Fragwürdige Berichterstattung der Regionalpresse zum Auftritt des Schweizer Historikers Daniele Ganser - Exempel einer Medienkritik
Ein eigenwilliger Umgang mit der Realität, eine Vermischung von Fakten mit subjektiven Elementen, eine von Einseitigkeit geprägte Berichterstattung. Mit dem Artikel "Umstrittener Historiker-Vortrag - kritische Professoren wurden ausgebuht", liefert eine große Regionalzeitung ein bemerkenswertes Stück "journalistischer" Arbeit ab. Eine Analyse.
Der Schweizer Historiker Daniele Ganser (Das Feld nicht den gewalttätigen Extremisten überlassen), zu dessen Forschungsgebiet die verdeckte Kriegsführung gehört, hat im Oktober einen Vortrag an der Universität in Witten gehalten. Ein Bündnis (Verschwörungstheoretiker blasen zur Hexenjagd auf Historiker), unter anderem bestehend aus der lokalen SPD und den NRW-Piraten, veröffentlichte im Vorfeld der Veranstaltung einen offenen Brief, in dem es sich gegen den Auftritt aussprach.
Einer der Vorwürfe: Ganser, der durch seine Doktorarbeit zu den Geheimarmeen der Nato (Gladio bzw. Stay behind) bekannt wurde, trete "regelmäßig mit bekannten Verschwörungstheoretikern" auf.
Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (bzw. das Portal Der Westen), laut Wikipedia die "größte deutsche Regionalzeitung", nahm sich des Falls an. Doch was dabei herauskam, lässt gerade in Zeiten, in denen viel über einen qualitativ hochwertigen Journalismus diskutiert wird, tief blicken. Ein sachlicher Bericht, der es dem Leser durch die nüchterne Darlegung der Fakten ermöglicht, sich selbst eine Meinung zu bilden, flankiert durch Stimmen aller Beteiligten (Weltbild in Gefahr: Auftritt von Daniele Ganser an Uni in Witten), kam nicht zustande. Stattdessen wurde ein Journalismus veranschlagt, der auf Diskurswaffen setzt, mit reichlich Suggestivkraft die Leser bedient, die Realität teilweise verzerrt wiedergibt und zentrale Kontextinformationen zur Forschungsarbeit Gansers nicht bereitstellte.
Ein Journalismus wird sichtbar, der vorgibt, um Aufklärung bemüht zu sein, der aber bei genauerer Betrachtung vor allem auf eines verweist: auf seine eigenen Grenzen.
mehr:
- Ein Journalismus, nahe an der Grenze zur Manipulation (Marcus Klöckner, Telepolis, 30.12.2015)
- Fakten, Meinungen und Propaganda an der Universität Witten/Herdecke (Post, 29.10.2015)
mein Kommentar:
Wenn bestimmte Sichtweisen nicht diskutiert werden dürfen, weil sie angeblich irgendwelchen extremistischen Gruppen in die Hände spielen, werden wir genau das herzustellen helfen, was wir vermeiden wollen!
Bitte mehr Vertrauen: Wir schaffen das! (und das meine ich wirklich so!)
siehe auch:
- Ab Januar wieder auf dem Markt: Hitlers "Mein Kampf" (Christian Rollmann, Telepolis, 31.12.2015)
- Umstrittener Friedenssong Todenhöfer und Naidoo - gefährliche Weltinterpreten (Johannes Boie, Süddeutsche Zeitung, 04.12.2015)
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