Neun Frauen, eine Ballerina und acht Sängerinnen, haben eine Kampagne gegen Plácido Domingo angezettelt. Vor dreißig Jahren soll ihnen der mittlerweile achtundsiebzigjährige Tenor an die Knie gefasst, Komplimente in die Ohren geflüstert und sogar versucht haben, sie zu nächtlichen Treffen in seine Hotelzimmer einzuladen.
Schrecklich muss es da zugegangen sein, schlimmer als in den Romanen von Rosamunde Pilcher: zum Gähnen langweilig. Über die Geschichten, die uns die keuschen Frauen heute auftischen, haben sie damals vermutlich selbst nur heimlich gekichert. Mit der Harmlosigkeit ihrer Domingo-Erlebnisse wollte sich wohl keine blamieren, nicht in den Zeiten der sexuellen Freizügigkeit. Wie hätten sie dagestanden neben einer Uschi Obermaier, die sich nie mit der Hand am Knie zufriedengeben wollte, mit der von Mick Jagger so wenig wie mit der von Keith Richards.
Doch das Blatt hat sich mit den Zeiten gewendet. Unverhofft beschert die kultivierte Prüderie unserer Tage den alternden Diven einen letzten Frühling. Noch einmal können sie sich in dem Gefühl sonnen, wie es gewesen wäre, wenn … Mit der Erinnerungen an die erotischen Lappalien ihrer Jugend drängen sie zurück ins Licht der Öffentlichkeit. Den berühmten Männern wird die Rechnung für ihre einstige Halbherzigkeit präsentiert. Weil sich die Erwartungen nicht erfüllten, die sie flirtend weckten, werden sie an den Pranger gestellt. Gewiss nicht immer zu unrecht, aber öfter noch mit Argumenten, die an den Haaren herbeigezogen sind, lächerlich.
mehr:
- Und wann kommt Mozart, der alte Lustmolch, auf die Anklagebank? (Thomas Rietzschel, AchGut, 21.08.2019)
siehe auch:
- Die Schönheit des Abgrunds (Post, 04.06.2018)
- #Menot (reloaded) (Post, 03.03.2018)
- MeToo und eine Chinesin bei der Deutschen Welle: Deutsche Männer sind arme Schweine (Post, 06.12.2017)
- hashtag #Metoo: Zwischen übler Nachrede und Befreiungsschlag – Die mediale Welt als Pranger (Post, 18.11.2017)
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