Orthodox Mendy Pape war ein jüdischer Musterschüler. Er studierte die Thora und wurde Geistlicher in Montreal – mit 18 Jahren. Dann tauschte er seine Gemeinschaft gegen die Straße
Brooklyn, Carroll Street. Mendy Pape, zehn Jahre alt, verlässt um 8 Uhr sein Elternhaus und beschließt, heute, an einem Frühlingstag im Jahr 1999, einen anderen Weg einzuschlagen als sonst. Statt des Umwegs durch die President Street nimmt Mendy den verbotenen direkten Weg zur Schule. Kein Kind geht den direkten Weg, denn in diesem Teil von Crown Heights müssen sich Juden in Acht nehmen, heißt es in der ultraorthodoxen Community. Mendy aber ist neugierig. Er geht zum ersten Mal durch die große New York Avenue an den typischen Backsteinhäusern mit den charakteristischen Feuertreppen vorbei, er sieht Männer und Frauen auf dem Weg zur Arbeit, ihm geschieht nichts. Auf Höhe der Union Street bleibt er jedoch vor einem typischen New Yorker Deli stehen, einer Art Tante-Emma-Laden. „Heiße Schokolade, Süßigkeiten, Sandwiches“ prangt über dem Geschäft.
Mendy weiß, dass ihm der unkoschere Deli verboten ist. Er gehört zur Gemeinde der Lubawitscher Juden, der größten Untergruppe der ultaorthodoxen Chassidim. Die 613 Gebote der Halacha bestimmen von früh bis spät seinen Alltag: Fernsehen, etwas anderes lesen als religiöse Bücher, Kontakt zu Mädchen – das alles ist tabu. Menschen außerhalb seiner Community kennt er nicht. Und obwohl er in New York aufwächst, beherrscht er die englische Sprache nur schlecht. Jiddisch und Hebräisch sind seine Sprachen.
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- Ein Rabbi geht (Julian Bernstein, der Freitag 29/2017)
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