Er schickte seine Helden als Glücksritter in eine undurchdringliche Welt hinaus. Nun ist der große US-amerikanische Schriftsteller Denis Johnson gestorben.
Die Welt ist voller Möglichkeiten. "Vielleicht zurück nach Ghana. Vielleicht nach Senegal. Und es gibt immer noch Kamerun. Oder wir lassen diesen Kontinent hinter uns und fliegen nach Kuwait."
So endet nach 266 Seiten der Bericht von Roland Nair, der Hauptfigur in Denis Johnsons nun letztem Roman, der anfang dieses Jahres in der Übersetzung von Bettina Abarbanell auf Deutsch erschienen ist. Roland Nair ist in "Die lachenden Ungeheuer" ein Agent mit undurchschaubarem Auftrag. Er ist aber auch ein Glücksritter auf eigene Rechnung. Erst in der hybriden Krisenlage scheiternder Staaten, im Durcheinander von lokalen Milizen und Grossmachtinteressen, kommt er zu sich: "Ich bin zurückgekommen, weil ich das Chaos liebe. Anarchie. Irrsinn. Allgemeinen Zerfall", so hat es Nair am Anfang des Buches gesagt, eben gelandet in Freetown, Sierra Leone.
Der letzte ist nicht der bedeutendste Roman von Denis Johnson, dem immer wieder genannten Kandidaten für den Pulitzer- oder sogar den Literaturnobelpreis, der am Donnerstag mit 67 Jahren gestorben ist. Aber das Buch zeigt noch einmal eindrücklich, wie auch dieser Autor seine literarischen Möglichkeiten an den prekärsten Orten der Welt suchte und fand.
Als Reporter war Johnson in den Neunzigern, etwa für den New Yorker, immer wieder in afrikanische Bürgerkriegsstaaten gereist - wovon der Erzählband "In der Hölle" (2006) zeugt. In Liberia interviewte er Charles Taylor, wobei der Warlord dem Gast zum Plaisier einen von der Folter gezeichneten Gefangenen vorführte; in Somalia sprach er mit dem Gefolge jenes Clanführers, der 1993 den Befehl zur Ermordung von 23 UN-Soldaten gegeben hatte.
Wo der Reporter distanziert berichtete, entwickelte der Schriftsteller seine Stoffe - eher in der Tradition eines Joseph Conrad als eines Graham Greene - zu grellen Phantasmagorien. In "Die lachenden Ungeheuer" führt Denis Johnson seinen Helden im Kongo und in Uganda durch verseuchte Wasserläufe, kaputte Dörfer, opake Militärlager - und durch einen Dschungel aus Lügen und Loyalitäten. Es ist ein Trip durch eine postfaktische Realität. Und das Erschreckende daran ist, wie gut und lebendig sich das für Leute wie Robert Nair anfühlt - über keinen Plan und Überblick zu verfügen. Nur über Rauchzeichen.
Eine ähnliche Figur und einen noch stärkeren Sog hatte Denis Johnson 2007 mit seinem wichtigsten Buch und Meistwerk "Tree of Smoke" geschaffen, auf Deutsch "Ein gerader Rauch". Auf fast 900 Seiten schickte er den Weltkriegsveteranen und CIA-Mitarbeiter Colonel Sands durch acht Jahre des Vietnamkriegs: "Wir konnten weder herausfinden, was in der Ho-Regierung vor sich ging, noch in Erfahrung bringen, wie dort Politik gemacht wurde und wer sie machte", so Colonel Sands; doch galt dies genauso für die Kriegspläne und -projekte der eigenen, der amerikanischen Seite.
Eine vernichtende Leere klafft in diesem doch so wuchtigen Roman, der in immer undurchsichtigeren Operationen an immer entlegenere Orte führt. Die Toten sind real, aber der Krieg entzieht sich der Wirklichkeit: "War dieser Berg jetzt unter Beschuss oder nicht?"
mehr:
- Nachruf auf Denis Johnson – Die Welt in Rauchzeichen (Christoph Fellmann, Süddeutsche Zeitung, 26.05.2017)
siehe auch:
- Denis Johnson, Author of 'Jesus' Son,' Dead at 67 (NY Times, 26.05.2017)
- Poet of the Fallen World (Michael Scott Moore, SF Weekly, 2003)
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