In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren – als Deutschland noch geteilt war und es eine BRD und eine DDR gab, als die SPD noch eine sozialdemokratische Partei war und als die Gründung des Grünen-Vorläufers AL (Alternative Liste) in Westberlin noch ein paar Jahre dauern sollte – beschäftigten sich Menschen mit der Tatsache, dass Deutschland seine junge Vergangenheit keineswegs aufgearbeitet hatte, sondern dass stattdessen frühere Nazis weiterhin für den deutschen Staat arbeiteten, in den Behörden saßen, in den Unternehmen und in der Politik. Die Gründung der RAF basierte u.a. auf dieser Tatsache, in den Taten der terroristischen Vereinigung äußerte sich die Wut darüber in gewaltsamen Anschlägen und Morden.
Der westdeutsche Staat reagierte mit einer manchmal verständlichen und sicher richtigen, manchmal aber auch komplett übertriebenen erhöhten Wachsamkeit gegenüber allem, was als politisch links galt. Er reagierte leider nicht mit einer Aufarbeitung der Nazi-Zeit oder mit erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber denen, die sich von anti-demokratischen und rechten Gedanken nicht distanzieren und lösen wollten. Die Behauptung, dass bestimmte Behörden und die Politik in Westdeutschland „auf dem rechten Auge blind“ seien, stammt aus dieser Zeit. Und war alles andere als unbegründet.
Das junge erwachsene Volk der BRD, die nach dem Krieg geborene, nicht intellektuelle Arbeiterklasse, hegte hier und da heimliche Sympathien für diejenigen, die sich gegen das herrschende System auflehnten. Nicht für ihre Morde oder Attentate natürlich, sehr wohl aber für die Kritik an den Mächtigen, die sich gegenseitig die Millionen zuschoben und unter denen noch viele alte Nazis saßen. Unzufriedenheit mit dem System machte diese Generation eher zu Linken als zu Rechten. Ich habe als Kind in den Siebzigern viele (auch ange- und betrunkene) Gespräche der Arbeitskollegen meiner Eltern mitgehört – unter denen kein einziger Akademiker war und viele nicht einmal einen Schulabschluss hatten – die inhaltlich sicher nicht durchweg 1A waren, die aber gleichzeitig weit entfernt von rechtem Gedankengut waren. Die Generation meiner Eltern, mein Vater, seine Kollegen, sie waren SPD-Wähler und stolz darauf. Gerechtigkeit, gleiche Rechte für alle, Solidarität mit Schwächeren, das war ihnen wichtig. Obwohl sie nicht besonders gebildet waren.
Als Jugendlicher im Westberlin der frühen achtziger Jahre hatte man hin und wieder mit jungen Nazis zu tun, mit Neonazis eben. Einige Leute lösten sich aus der Punk-Szene und wurden Skinheads, meist eher aus modischen und musikalischen Gründen (die Musik der englischen Skins der sechziger Jahre, die eher Arbeiter- als Nazi-Wurzeln hatten, war Soul, Reggae und Ska, also schwarze Musik). Manche wechselten aber auch ins politisch rechte Lager, nicht zuletzt beeinflusst von britischen Soldaten, die zur dieser Zeit noch in Westberlin stationiert waren und von denen sich einige Skins mit Sympathie für die National Front in das Berliner Nachtleben und unter die lokale Skinhead-Szene mischten. Diese Phase war manchmal gefährlich in Westberlin, es gab Konzerte mit Schlägereien zwischen Skins und anderen, doch sie hielt nicht an. Linke Skins („Redskins“) formierten sich, die Antifa war zugegen, rechte Skins und andere Neonazis wurden ausgeschlossen und gingen teilweise wegen Gewalttaten auch in den Knast.
mehr:
- Entscheide dich endlich, Deutschland [Updates] (Spreeblick, 25.08.2015)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen