Kolumne: Zwischen den Zeilen. Deutschland fällt von einem Extrem ins andere. Der besorgte Bürger sieht das Abendland bedroht und das ZDF kontert mit lupenreiner Betroffenheitspornografie. Sorry, aber dieses Land gehört in Therapie
Nicht ärgern, nur wundern, würde mein Analytiker sagen. Wenn ich denn einen hätte. Also wundere ich mich. Über dieses Land, in dem die einen die vielen Vertriebenen aus dem Morgenland so beispiellos willkommen heißen, während gleichsam andere ihr achso konformes Abendland ganz kommentarspaltenmundgerecht betrauern.
Man wundert sich. Darüber, dass sich Menschen über Menschen aufregen, die andere Menschen willkommen heißen.
Da twittern sich Konservative die Finger wund, weil sie es nicht ertragen, dass es in Deutschland eine Mehrheit gibt, die die Integration der Flüchtlinge für lösbar hält. Die lindert, anpackt, Strukturen schafft, wo keine sind und sich nicht von einer Überforderungsrhetorik anstecken lässt. Sondern schlicht hilft.
Dem entgegen steht der feuchte Traum des besorgten Bürgers, der es gar nicht abwarten kann, die Willkommensblase platzen zu sehen. Sehnsüchtig wird herbeigeschrieben, dass es bald vorbei sei mit der Hilfsbereitschaft und mit Spannung wird erwartet, was denn zuerst zur Neige gehe: das Geld oder die Willkommenskultur. Schon putzig, wie sie sich so furchtbar politisch unkorrekt geben, um gleichsam ihr korrekt homogenes Bild einer biederen Nation runter zu beten. Unter tosendem Applaus einer überraschungsbefreiten Kommentarspalten-Bohème, versteht sich. Na, Halleluja.
mehr:
- Besorgter Bürger und Betroffenheitspornografie – Deutschland gehört auf die Couch (Timo Stein, Cicero, 11.09.2015)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen