Der US-amerikanische Journalist, frühere langjährige Auslandskorrespondent der New York Times und Pulitzer-Preisträger Chris Hedges redet nicht um den heißen Brei herum. Er sieht die Menschheit angesichts des immer zügelloser wütenden Konzernkapitalismus und kriegerischen Imperialismus am Abgrund. Dieser Tatsache ins Auge zu sehen und deutlich zu benennen, hält er – wie auch die NachDenkSeiten – für unabdingbar, um der einsamen Verzweiflung zu entgehen. Hedges erinnert aber auch an etwas Ermutigendes: Es brauche nur drei bis fünf Prozent der Bevölkerung, die wach und engagiert sind, um sich der „Mächte des Bösen“ zu widersetzen. Übersetzt von Susanne Hofmann.
Der letzte Akt der menschlichen Komödie
Unsere Geschichte ist nicht neu. Die schamlosen Lügen und Geistesschwächen der unfähigen und korrupten Führungsfiguren. Die Unfähigkeit, die kostspieligen endlosen Kriege zu beenden und die gewaltigen Ausgaben für das Militär einzudämmen. Die Plünderung eines geschröpften Volkes durch die Reichen. Die Zerstörung des Ökosystems. Der Verfall und die Preisgabe einer einst effizienten Infrastruktur. Die Implosion der Institutionen in den Bereichen der Bildung und der diplomatischen Beziehungen, die einen funktionierenden Staat aufrechterhalten. Die Welt hat all das schon erlebt. Es handelt sich um die bekannte Krankheit des Endes einer Zivilisation. Zunächst ist es auf finstere Art unterhaltsam, selbst angesichts wachsenden Leids. Am Ende jedoch wird jedem das Lachen vergehen.
Die menschliche Natur ändert sich nicht. Sie folgt ihren bekannten und zyklischen Mustern. Doch diesmal wird der ganze Planet mit uns in den Abgrund gerissen werden. Bis es so weit ist, werden wir von Narren und Rosstäuschern in Bann gehalten werden. Was sind Demagogen wie Donald Trump und Boris Johnson, positive Psychologen und Candide-artige Wahrsager wie Steven Pinker anderes als Scharlatane, die darauf beharren, dass die Tragödie, die uns bevorsteht, nicht real ist? Was sind die Technokraten und Wissenschaftler, die behaupten, dass uns Bildung und die westliche Zivilisation zu rationalen Wesen machen können, anderes als Schamanen? Was sind die Konzern-Titanen, die ihr Vermögen mit der Waffen-, Chemie-, fossilen Brennstoff-, Massentierhaltungs- und Agrar-Industrie machen, die die natürliche Welt zerstören, anderes als Hohenpriester, die menschliche Opfer fordern?
Es gibt nur eine Erzählung der Menschheit. Neu gewandet und unter Verwendung neuen Werkzeugs erleben wir sie endlos aufs Neue. Wenn wir noch Werke der Philosophie, Literatur, Geschichte, Lyrik und Theologie lesen würden, wären wir nicht überrascht, dass Gier, Hedonismus und Hybris mit Leichtigkeit Empathie und Vernunft zunichte gemacht haben. Weil wir aber nicht mehr lesen, weil wir Tag für Tag Stunden damit verbringen, kleine Dopamin-Schübe von elektronischen Bildschirmen zu bekommen, halten wir uns für einzigartig im menschlichen Dasein. Wir sind außerstande zu sehen, dass die klimatischen Bedingungen, die den Zivilisationen der letzten 10.000 Jahre ermöglicht haben zu florieren, bald durch einen brutalen Überlebenskampf ersetzt werden.
Der Mensch lebt seit rund 200.000 Jahren auf dem Planeten, den es seit 4,5 Milliarden Jahren gibt. Während des Großteils dieser 200.000 Jahre haben die Menschen das Ökosystem nicht grundlegend verändert. Doch in der Industriellen Revolution, die vor circa 250 Jahren begann, haben die Menschen fossile Brennstoffe aus der Erde geholt und so hundert Millionen Jahre an Sonnenenergie angezapft, die in Form von Kohle und Öl gespeichert ist. Die Energie aus fossilen Brennstoffen hat dem industrialisierten Norden des Planeten einen nie dagewesenen Reichtum und militärische Überlegenheit beschert. Er nutzte seine Macht dazu, den Großteil des übrigen Globus zu unterjochen, um billig Ressourcen zu gewinnen und billige Arbeitskräfte zu missbrauchen. Die Weltbevölkerung wuchs rasch auf über sieben Milliarden Menschen an. Unter dem Ansturm haben sich Luft, Wasser und Eis deutlich verschlechtert und das Klima des Planeten verschiebt sich hin zu einem Klima, das für die menschliche Besiedlung nicht mehr günstig sein wird.
Die einzige existentielle Frage bleibt: Wie werden wir uns entscheiden, das Finale abzuwarten? Doch diese Frage zu stellen, heißt, sich dem kulturellen Wahn der Hoffnung, dem Sehnen nach kollektiver Selbsttäuschung zu widersetzen. Wenn die Wirklichkeit düster ist, verbannt man sie. Man erfindet unmögliche Szenarien unweigerlicher Erlösung. Das erklärt, warum wir da gelandet sind, wo wir uns jetzt befinden.
mehr:
- Der letzte Akt der menschlichen Komödie (Chris Hedges, übersetzt von Susanne Hofmann, NachDenkSeiten, 13.09.2019)
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