Die Science-Fiction-Welt erwischt uns mit runtergelassenen Hosen
Neulich im Odenwald: Zwei Typen aus der Wandergruppe konsultieren ständig demonstrativ die Displays ihrer Wander-Navis. Balzende Kleiber, summende Wildbienen und süße Lämmer nehmen sie kaum wahr. Stattdessen präsentieren sie die Überlegenheit ihres technisch erweiterten Orientierungssinns: Zum Preis eines läppischen Umweges erhalten wir einen nicht offiziell kartierten Ersatz für den geplanten, aber leider arg verschlammten Wegabschnitt. Die Alternative entpuppt sich zwar als ebenso matschiger, noch dazu von Gräben und umgewehten Baumstämmen gequerter Hindernisparcours, der uns Sonntagswanderer an unsere Grenzen bringt. Doch das sündteure Technikspielzeug hat uns eine von anderen Early Adopters eingestellte Alternative offenbart. Hurra, wir gehören zum Club!
Was lehrt die Posse vom Wander-Enhancement per hippem Gadget? Wir sind Technikfetischisten. Warum wohl tragen wir an Selfie-Sticks befestigte Smartphones wie Monstranzen vor uns her, hängen uns Fitness-Tracker ans Handgelenk, die uns nur ungefähr verraten, ob wir die Zielmarke von 10.000 Schritten heute auch wirklich erreicht haben? Wozu tragen wir Magnetfußketten, die uns per Vibration zeigen, wo Norden ist? Doch nicht, weil die Apparate ihren Nutzen besser verstecken als Mutti die Ostereier im Garten. Der Grund ist: Wir erliegen dem Marketing der Techno-Konzerne. Gadgets sind das neue Chanel.
Es ist kein Wunder, dass wir unsere Aufmerksamkeit an harmlose Techno-Mode klammern. Es würde uns nämlich schwindelig, richteten wir sie auf das Tempo mit dem uns eine Zeitmaschine namens Digitalisierung in eine Science-Fiction-Welt katapultiert. Technik betrachten wir lieber als Spaßmotor, denn als etwas, das uns schon morgen aus der Komfortzone zwingen könnte indem es die Gesellschaft auf den Kopf stellt.
Beispiele? Bitteschön. Im Science-Fiction-Streifen "Totale Erinnerung" flüchtet der Protagonist Douglas Quaid in ein Roboter-Taxi. Keine 25 Jahre nach dem Dreh droht der Chef des Online-Fahrdienstleisters Uber, Travis Kalanick, aufmüpfigen Fahrern, sie bald durch ebensolche zu ersetzen. Womit der Unsympath nicht unrecht hat. Nicht nur Googles selbstfahrendes Auto zeigt, wie nahe diese Vision ist.
In rasendem Tempo verändern Roboter, Computer und Daten die Arbeitswelt. VW-Personalchef Horst Neumann will in den nächsten 20 Jahren über 50.000 Jobs in deutschen VW-Werken Robotern übergeben. Längst spricht die Automatisierungs-Branche unverblümt von "mannloser Fertigung". Der Fabrikarbeiter steht auf der Roten Liste aussterbender Arten.
mehr:
- Rennen gegen die Maschine oder mit ihr? (Christian Meier, Telepolis, 27.05.2015)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen