Montag, 4. September 2017

Frustrierender Kampf gegen das System: Doping-Forscher Simon schmeißt hin

Perikles Simon will nicht mehr für einen sauberen Sport kämpfen. Nach der Veröffentlichung seiner aufsehenerregenden Studie sieht er kaum Hoffnung auf Besserung.

Der Sportmediziner und Dopingforscher Perikles Simon (44) hat aus Enttäuschung über die Strukturen im Anti-Doping-Kampf seinen Rückzug angekündigt.

"Ich werde die Dopingforschung definitiv aufgeben", sagte Simon der Allgemeinen Zeitung Mainz: "Wenn der Wille im Sport fehlt, eine gewisse Unabhängigkeit zu schaffen und man beim Thema Doping den ethischen Maßstäben nicht gerecht werden kann, dann muss man als Wissenschaftler Konsequenzen ziehen."

Simon war Co-Autor einer aufsehenerregenden Studie von Wissenschaftlern der Universität Tübingen und der Harvard Medical School, die erst nach jahrelangem Rechtsstreit veröffentlicht wurde.

mehr:
- Perikles Simon tief enttäuscht: Werde die Dopingforschung aufgeben – Forscher gibt Anti-Doping-Kampf auf (Sport1, 03.09.2017)

siehe auch:
- Anti-Doping-Forscher Simon: „Verwerflich, wenn man da mitmacht“ (Anno Hecker, FAZ, 29.08.2017)
Zitat:
»Ohne strukturelle Anpassung können wir nichts erreichen. Die Zahlen (ein Drittel der WM-Teilnehmer und 45 Prozent der Athleten bei den Panarabischen Spielen 2011 räumten Doping ein (d.Red.) sprechen doch für sich. Die Ohnmacht Doping zu bekämpfen folgt einer gewissen Logik in der Vorgehensweise auf die immer wieder aufkochenden Skandale. Die dann folgenden sporttypischen Abwehrreflexe gehen zu Lasten der Athleten. Ihnen werden alle Verbindlichkeiten und Beschwerlichkeiten auf die Schultern geladen, während das Verbandssystem, Sportpolitik und die Handlungen Außenstehender reingewaschen werden. So wird es auch jetzt wieder sein. Da gebe ich mich keiner Illusion hin. Es wird wider besseren Wissens hauptsächlich das Testsystem hochgefahren und der Athlet belastet und in den Fokus genommen. Es werden wieder Schwarze Schafe gesucht und gefunden. Das war es dann, und wir gehen in die nächste Doping-Dekade. Wir müssen erkennen, auf welch unterirdischem Niveau wir uns im Anti-Doping-Kampf bewegen.«
Doping - Perikles Simon: "Es ist erstaunlich, dass ich da nicht drüber reden darf!" {11:31}

Veröffentlicht am 04.12.2014
Steve Barnes
Prof. Dr. Perikles Simon über Doping im Hochleistungssport -Sportstudio vom 20.07.2013 über zurückgehaltene Daten der IAAF

- Doping: Forscher Simon sagt Skandale in Deutschland voraus (Lorenz Vossen, N24, 16.07.2017)
Zitat:
»[…] dieses Hase-und-Igel-Rennen ist momentan nicht der Hauptgrund für unrealistische Dopingquoten. Das ist der mangelnde Wille der Verbände. Hat ein Verband den Willen und zeigt, dass geeignete Verfahren flächenmäßig eingesetzt werden, dann sähe es mit der Aufdeckungsquote anders aus.
Die Interessenskonflikte im Antidoping-Bereich müssten mal sauber aufgearbeitet werden. Ich sehe als Sportmediziner bei mir in der Ambulanz Nachwuchsathleten und kann mir ausmalen, wie viele von denen später an der Nadel hängen. Die im Prinzip Drogen nehmen wie ein Junkie am Bahnhof. Ich habe mit einem Kollegen eine Erhebung durchgeführt: Sieben Prozent der durchschnittlich 16-Jährigen gaben an, dass sie bereits Dopingmittel nehmen.«

- Dopingforscher Perikles Simon im Interview Doping im Fußball: "Unrat bis über beide Ohren" (Christian Hönicke,  Tagesspiegel, 05.03.2015)

Zitat:
»[…] weil es seit Jahrzehnten entsprechendes Wissen gibt, das auch aus dem Fußball nach außen getragen wurde. Wir haben Toni Schumacher mit den ganz klaren Anschuldigungen Richtung systematischen Missbrauchs bestimmter Substanzen. Wir haben Christoph Daum, der es aus Versehen vielleicht rausgelassen hat. Wir haben Epo im Kühlschrank des Vereinsarztes von Juventus Turin gefunden. Wir haben Arsène Wenger, der sich irgendwann genötigt sah zu sagen, ich bekomme hier Spieler aus europäischen Topklubs, und die haben alle auffällige Blutwerte, das ist doch hier womöglich systematisches Blutdoping. Wenn ein Trainer, der im Glaskasten sitzt, das so ganz klar sagen muss, dann wird einem schnell sonnenklar, dieses System reagiert wirklich nur, wenn ihm der Unrat bis über beide Ohren steht. Und das ist ein Zustand, der im Sinne der Kinder, die sich in diesem Sport befinden und des Eventcharakters, so nicht akzeptabel ist. Es wird nichts getan, nichts investiert, um den Missbrauch dieser Spieler und ihrer Körper zu stoppen. Das ist eine Unverschämtheit, nichts anderes. Ich kann es mir nur so erklären, dass allein die Frage nach Doping im Fußball ein absolutes Tabu ist. […]
Nach dem Buch von Toni Schumacher war es problemlos möglich, diesen Mann für längere Zeit aus dem System Fußball zu entfernen. Nach den Dopingenthüllungen um Juventus und Olympique Marseille ist quasi nichts passiert. Das würde es so etwa im Radsport nicht geben, da hätte sich die Presse draufgestürzt und die Sportler belagert, die Polizei hätte Razzien durchgeführt. Das ist alles im Fußball nicht geschehen. Und das geht nur mit einem sehr komfortablen Schutzschild. Dieser Schutzschild wird jetzt für den Fußball zum Bumerang. Wenn selbst die Basis den Nonsens nicht mehr hinnimmt, den die sogenannten Experten verbreiten, dann hat man ausgespielt.

Sportmediziner Dr. Perikles Simon im Interview: Doping und Leistungssport gehen Hand in Hand {23:33}

Veröffentlicht am 08.08.2016
RT Deutsch
Prof. Dr. Dr. Perikles Simon, Sportmediziner an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz erklärt im Interview mit Jasmin Kosubek, warum Doping und Leistungssport heute kaum noch voneinander zu trennen sind. Trotz regelmäßiger Doping-Skandale ändert sich substantiell nichts an dem System.

- Studie "Doping in Deutschland": Berliner Forscher erneuern Vorwürfe (SPON, 08.11.2012)
Zitat:
Hamburg - Die Berliner Forscher haben ihre Vorwürfe im Zusammenhang mit dem vorläufigen Scheitern der Studie zur Dopingvergangenheit in Deutschland erneuert. Sie könnten ihre Ergebnisse nicht vorstellen, sagten sie in Frankfurt an der Oder. "Wir können unsere Daten leider nicht veröffentlichen, weil wir vertragstreu zum Projektträger sein müssen. Andererseits können wir rechtlich belangt werden", sagte Professor Giselher Spitzer.

- Doping-Forscher bricht mit Uni: Neuer Streit um Aufklärung in Freiburg / Disput über Honorar. (Andreas Strepnick, Badische Zeitung, 15.03.2017)
Zitat:
Der Streit um die Vergangenheit der Freiburger Sportmedizin währt nun fast zehn Jahre. Die Aufklärung verschliss zwei Untersuchungskommissionen, denen 16 zum Teil hochrangige Wissenschaftler angehörten. Die schlagkräftige Forschergruppe unter der Kriminologin und Mafia-Expertin Letizia Paoli von der Universität Leuven in Belgien war im März 2016 unter Protest zurückgetreten. Paoli und Co. warfen der Uni wiederholt Behinderungen ihrer Arbeit vor und sahen zum Schluss ihre Unabhängigkeit nicht mehr gewährleistet.
- "Testsystem in die Tonne treten" – Dopingstudie schreckt Leichtathletik auf (n-tv, 29.08.2017)
Zitat:
Die spektakuläre Dopingstudie beschäftigte sechs Jahre lang die Juristen, der Leichtathletik-Weltverband IAAF wollte die Veröffentlichung verhindern - nun sind die erschütternden Zahlen Gewissheit. Etwa 40 Prozent der Leichtathleten bei der WM 2011 in Daegu/Südkorea waren gedopt. Die Zahl ist ebenso erschreckend wie die Tatsache, dass damals nur 0,5 Prozent der getesteten Athleten als Sünder enttarnt wurden.
Experten sehen in der Studie einen weiteren, äußerst belastbaren Beleg, dass die Zahl dopender Spitzensportler dramatisch höher liegt als von den internationalen Verbänden und Institutionen anerkannt. "Über Jahrzehnte wurde uns vorgegaukelt, dass man das Dopingproblem marginalisieren und individualisieren dürfe. Die schwarzen Schafe sind einzelne Sportler, oder 'nur' Russland – und auf jeden Fall immer die anderen", sagte der Sportmediziner und Dopingforscher Perikles Simon, der Co-Autor der Studie ist: "Die Wahrheit ist: Dieses Testsystem können wir komplett in die Tonne treten. Da gibt es gar nichts, keine Struktur, keine Idee, keine funktionierende Methodik."

Warum gerade Russland so oft am Doping-Pranger steht {7:16}

Veröffentlicht am 08.08.2016
RT Deutsch
Am Freitag haben die 27 Council-Mitglieder des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF in Wien über die Suspendierung des russischen Verbandes und somit über den Ausschluss von den Olympischen Spielen in Rio entschieden. Prof. Dr. Dr. Perikles Simon von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz beantwortet im RT Deutsch Interview, warum gerade russische Athleten beim Thema Doping so oft am Pranger stehen. Mehr auf unserer Webseite: https://deutsch.rt.com/ .

Gen-Forscher Perikles Simon hält den Anti-Doping-Kampf für ineffektiv und unglaubwürdig (Ute Gallbronner, Schwäbisches Tagblatt, 10.11.2010)
Zitat:
Grund für [Simons] Skepsis sind Umfragen, wonach beispielsweise 8 Prozent aller Athleten in den (kontrollierten) Nachwuchskadern Doping zugegeben haben. "Mit Kollegen aus den USA und Kanada bin ich mir einig, dass eine vernünftige Expertenschätzung für Doping unter Eliteathleten im Erwachsenenbereich bei rund 40 bis 60 Prozent liegt", sagt Simon. Beweise gibt es dafür derzeit nicht. Aber auch wenn man die Zahl niedriger ansetzt, nehmen sich die 0,3 Prozent derer, die erwischt werden, mager aus.

- Bayreuther Anti-Doping-Forscher fordert Gesetzesänderungen (Nordbayerischer Kurier, 12.08.2013)
Zitat:
„Bei vielen Gruppen besteht deshalb gar kein Interesse daran, Dopingsünder auffliegen zu lassen. Im Gegenteil: Sie werden oft von ganz oben gedeckt.“ […] Die Nationale Antidoping Agentur (Nada) gibt derzeit jährlich etwa fünf Millionen Euro aus. Vergleicht man das mit Ablösesummen im Fußball, sind das „nur Kleckerbeträge“. So können Doping-Fahnder den Wettlauf mit dopenden Sportlern nicht gewinnen. Vor allem, da die Doping-Palette ständig wachse. „Ich könnte Methoden nennen, die mit heutigen Testverfahren erst in fünf bis zehn Jahren enttarnt werden könnten“, erklärt Schmidt die immer fortschreitende Entwicklung von Dopingmitteln. „Manche Substanzen bekommt man für fünf Euro im Internet.“ So erziele zum Beispiel das Einatmen bestimmter Gase die gleiche Wirkung wie ein Höhentraining. „Dieses Doping hat teilweise schon Einzug in den Sport gehalten, die Gefahr ist aber: Wenn man zu viel einatmet, ist das tödlich.“
- Die Doping-Erkenntnisse der DDR-Wissenschaftler werden weltweit bis heute genutzt Doping in der DDR (6): Die Geschichte der Anabolika -- von Margitta Gummel bis zum Amerikaner Mike Stulce – Aus Jena rund um den Globus (Berliner Zeitung, 11.04.1994)
Zitat:
»Der positive Wert der anabolen Steroide für die Leistungsentwicklung ist unbestritten. Spitzenleistungen oder ihre Weiterentwicklung ist durch alleinige trainingsmethodische Maßnahmen heute nicht mehr möglich. In Sportarten mit meßbaren Leistungen läßt sich dies durch Meter, Sekunden oder Kilogramm eindeutig nachweisen. Steigerungsraten:
Die Leistungen konnten mit Unterstützung dieser Mittel innerhalb von vier Jahren wie folgt gesteigert werden (diese Entwicklungsraten waren in den vergangenen vorherigen olympischen Perioden mit reinen Trainingsmaßnahmen nicht möglich gewesen):
Kugelstoßen (Männer) 2,5-4 Meter; Kugelstoßen (Frauen) 4,5-5 Meter; Diskuswurf (Männer) 10-12 Meter; Diskuswurf (Frauen) 11-20 Meter; Hammerwurf 6-10 Meter; Speerwurf (Frauen) 8-15 Meter; Fünfkampf […] eine ca. 20prozentige Steigerung der bisher für möglich gehaltenen Punktzahlen; 400 m Frauen 4-5 Sekunden; 800 m Frauen 5-10 Sekunden; 1 500 m 7-10 Sekunden. Ein 100-m-Lauf der Frauen unter 11,2 Sekunden ohne die Anwendung von unterstützenden Mitteln wird von allen Fachleuten als ausgeschlossen betrachtet.« [aus der Vertraulichen Verschlußsache »Zum Stand der Anwendung von unterstützenden Mitteln« Dr. Höppner, Chefarzt des Sportmedizinischen Dienstes (SMD), Frühjahr 1977]


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