Eigentlich wollte ich hier und heute über Gender schreiben. Darüber, dass mir die Omnipräsenz etwaiger Themen wie Transgender, „schwangere Personen“ (die Bezeichnung „werdende Mutter“ gilt nämlich als diskriminierend), Toiletten für Intersexuelle etc. langsam auf den Zeiger geht. Doch dann hab ich es mir anders überlegt. Ich sah heute in der Therme ein schwules Paar mit einem behinderten, scheinbar unter Spastik leidenden Kind. Die beiden Männer trugen den Kleinen auf ihren Händen durch das warme Solebad, damit er im warmen Wasser schweben und den Klängen unter Wasser lauschen konnte. Einer der Männer lächelte mir dabei freundlich zu, denn auch ich trug meine Tochter durch das dunkle Wasser, ihre Ohren unter Wasser, damit sie die Klänge von Vivaldi hören konnte. Es war berührend, den beiden muskelbepackten Männern mit ihren Tätowierungen zuzusehen, wie sie sich darüber freuten, dem Jungen zu helfen, seine verkrampften Glieder zu entspannen… In diesem Moment war ich sehr stolz auf unsere Zivilisation, die es ermöglicht, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht blöd angeguckt oder schlimmer noch, angefeindet werden und behinderte Menschen Fürsorge und Respekt erfahren. So wie ich auch darüber glücklich bin, dass jede andere Minderheit im Hinblick auf ihre Sexualität, Religion oder unorthodoxe Lebensmodelle selbstbestimmt und unbehelligt leben darf. Bei aller sicher auch berechtigten Kritik zum Genderhype, würden meine Zeilen- hätte ich mich für dieses Thema entschieden- mit hoher Wahrscheinlichkeit Vorurteile schärfen, Wut erzeugen und einen weiteren Tropfen im Fass der Spaltung bedeuten. Und überhaupt: Gendermainstream ist nicht das Problem der Stunde.
Spaltung ist das Problem der Stunde.
Wir wissen, die Dinge stehen nicht gerade zum Besten, es sieht sogar richtig mies aus: Unsere Welt erlebt in diesem Moment grausamste Kriege, apokalyptische Umweltzerstörung, schreiend ungerechte und dramatisch wachsende Ungleichheit… Verelendung der menschlichen Seele durch ein seelenloses System.
Wie konnte es nur so weit kommen? In meinem Leben habe ich noch nie einen Menschen kennengelernt, von dem ich ohne Zweifel behaupten konnte: Das ist ein richtig schlechter, ein böser Mensch! Ich habe schwierige Menschen kennengelernt, misstrauische, einfältige, naive und vorurteilbehaftete, ich habe vermeintlich oberflächliche, eingebildete, ungebildete, angeberische und aggressive Menschen kennengelernt und Menschen, die von sich behaupten, die einzige absolute Wahrheit zu kennen, während sie alle anderen als blöde abstempeln. Man begegnet den zuletzt genannten Menschen immer wieder in den Kommentarspalten bei YouTube, Facebook und Co. Die Leute, denen wir auf der Straße begegnen, so unterschiedlich und eigentümlich sie auch sein mögen, sind keine bösen Menschen. Ich bin davon überzeugt, dass alle von ihnen menschliches Mitgefühl und eine Art moralischen Kompass besitzen. Ich bin mir außerdem sicher, dass alle Menschen in Frieden leben möchten, ohne vergiftete Meere, ohne Ausbeutung, ohne Angst vor Armut und Verwahrlosung. Aber obwohl kein Mensch Krieg und Umweltzerstörung, Leid und Elend wollen kann, sehen wir uns immer stärker davon umgeben.
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- Tagesdosis 10.10.2018 – Beseelt von dem Wunsch, ein guter Mensch zu sein (Kommentar von Julia Szarvasy, KenFM, 10.10.2018)
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