Die "deutsche Frage" ist zurück: Der Wissenschaftler Hans Kundnani vergleicht Merkels Bundesrepublik mit dem Kaiserreich unter Bismarck. Hier erklärt er, wie er darauf kommt.
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Zur Person
Hans Kundnani ist Research Director am European Council on Foreign Relations, wo er vor allem zu deutscher Außenpolitik forscht. Zudem arbeitet er am Institut für Germanistik der Universität Birmingham. Zuvor hat Kundnani als Journalist für britische Medien aus Deutschland berichtet. Sein erstes Buch "Utopia or Auschwitz" über das Verhältnis der Achtundsechziger zum Holocaust erschien 2009.
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SPIEGEL ONLINE: Herr Kundnani, Sie haben ein Buch über Deutschlands Rolle in der Eurokrise geschrieben, das im Jahr 1871 beginnt. Warum?
Kundnani: Seit einigen Jahren ist in der Politik wieder von der "deutschen Frage" die Rede und von einer "deutschen Hegemonie" in Europa. Solche Begriffe implizieren, dass sich Elemente der deutschen Geschichte wiederholen. Publizisten wie George Soros und Martin Wolf schreiben sogar von einem neuen "German Empire". Dass das nicht nur eine akademische Debatte ist, haben Sie in den letzten Jahren an den Demonstranten in Athen gesehen.
SPIEGEL ONLINE: Wenn griechische Demonstranten Plakate von Angela Merkel mit Hitlerbart in die Höhe halten, dann ist das doch keine valide Kritik, sondern plumpe Provokation.
Kundnani: Selbstverständlich. Aber die Frage bleibt: Kann uns die Geschichte helfen, die heutige Lage zu verstehen? Die Hegemoniedebatte hat eine lange Tradition. Zwischen 1871 und 1914 war Deutschland so groß und stark, dass kein einzelnes Land in Europa seine Macht ausgleichen konnte. Zugleich war es nicht mächtig genug, um ein Hegemon zu sein, der allen anderen seinen Willen aufzwingen kann. Das war der Kern der "deutschen Frage": Der Historiker Ludwig Dehio hat Deutschlands Stellung als eine "halbhegemoniale" beschrieben. Deutsche Historiker wie Andreas Wirsching und Dominik Geppert argumentieren, dass Deutschland sich jetzt in einer ganz ähnlichen "halbhegemonialen" Stellung befinde. Der Unterschied ist, dass es in Europa nicht mehr um Geopolitik geht, sondern um Ökonomie.
mehr:
- Deutsche Vorherrschaft in Europa: "Ein neuer Wirtschaftsnationalismus" (Oskar Piegsa interviewt Hans Kundnani, SPIEGEL Online, 04.02.2015)
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