Michel Houellebecq hält in „Serotonin“ einer erkrankten Gesellschaft den Spiegel vor und nimmt dafür in Kauf, zum Vorzeigeautor der Neuen Rechten zu werden. Zu Unrecht?
Der Fehler, den nicht wenige Leser und Kritiker mit den Romanen Michel Houellebecqs machen, besteht weniger in der Identifikation von Autor und Erzähler, sondern vielmehr in einem unsicheren Umgang mit der in den Texten sowie in öffentlichen Äußerungen zur Schau gestellten affirmativen Haltung angesichts der kontroversen Themen, die dort zu lesen sind. Da ist schnell die Rede vom ‚Provokateur‘, mal als Vorwurf, mal als Lob. Ein Intellektueller, der die emotional diskutierten Themen unserer Zeit anpackt und sie zum Romanstoff verarbeitet.
Houellebecq ist ein Autor, der sich nicht der publikumswirksamen Identifikation mit seinen Ich-Erzählern verweigert; einer, der erst gar nicht versucht, mit dem steten Verweis auf die Fiktionalität eines Textes diesen als Rollenprosa zu deklarieren, sondern der mit seinem zwiespältigen Auftreten die Diskussionen um den autobiographischen Gehalt jener Texte zusätzlich anheizt. Dies bezieht sich zum einen auf den überbordenden Sexualdrang seiner Protagonisten, aber in letzter Zeit verstärkt auch auf deren nationalkonservatives Weltbild. Wenn man dazu noch vor Erscheinen seiner Romane mit Aufsehen erregenden Interviews von sich reden macht – der Islam sei die „bescheuertste Religion“ von allen (vor Unterwerfung) und jetzt mit einer ideologischen Sympathiebekundung hinsichtlich Donald Trump –, ist der Ruf als ‚Skandalautor‘ irgendwann fest zementiert. Erstaunlicherweise erntet Houellebecq dafür viel Zuspruch, sowohl von Lesern, die sich mit den Protagonisten und ihrem misogynen, homophoben und xenophoben Weltbild identifizieren können, wie auch von denen, die darin nur eine Maske sehen, welche die emotionalen Defizite eines westlichen Durchschnittsmanns verstecken soll, was letztlich scheitert, weil sie gerade aufgrund dieses halbherzigen Maskierungsversuchs erst recht exponiert werden.
mehr:
- Zwischen Hass und Nostalgie (Sascha Seiler, Literaturkritik.de, 20.01.2019)
siehe auch:
- Rezensionsnotizen (Perlentaucher)
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