Die sogenannten Gelbwesten handeln aus Notwehr gegen die französische Staatsgewalt.
Als Echo auf die Erklärungen des Präsidenten verurteilen Minister und Medien „die Gewalt“, die sich vor dem Hintergrund der Massenmobilisierung der Gelbwesten ausbreitet, und schieben die Verantwortung auf „gewalttätige Demonstranten“, die versuchen, Chaos auf den Straßen unserer Städte anzurichten. Jean Lévy, vier Jahrzehnte lang engagiert für die französische Gewerkschaft CGT, rückt dieses schiefe Bild zurecht.
Das französische Volk erhebt sich gegen die Gewalt der Regierung
von Jean Lévy
Scheinheilig fordern sie die Gelbwesten auf, von jeglicher Form öffentlichen Protests Abstand zu nehmen, brav mit den Behörden zu verhandeln, und appellieren an die Protestierenden, ihre Protestaktionen im Interesse der öffentlichen Ordnung einzustellen.
Die Strategie von Emmanuel Macron ist klar: Isolierung der Gelbwesten gegenüber der Bevölkerung, die deren Kampf massiv – zu 84 Prozent - unterstützt.
Die Franzosen stellen sich dennoch Fragen.
Zunächst einmal möchten sie wissen, wer Gewalt ausübt und wer darunter leidet.
Die Hunderttausenden von Demonstranten, die Straßensperren auf Autobahnen errichten, Raffinerien blockieren, sich auf den Parkplätzen der großen Einkaufzentren versammeln, sich in ihren Städten die Hacken ablaufen, tun dies nicht zum Vergnügen.
Es ist ihr letztes Mittel, sich Gehör zu verschaffen, ihr Elend herauszuschreien und einer Macht, die davon nichts wissen will, eine andere Politik aufzuzwingen. Sie haben genug, diese Millionen ausgepressten Franzosen, die mit ansehen mussten, wie ihr soziales Gefüge aufgelöst wurde, ihre Bahnstation und ihr Postamt verschwunden sind, für die das schwierige Monatsende schon in der Mitte des Monats beginnt. Sie sind es leid, geschoren, geopfert zu werden für die Milliardäre, die Macron in den Élyséepalast gehievt haben.
Immer mehr Gelbwesten müssen erfahren, dass Anteilseigner großer Unternehmen Jahr für Jahr Milliarden zusätzlicher Dividenden scheffeln und die Vermögensteuer auf Großvermögen abgeschafft wurde.
Daraus erwächst ein immenser, manchmal verzweifelter Zorn, der in Frankreichs Städten und Dörfern angesichts der durch die Finanzmächte im Élyséepalast programmierten Ungerechtigkeit aufsteigt.
Und die wirkliche, „ausufernde“ Gewalt – sind ihr nicht Millionen Menschen ausgesetzt, die in verfallenden Häusern leben müssen? Nicht die Körper, die in eisigen Nächten auf dem Gehsteig liegen? Ist nicht das Weihnachtsfest ohne Apfelsinen und Spielzeug für die Kinder armer Familien „ausufernde“ Gewalt? Nicht die 800-Euro-Rentner? Nicht die jungen Leute, die arbeitslos sind, ohne jemals gearbeitet zu haben?
Es komme zu „Ausuferungen“, schreiben die Medien.
Zweifellos kamen am letzten Samstag (am 1. Dezember; Anmerkung der Übersetzerin) Protestierende, um „alles kurz und klein zu schlagen“. Für einige von ihnen bleibt Gewalt der letzte Weg, um sich Gehör zu verschaffen. Andere betrachten sie als die einzige Waffe einer notwendigen Revolution. Und schließlich mischen sich unter die Demonstranten auch noch Gruppen, die Vandalismus ausüben, nur weil sie sich davon für sich selbst einen Gewinn versprechen. Beim Versuch, die Gelbwesten-Bewegung zu diskreditieren, versteckt sich die Macht hinter den angerichteten Schäden.
mehr:
- Der Aufstand (Jean Lévy, Rubikon, 08.12.2018)
siehe auch:
- Sozialbericht für Hannover: In diesen Stadtteilen ist die Kinderarmut am größten (Gunnar Menkens, HAZ, 07.12.2018)
- Tagesdosis 6.12.2018 – Die Gelben Westen. Protest mit Potential? (Podcast) (Kommentar von Bernhard Loyen, KenFM, 06.12.2018)
- Stéphane Hessel ist tot (Post 07.06.2013)
- Das geistige Milieu unserer Zeit und wir (Anagarika Kassapa, Der Mittlere Weg, Nr. 3, September-Dezember 2012, Buddhistischer Bund Hannover, S. 24ff., PDF)
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