Porträt Joachim Löw hat den deutschen Fußball dem Zeitgeist anvertraut und war damit „ein Stück weit“ erfolgreich
Wenn eine künftige deutsche Philologie einmal den großen Eintrag zu der Formulierung „ein Stück weit“ für das Grimm’sche oder ein anderes Gesamtwörterbuch erstellen muss, wird es auch um die Frage gehen: War der Fußballlehrer Joachim Löw, der von 2006 bis zur weltweiten Übernahme des Spiels durch chinesische Hybridroboter im Jahr 2032 Teamchef der DFB-Auswahl war und mit ihr 2014 Weltmeister wurde, nur der Verbreiter oder vielleicht sogar der Urheber dieser in drei Worte gegossenen Weisheitsformel? Man kann sich jedenfalls kaum noch vorstellen, dass es vor Löw sinnvolle Verwendungen für diese rhetorische Politik der kleinen Schritte zu großen Zielen gab. Sogar dramatische Causen wie die des 2018 überraschend nicht mehr berücksichtigten Stürmers Sandro Wagner lassen sich damit locker entschärfen: „Ich kann ein Stück weit nachvollziehen, dass er enttäuscht ist, das ist ja klar“, äußerte Löw, nur um dann Wagners Unterstellung, der Bundestrainer umgebe sich bevorzugt mit Jasagern, klar zurückzuweisen: „Das ist ja völlig hanebüchen.“
Der in England bereits berühmte Jungstar Leroy Sané hat sich eine ähnliche Abreibung erspart, indem er auf seine Nichtnominierung für den deutschen WM-Kader einsichtig reagierte. Er will sich von nun an mehr bemühen, was ein Stück weit der einzig mögliche Weg zurück in künftige Aufgebote ist. Löw ist inzwischen lange genug dabei, um zu wissen, dass er seiner Politik der „baby steps“ (wie man das in Amerika nennen würde) gelegentlich deutliche Zeichen hinzufügen muss. Ein Kraftwort wie „hanebüchen“ ist ein hübscher Akzent auf seiner distinguierten Aura. Wer aus der Südwestmetropole Freiburg kommt, kann notfalls auch ein zupackendes Deutsch. Wobei Löw ja längst in Berlin heimisch ist, einvernehmlich getrennt von seiner langjährigen Frau, in der Hauptstadt befreundet mit der Popsängerin Sarah Connor. Der Rest ist Privatleben, umgeben von einer Blase der Diskretion, auf die in einem zivilisierten Land rechnen sollen dürfte, wer sich nicht selbst zum Idioten des Boulevards macht.
siehe auch:
- Auf, Vordermann! (Bert Rebhandl, der Freitag 24/2018)
- Heute vor 36 Jahren – 16. Juni 1982: Ein müder Haufen blamiert Deutschland (Post, 16.06.2018)
- Heute vor 44 Jahren – 14. Juni 1974: Der kurioseste Freistoß der WM-Geschichte (Post, 14.06.2018)
- Kopfstöße können Hirnschäden erzeugen (Post, 18.11.2017)
- Hertha kniet (Post, 15.10.2017)
- Frustrierender Kampf gegen das System: Doping-Forscher Simon schmeißt hin (Post, 04.09.2017)
- Mehmet Scholl im Kampf um die Deutungshoheit nicht mehr auf Linie (Post, 16.08.2017)
- Eier, Diesel, Doping: Wir konnten es uns nicht vorstellen (Post, 04.08.2017)
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