Die politische Streitkultur auf dem Weg zur argumentationsarmen Null-Toleranz?
Mit "Hassgesellschaft" überschrieb Martin Walter im November einen Tagesschau-Artikel zur Kommentarkultur im Internet. Es war ein Beitrag zur Themenwoche Toleranz. Walter beschreibt darin ein Phänomen, das als Thema ständig wiederkehrt, das Troll-Wesen: "Kommentatoren, die keine Diskussion wollen, sondern auf Streit aus sind, destruktiv und zerstörend." Dem stellt er mit der Freude des Journalisten an griffigen Anekdoten fürs Aufschließen von verknäulten und verwirbelten Problemzonen das Zitat eines Vielkommentierers bei: "Provozieren, das ist wie ein Orgasmus."
In der Tagesschau-Darstellung, wie auch in anderen kritischen Artikeln über hetzerische und gehässige Kommentare im Internet, ist die Kulturkritik auf das "trollige Kommentariat" ausgerichtet, auf diejenigen, die unter Artikeln der großen Medien ihre Meinung abgeben oder daneben: auf Facebook, Twitter oder kleineren Publikationen. Es entsteht der Eindruck eines neuen Plebs. Für mobähnliche Shitstorms im Netz lassen sich bekanntlich leicht Beispiele finden - wobei scharfen Beobachtern auffällt, dass sich daran mitunter auch Öffentlichkeitsaktivisten beteiligen, die ihre eigene Internettätigkeiten nicht gerne in Mob- oder Plebs-Kategorien widergespiegelt wissen möchten.
Die Abgrenzung von der "Kommentariatsunterschicht" mit ihren ungezügelten Emotionen und Hasstiraden dürfte auf jeden Fall für Kommentatoren zutreffen, die prominent und gut sichtbar auf der Webseite eines Leitmediums schreiben, das viel auf den bürgerlichen Kanon, auf die Tradition des Gut-Unterrichtet-Seins, auf sachkundige Artikel mit höherem sprachlichen und intellektuellen Niveau hält.
mehr:
- Kitsch und Hass (Thomas Pany, Telepolis, 18.05.2015)
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