Arbeitsbedingungen Amazon steht in der Kritik. Ein Artikel der New York Times prangert das harte Arbeitsklima für höhere Angestellte an – doch das ist nicht das eigentliche Problem
Vor einer Woche veröffentlichte die New York Times einen langen Artikel über die Arbeitsbedingungen bei Amazon. In diesem intensiven Bericht schilderten mehrere ehemalige höhere Angestellte, die knallharten Arbeitsbedingungen. Der Handelsriese geriet umgehend massiv in die Kritik und viele Kunden kündigten bereits einen Boykott an. Doch der Artikel selber sollte kein Grund für einen Boykott sein, denn er schildert nur die Arbeitsbedingungen höherer Angestellter bei einem der Top-Unternehmen unserer globalisierten Wirtschaft. Dass die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter in den Logistikzentren deutlich schlimmer aussehen, verschweigt der Artikel, dabei ist das ein viel größeres Problem und ein besserer Boykottgrund.
New York Times vs. Amazon
In dem Artikel beschuldigt die Times das Unternehmen Amazon, ein wenig bekanntes Experiment durchzuführen, um herauszufinden, wie weit es bei höheren Angestellten gehen kann, bevor die Grenzen des Akzeptablen erreicht sind. Um diesen Punkt zu untermauern, führten die Autoren Jodi Kantor und David Streitfeld Interviews mit über 100 derzeitigen und ehemaligen Amazon-Angestellten. Die öffentliche Meinung kippte schnell gegen das Unternehmen. Kein Wunder, denn die geschilderten Fälle zeichnen ein Bild von Arbeitsbedingungen, das die meisten nicht mit ihrem guten Gewissen in Einklang bringen können.
Eine Mitarbeiterin erhielt nach ihrer Rückkehr von einer Behandlung von Schilddrüsenkrebs eine schlechte Leistungsbewertung, da die Kollegen ihre Abwesenheit kompensiert haben. Eine weitere Mitarbeiterin hatte eine Fehlgeburt von Zwillingen und musste einen Tag nach der Operation auf eine Geschäftsreise, denn die Arbeit müsse schließlich erledigt werden, wie ihr ein Vorgesetzter mitteilte. Dies sind nur zwei Beispiele, die verdeutlichen, was für ein Arbeitsumfeld bei Amazon herrscht. Oder geherrscht hat?!
Es dauerte nur einen Tag, bis aus der Firma heraus zurückgeschossen wurde. Der derzeitige Amazon-Mitarbeiter Nick Ciubotariu schrieb in einem langen Beitrag auf LinkedIn, dass er in den 18 Monaten, in denen er bei Amazon ist, keinen Mitarbeiter an seinem Schreibtisch hat weinen sehen, wie im Times-Artikel beschrieben wurde und dass er nie ein einzelnes Wochenende gearbeitet hat, wenn er es nicht wollte. Auch Amazon CEO Jeff Bezos meldete sich mit einer Memo an seine Mitarbeiter zu Wort und erklärte, dass er glaubt, jeder, der in einer Firma arbeitet, die wirklich so ist, wie sie der Artikel beschreibt, verrückt wäre zu bleiben.
Doch eigentlich widersprechen sich beide Seiten nicht. Bezos leugnet nicht, dass es diese genannten Beispiele gegeben hat. Auch dass das Arbeitsklima sehr rau und darwinistisch war, leugnet weder der CEO, noch sonst jemand. Doch das hat sich nun alles geändert, wenn man dem Firmenchef Glauben schenkt. Dennoch bleibt die Frage, wie groß diese Veränderungen denn im Vergleich zu heute sind und wie weit sie bereits kaskadiert sind, von Bezos unbeantwortet.
mehr:
- Der eigentliche Skandal ist ein anderer (Daniel Kuhn, Freitag-Community, 24.08.2015)
mein Kommentar:
jeder von uns kann für sich entscheiden, ob er ein Unternehmen wie Amazon unterstützen will.
Gesellschaftliche Mißstände werden meist durch die Bequemlichkeit der Menschen aufrechterhalten.
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