Netzpolitik.org Die Medien sind in der Affäre um Geheimdienst-Dokumente ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden
Die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org wegen Landesverrats sind am Montag eingestellt worden. Ein Sieg der Pressefreiheit, sagen viele, und es stimmt auch. Ob sie deshalb aber gut dasteht, ist eine andere Frage. Zeigt denn der Verlauf dieser Affäre, dass wir Deutschen uns um die Pressefreiheit nicht sorgen müssen?
Wenn man die Frage so stellt, melden sich erhebliche Zweifel. Viel Medienkritik ist im letzten Jahr geäußert worden, meist im Zusammenhang mit der Berichterstattung zur Ukrainekrise. Es gab da Mängel, die einem jetzt wieder einfallen, so weit hergeholt es auch scheinen mag, diese Krise mit den Ermittlungen gegen Netzpolitik.org zu vergleichen.
Ein bezeichnender Mangel war, dass die Medien über das Minsker Abkommen vom 5. September 2014 nur wenig und dann allenfalls pauschal berichteten. Das Abkommen wurde nicht im Einzelnen analysiert, kein Leitfaden wurde erarbeitet, anhand dessen die Medien hätten verfolgen können, ob und wie das Abkommen von Kiew und der ostukrainischen Seite umgesetzt wurde. Da das alles nicht geschah, fiel es den Medien umso leichter, immerzu nur Russland zu beschuldigen.
Dieser Mangel tritt in der Affäre, die uns jetzt beschäftigt, noch krasser zutage. Auch da gibt es ein zentrales Dokument, das zu analysieren Aufgabe der Medien gewesen wäre: das von Netzpolitik.org veröffentlichte Dokument des Verfassungsschutzes. Markus Beckedahl und Andre Meister, die das Onlinemagazin betreiben, haben die Aufgabe gut bewältigt. Aber wer hat es aufgegriffen und ihre Arbeit fortgeführt?
Was man in diesem Dokument lesen kann, ist in der Tat empörend. Der Verfassungsschutz erklärt, er wolle die „internetgestützte Individualkommunikation“ künftig besser überwachen können. Was anschließend folgt, bringen Meister und Beckedahl auf den Punkt: Zwar behauptet der Verfassungsschutz, er überwache nur konkrete Einzelpersonen – und das ist es, was Recht und Gesetz vorschreiben –, hier aber tut er kund, dass er die Auswertung von Massendaten plant. Er will sich aus diesem Grund eine Personalaufstockung genehmigen lassen.
mehr:Ungenutzte Pressefreiheit
- Ungenutzte Pressefreiheit (Michael Jäger, der Freitag, 13.08.2015)
siehe auch:
- Netzpolitik-Affäre: Gebt die Akten frei! (Jörg Diehl, SPIEGEL Online, 14.08.2015)
Es begann mit einer Verschlusssache, es endet als Verschlusssache: Die Landesverrat-Affäre um das Portal Netzpolitik.org verkommt zur vollkommenen Geheimniskrämerei. Das ist nicht hinnehmbar.
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