Bundesrichter Dieter Deiseroth über das Vorgehen des Generalbundesanwalts und Whistleblowing
Es kann "kein rechtliches Erfordernis geben, etwas gegen das Recht zu sichern (z.B. durch Geheimhaltung), was nach der verfassungsmäßigen Ordnung Unrecht ist." So sieht es Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, der im Telepolis-Interview auf die Bedeutung von Whistleblowern verweist, die geheime Unterlagen von Behörden der Öffentlichkeit zugänglich machen, um Unrecht aufzudecken.
Bei den geheimen Plänen zur Überwachung des Internets, über die Netzpolitik.org berichtete, handelt es sich aus Sicht von Deiseroth "um schwerwiegende Eingriffe unseres Inlands-Geheimdienstes in wichtige Grundrechte". Im Interview verdeutlicht er, dass ein großes öffentliches Interesse daran besteht zu erfahren, was es mit diesen Plänen auf sich hat.
Der Vorwurf des Landesverrats gegen die beiden Journalisten von Netzpolitik.org ist für Deiseroth "nach der bisherigen Informationslage in keiner Weise nachvollziehbar." Das Ermittlungsverfahren "hat objektiv die Wirkung, investigative Journalisten und unbequeme Kritiker sowie ihre Informanten einzuschüchtern".
mehr:
- Ermittlungen gegen Netzpolitik.org dienen objektiv der Einschüchterung von Journalisten und Informanten (Marcus Klöckner, Telepolis, 08.08.2015)
siehe auch:
- Sie versuchen es immer wieder (Christian Bangel, Milena Hasselkamp, ZEIT Online, 09.08.2015)
Der Fall Netzpolitik.org ist kein singuläres Ereignis. Er gehört in die lange Reihe juristischer Kämpfe von Behörden gegen Journalisten. Das Ziel: Fast immer dasselbe.
Als vor einigen Tagen das Ermittlungsverfahren des gewesenen Generalbundesanwalts Range gegen netzpolitik.org bekannt wurde, setzte die Journalistin Christine Kröger sich an den Computer und schrieb eine Mail an Markus Beckedahl. Was da in den Nachrichten lief, passte genau zu dem, was sie mit Range erlebt hatte. In den Anhang ihrer Mail setzte sie eine Pressemitteilung von ihm aus dem Jahr 2010.
Kröger veröffentlichte damals im Weser-Kurier Dossiers über die Verbindungen von Hells Angels und der Staatsanwaltschaft Hannover, die später auch bei ZEIT ONLINE erschienen sind. Range, damals noch Generalstaatsanwalt in Celle, griff Kröger daraufhin öffentlich an: Sie habe "ungewöhnlich distanzlos" recherchiert, der Fall sei konstruiert, er beruhe auf überaus zweifelhaften Angaben und längst wiederlegten alten Geschichten.
Range dürfte gewusst haben, dass Kröger Einsicht in Behördendokumente genommen hatte. Anzeige aber erstattete er damals nicht. Ihr Dossier Im Zweifel für den Staatsanwalt erhielt 2011 den Henri-Nannen-Preis für die beste investigative Geschichte des Jahres.
Seit die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org bekannt wurden, wird in Deutschland wieder über Pressefreiheit diskutiert. Allerdings scheint es in den Debatten so, als habe es vor diesem Fall nur die Spiegel-Affäre und die Durchsuchung der Cicero-Redaktion gegeben. Dabei sind juristische Schritte von Behörden gegen Journalisten alles andere als ungewöhnlich.
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