns ernsthaft fragen, ob wir Einwanderungsland sein wollen, mit allen Schwierigkeiten, die das nun einmal mit sich bringt?
mehr:
- Angst vor Überfremdung – Nein, wir dürfen sie nicht ernst nehmen (Timo Stein, Cicero, 12.12.2014)
mein Kommentar:
Dieser Artikel demonstriert das Problem, nämlich die Diskussionsverweigerung.
Eltern oder auch Partner müssen für sich natürlich entscheiden, wie sie mit den Gefühlen des Anderen umgehen. Aber in einer Beziehung müssen die Beteiligten immer das Gefühl haben, ernst genommen zu werden.
»Auch müssen Männer sich hüten, die Diskussion dadurch abzuschneiden, daß sie voreilig eine praktische Lösung anbieten - einer Frau ist es zumeist wichtiger, daß sie das Gefühl hat, daß ihr Mann ihrer Klage Gehör schenkt und einfühlsam auf ihre Gefühle bezüglich des Problems eingeht (auch wenn er sie nicht teilen muß). Seinen praktischen Ratschlag könnte sie so empfinden, als seien ihre Gefühle für ihn bedeutungslos. Männer, die es fertigbringen, eine erhitzte Auseinandersetzung mit ihrer Frau durchzustehen - statt ihre Klagen als kleinkariert abzutun - , verschaffen ihrer Frau das Gefühl, daß man ihr zuhört und sie achtet. Frauen wünschen ganz besonders, daß ihre Gefühle als triftig anerkannt und beachtet werden, auch wenn ihre Männer anderer Meinung sind. Meistens beruhigt sich die Frau, wenn sie das Gefühl hat, daß man ihrer Ansicht Gehör schenkt und ihre Gefühle zur Kenntnis nimmt.
Frauen muß ein ganz ähnlicher Rat gegeben werden. Da es für Männer ein großes Problem ist, daß die Frauen ihren Beschwerden allzu heftig Ausdruck geben, müssen Frauen gezielt darauf achten, nicht ihren Mann zu attackieren: Sie sollten sich über das beschweren, was er getan hat, ihn aber nicht als Person kritisieren oder ihm ihre Verachtung zeigen. Wenn sie sich beschweren, greifen sie nicht seinen Charakter an, sondern stellen klar, daß ein bestimmtes Verhalten ihnen zu schaffen macht. Eine wütende persönliche Attacke führt fast immer dazu, daß der Mann in Abwehrhaltung geht oder mauert, was die Frau nur noch mehr frustriert und eine Eskalation des Streits nach sich zieht. Auch ist es hilfreich, wenn eine Frau ihre Beschwerde in die beruhigende Versicherung verpackt, daß sie ihren Mann liebt.« (Streitigkeiten in der Partnerschaft, Goleman, Emotionale Intelligenz)
Kein Mensch hält es aus, wenn er längere Zeit das Gefühl hat, nicht beachtet zu werden.
Und ich werde nicht müde, daran zu erinnern, daß die CDU um 1990 herum die Bemühungen der Grünen um eine Einwanderungs-Gesetzgebung mit dem Argument ins Leere laufen ließen, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Die Folge davon ist aber, daß Schulklassen entstehen, in denen Deutsche eine Minderheit sind. Ich habe selbst ein Gespräch mitbekommen, in dem ein Grundschullehrer einer nordafrikanischen Mutter begreiflich zu machen versuchte, wie wichtig das Erledigen von Hausaufgaben ist. Und meine Kinder haben erfahren, wie es ist, neben ausländischen Kindern zu sitzen, die nicht still sitzen können.
Wenn Thilo Sarrazin sich so gut verkauft wird dies unter Zuhilfenahme seiner populistischen Argumentation erklärt. Daß da ernsthafte Probleme der Menschen dahinterstecken könnten, paßt nicht in unsere politisch korrekte Landschaft. Anstatt ihn zu stigmatisieren und aus der Deutschen Bank hinauszudrängen, hätte man sich seinen Argumenten stellen sollen. Aber die Kerle hatten ja noch nicht einmal den Mut, ihn zu entlassen!
Aber was bringt Menschen dazu, [Putin] zu glauben? Hauptmotiv ist wohl ein radikaler Antiamerikanismus, bei dem sich Linke und Rechte treffen; gelegentlich kommen antisemitische Sentiments dazu.
Und viele der Menschen, die zu Putin stehen, lehnen den Euro ab, verachten die EU und misstrauen der gesamten westlichen demokratischen, marktwirtschaftlichen und liberalen Ordnung – ganz im Sinne des ungarischen Premiers Viktor Orban und seiner berüchtigten Rede in Rumänien.
Dahinter verbirgt sich eine tiefsitzende europäische Identitätskrise, angefeuert von Globalisierungsängsten, steigender Arbeitslosigkeit und Zorn über Einwanderung. All das wird auf den jetzigen Konflikt projiziert. Die Menschen fühlen sich belogen und betrogen, und halten zu denen, die dieses Europa angreifen. (Warum glauben Putin so viele?, Eric Frey, derStandard.at, 6.12.2014)
Frey macht es sich ganz einfach:
- Antiamerikanismus
- Antisemitismus
- Ablehnung des Euro
- Verachtung der EU
- Mißtrauen der gesamten westlichen demokratischen, marktwirtschaftlichen und liberalen Ordnung gegenüber
- Globalisierungsängste
- steigende Arbeitslosigkeit
- Zorn über die Einwanderung
Aha, na, wenn das so ist, dann braucht man sich nicht groß drum kümmern. Dann müssen die Leute einfach nur Nachhilfeunterricht nehmen, weil sie haben einige Dinge noch nicht kapiert.
Die Menschen fühlen sich nicht gehört und nicht ernst genommen! Und wenn dann eine Flüchtlingsunterkunft angezündet wird, dann werden diejenigen, die jetzt auf die Straße gehen, mit den Gewalttätern in eine Schublade gesteckt.
Peter Scholl-Latour: »Wenn man etwas gegen die Siedlungspolitik sagt, weil sie einfach töricht ist, dann ist man gleich Antisemit… so was Idiotisches! (Video: Ukraine Berichterstattung ist falsch - Peter Scholl-Latour) oder
»Die Freiheitskämpfer [in Libyen] benehmen sich genauso schlimm wie die Truppen Gaddhafis. […] Er ist gefoltert und gepfählt worden. Das sind die Methoden der Freiheitskämpfer. Man soll nicht so furchtbar einseitig schwarz-weiß denken und daran denken, daß der libanesische Bürgerkrieg 15 Jahre lang gedauert hat. - Die Jungs, die da mit Facebook rumspielen, das sind Dilettanten. - Um eine Revolution zu machen muß man Schläger haben und Ganoven haben und nicht irgendwelche jungen Leute, Idealisten. - Dieses humanitäre Geschwafel bin ich leid.« (Video: Peter Scholl Latour rastet aus Syrien , Salafisten, Islam Der Talkshow Eklat)
Das Wohltuende bei Scholl-Latour war, man konnte ihm glauben. Man konnte darauf vertrauen, daß er das sagte, was er meinte. Wir leben in einer Kultur des öffentlichen Diskurses, in welchem Menschen stigmatisiert und ausgegrenzt werden, weil sie das sagen, was sie denken. Das kann man sich gerade jetzt ansehen: Was wird mit Matthias Platzeck (Deutsch-Russisches Forum) und Lothar de Maizière passieren (Petersburger Dialog), nachdem Platzeck die Anerkennung der Krim-Annexion gefordert hat? Wie wird mit dem Appell der 60 umgegangen?
Wenn sich die Menschen nicht mehr ernstgenommen fühlen, dann fängt es an zu grummeln. Diejenigen, die am wenigsten reflektieren und mit ihrer Wut und Hilflosigkeit am schlechtesten umgehen können, werden gewalttätig. Darauf werden die Medien aufmerksam. Aber wir leben – und dafür mache ich Wetterhahn und Mama Merkel verantwortlich – in einer Zeit, in der nicht mehr nur nach Kohl-Manier alles ausgesessen wird. Merkel geht noch einen Schritt weiter: sie schafft den öffentlichen Diskurs ab. Und das ist brandgefährlich, und wir werden dafür zu zahlten haben. Timo Stein ist einer der politisch korrekten Milchbubis, die meinen, ihr Abiturwissen unter die Leute bringen zu können. Aber notwendig ist die Abschaffung der Tabus im öffentlichen Diskurs!
siehe auch:
- Populismus: Die Irrtümer der Linken (Ernst Hillebrand, Internationale Politik und Gesellschaft, 22.04.2014)
- Kommentar Populismus: Die Pegida-Wutbürger sind mehr Mitte als Mob (Ulrich Clauß, Die Welt, 13.12.2014)