Interview Jürgen Holtz steht seit fast 70 Jahren auf der Bühne. In einer Welt ohne Trost muss das Theater Rettung bringen, sagt er
Jürgen Holtz wird mit 86 Jahren den Galileo Galilei bei Frank Castorf am Berliner Ensemble spielen. Der Schauspieler ist ein hellwacher Geist, der nicht anders kann, als seine Rolle, die des Theaters und der Gesellschaft in großen politischen Zusammenhängen zu denken. In seiner Wohnung brechen die Wände unter den Büchern zusammen, es gibt Tee, und Holtz beginnt mit dem Gespräch schon vor der ersten Frage. Er spricht über die Lähmung des Theaters, das Verstummen der Gesellschaft.
der Freitag: Herr Holtz, wenn Sie sagen, dass die Gesellschaft verstummt ist, widerspricht das erstmal dem vorherrschenden Gefühl, dass im Gegenteil in unserer Gesellschaft zurzeit ständig gebrüllt wird.
Jürgen Holtz: In den einzelnen Gruppen der Gesellschaft gibt es natürlich nicht nur Gebrüll, auch Gespräche, nur: Die Politik ist eine Insel, die Wissenschaft ist eine Insel und die Gesellschaft sind viele Inseln – doch alle haben nichts miteinander zu tun. Ich bedaure diese Isolation sehr.
Als jemand, der schon sehr lange beim Theater ist, wie beobachten Sie dessen Entwicklung?
Es gab zwei wesentliche Quellen des Theaters in der Geschichte der Bundesrepublik. Das war auf der westdeutschen Seite das Theater der 68er-Linken, und in der DDR gab es an einigen Orten ebenfalls ein starkes Theater, das die Praxis des Sozialismus beim Wort genommen hat: Was ist Sozialismus? Was ist eine Utopie? Das waren die Fragen. Diese beiden linken Utopien sind untergegangen, und heute haben wir eine völlig andere Situation. Ich würde mal sagen, das Thema ist weg. Und das Theater hat sich von dieser Lähmung nicht erholt, sondern es ist eingeschüchtert.
mehr:
- „Alle sind besoffen“ (Eva Marburg interviewt Jürgen Holtz, der Freitag, 19.01.2019)
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