Kisslers Konter: Obwohl die Steuereinnahmen sprudeln, sind keine Pläne bekannt, die Polizei dauerhaft deutlich besser auszustatten. Die Privatisierung der Sicherheit verschärft aber die soziale Spaltung. Es ist Zeit für einen Aufschrei
Die Bundesrepublik Deutschland ertrinkt im Geld, und die Verbrecher freut es. Wer hier einen Fehler vermutet, musste letzte Woche lange suchen. Innerhalb von 24 Stunden fanden in der Verkündigung jeweils aktuellster Zahlen die Welt der Staatsfinanzen und die Unterwelt der Kriminalität passgenau zusammen. Die Steuereinnahmen explodieren, die Verbrechen kommen kaum hinterher, sind aber in einem sehr stabilen Aufwärtstrend begriffen. Die „Kriminalstatistik 2014“ brachte es an den Tag: Der reiche Staat ist der Staat, der gerne mal wegschaut, notgedrungen.
Die Statistik lässt, wie jedes Jahr, grübeln über die bundesdeutschen Zeitläufte. Warum nur haben die Fälle von Bestechlichkeit nach Paragraf 332 StGB um 259 Prozent zugenommen und sich damit – relativ – das oberste Plätzchen auf dem Podest des Bösen gesichert? Wenngleich es sich mit 790 Fällen noch immer um ein Nischenphänomen handelt, das ganz gewiss den Flughafen BER beispielsweise nicht tangiert. Warum sind mit einem Anstieg von jeweils mehr als 60 Prozent der „besonders schwere Landfriedensbruch“ und die „Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“ zu Trenddelikten geworden? Bewegen wir uns auf eine Rüpelgesellschaft zu? Und was folgt aus dem Umstand, dass die Quote „deutscher Tatverdächtiger“ um anderthalb Prozent zurückging, während die „Anzahl nichtdeutscher Tatverdächtiger“ um 15 Prozent nach oben ausscherte? Wie ist es um die interkulturelle Tatbekämpfungskompetenz der Beamten bestellt?
Planstellen der Polizei abgeschafft
Eine griffige Formel fand der „Bund Deutscher Kriminalbeamter“ BDK für die Bilanz: „Mehr Täter, mehr Taten!“ Die Politik betreibe Augenwischerei und lasse die Bürger im Stich. Die Statistik gebe keine Auskunft, wie viele Fälle mit einer Verurteilung geahndet werden. Die tatsächlichen Fallzahlen lägen weit über den registrierten 6 Millionen Straftaten. Erschütternd genug, was letzte Woche dennoch bekannt wurde: „Die Wohnungseinbruchsdiebstähle sind auf 152.123 Fälle gestiegen. So hoch wie 2014 war die Zahl der Wohnungseinbrüche seit 15 Jahren nicht mehr. Der Anstieg allein seit 2009 beträgt rund 40 Prozent.“ Einen Grund hierfür wie auch für die Aufklärungsquote von nur 16 und die Verurteiltenquote von nur 2 Prozent liefert der BDK mit: „Die notwendigen personellen und materiellen Ressourcen fehlen an allen Ecken und Kanten. Die demografische Entwicklung und die anstehende Pensionierungswellen werden die Situation gerade bei der Kriminalpolizei bereits in naher Zukunft sogar noch deutlich verschärfen.“
Sehr konkret wurde Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, im Fernsehsender n-tv. „Es sind Tausende Planstellen bei der Polizei abgeschafft worden. Vor 20 Jahren beispielsweise musste ein Einbrecher immer noch einen zweiten mitnehmen, der Schmiere stand, weil sie damit rechnen mussten, dass der Schutzmann um die Ecke kommt, auch morgens um drei. Heute braucht er diesen zweiten Mann nicht mehr, denn er weiß: Da kommt niemand, es ist schlicht und ergreifend niemand mehr da.“
mehr:
- Kriminalstatistik 2014 – Gebt der Polizei mehr Geld! (Alexander Kissler, Cicero, 13.05.2015)
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