Mittwoch, 11. März 2020

Russlands Sichtweise ernstnehmen? Wozu?

Wenn wir militärische Entspannung wollen, müssen wir beginnen, die Sichtweise Russlands ernst zu nehmen.
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Kein Zweifel: Das NATO-Manöver „Defender 2020“ hat mit Verteidigung so viel zu tun wie das Orwellsche „Liebes-Ministerium“ mit der Liebe. Der aggressive Akt einer massenhaften Truppenverlegung weit nach Osten ist eine direkte Maßnahme zur Vorbereitung auf den Krieg. Wir sollten uns nur einmal in die Situation eines Landes versetzen, dem die bei weitem größte Militärmacht der Welt derartig auf die Pelle rückt. Aber Einfühlungsvermögen ist nicht die Stärke der West-Allianz. Aus Angst, als „Putinversteher“ diffamiert zu werden, machen sich viele auch in Deutschland die Narrative der Kriegstreiber zu eigen. Dabei läge es in unserem ureigenen Interesse, die Vorstöße Russlands für einen dauerhaften Frieden von Lissabon bis Wladiwostok ernst zu nehmen.
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Die Operation Defender 2020 ist nicht nur eine Übung, sie ist eine direkte Kriegsvorbereitung unter Einbeziehung der zivilen Gesellschaft, nicht nur in Deutschland. Wir Europäer sollen dieses Manöver dulden, sie sagen dazu: Die „Stabilität“ Europas werde geprüft. Wir dürfen es nicht dulden und eines Tages müssen wir es verhindern. So oder so.

Die Operation Defender 2020 fordert uns heraus, denn:

  • Sie ist eine US-Operation unter US-Führung mit NATO-Zustimmung, die NATO bringt Truppen in diese Operation ein. 
  • Ihr Ausmaß ist erschreckend: 20.000 US-Soldaten überschwemmen Deutschland und werden vor allem in Osteuropa an den Grenzen zu Russland stationiert, 9.000 sind schon da, mit 8.000 anderen NATO-Soldaten wird gerechnet, zusammen sind es dann 37.000. 
  • Das Schlachtfeld heißt Europa, wir sind die ersten Opfer eines möglichen Kriegs mit Russland. 
  • Die Operation findet möglichst im Geheimen statt, wir erfahren die Transportwege nicht oder verspätet. 
  • Welches Gerät und wie viel davon wird nicht wieder zurückgenommen? Die Soldaten mögen rotieren, über den Verbleib der Gerätschaft wissen wir nichts. 
  • Diese Operation wird alle zwei Jahre wiederholt. 
  • Die gesamte Infrastruktur Deutschlands, Autobahnen, Brücken, Bahn, lokale Verwaltungen, Polizei, wird einbezogen im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit.

Die Offensive

Wir müssen den Stier bei den Hörnern packen! Die USA treten das Völkerrecht mit Füßen, sie haben das Blut von Millionen Menschen an ihren Soldatenstiefeln. Kaum waren die UN gegründet, 1945, begannen sie den Vietnamkrieg mit der Lüge des Tonking-Zwischenfalls, 1964. Seit 1990 führen sie einen Krieg nach dem anderen durch, in dem es im Nahen und Mittleren Osten immer um Öl und Gas und um die Herrschaft über die Energieströme ging.

Zuletzt bei der Aggression gegen den Iran, die nichts mit dem Atomabkommen zu tun hatte, sondern mit der Souveränität des Iran, seine Öl- und Gasvorräte selbständig zu nutzen und zu verkaufen (1). 


Oskar Lafontaine fand starke Worte dafür:
„Kein Wort darüber, dass die Verbrecherclique der USA im Vorderen Orient seit Jahrzehnten Öl- und Gaskriege führt und unsägliches Leid angerichtet hat. Bereits 1953 hatte die CIA mit dem britischen Geheimdienst den demokratisch gewählten iranischen Premierminister Mossadegh weggeputscht, weil er es gewagt hatte, die ‚Anglo-Iranian-Oil-Company' zu verstaatlichen. Keiner weiß, welche Entwicklung der Iran genommen hätte, wenn die ‚Super-Schurkenmacht' USA den Nahen Osten nicht immer wieder mit Kriegen überzogen hätte, um seine Energie-Vorräte auszubeuten... Die einzige Konsequenz aus dieser verantwortungslosen Eskalation kann nur sein, die US-Militärbasen in Deutschland zu schließen. Die Drohnen, mit denen die USA im Nahen Osten völkerrechtswidrige Tötungen durchführen, werden von Ramstein aus gesteuert“ (2).

Diese Macht hat sich überall in der Welt, wo ihre Interessen es gebieten, Militärbasen geschaffen. Auch in Deutschland. Für uns gilt noch immer der Ausspruch des General Hasting Ismays, dem first Secretary General of NATO von 1952 bis 1957, für die Rolle der NATO:

„Keep the Sowjet Union out, the Americans in and the Germans down“ (3).
Und in Deutschland sind Ramstein und Büchel!
mehr:
- Offensiv für den Frieden (Peter Klemm, Rubikon, 11.03.2020)
siehe auch:
Wünschenswert? – Amerikas Abschiedsvorstellung (Post, 24.01.2020)
Alter Wein in neuen Schläuchen: »Fulda Gap« reloaded… – Eine Lesermeinung zu US Defender Europe 2020 (Post, 24.01.2020)
USA skrupellos auf dem Weg zur Pax americana (Post, 17.01.2020)
Von der Heartland-Theorie über Brzezinski zur nahen Zukunft (Post, 20.10.2019)
- Die Begründungen werden immer billiger: NATO-Bereitschafts-Pool mit 30.000 Soldaten »wegen möglicher Provokationen aus Russland« (Post, 02.06.2018)
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Demokratie erneuern! - 2Rainer Mausfeld - DAI Heidelberg 2020

Demokratie erneuern! - Rainer Mausfeld - DAI Heidelberg 2020 {1:36:14}

DAI Heidelberg
Am 11.03.2020 veröffentlicht 
Demokratie lebt von der Debatte.
Demokratie heißt: Interessenunterschiede in einem öffentlichen Debattenraum friedlich austragen, um zu einem gemeinsamen gesellschaftlichen Handeln zu finden.
Doch: Wie können wir unsere eigenen kognitiven und gefühlsmäßigen Beschränktheiten und Vorurteile erkennen? Warum reagieren wir so aggressiv, wenn unsere selbstverständlichsten Vorurteile in Frage gestellt werden? Wir sind so beschaffen, dass wir dazu neigen, unsere Gewohnheiten für Überzeugungen zu halten. Unser Geist produziert gleichsam instinktiv „Meinungen“. Ideologien sind gewissermaßen die kollektiven Vorurteile, die den Status quo als selbstverständlich erscheinen lassen.
Wie lassen sich nun die eigenen Interessen objektivieren? Wie gewinnen wir eine gemeinsame Kommunikationsbasis für ein demokratisches Gespräch, das sich an Argumenten orientiert?
Prof. Rainer Mausfeld (u.a. 2019 am DAI mit „Warum schweigen die Lämmer?“) spricht über Demokratie, Ideologien und Wege des Denkens.
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MH17: auch hier eine Unstimmigkeit nach der nächsten

Für manche Medien wie die SZ ist der Prozess schon entschieden, die niederländische Staatsanwaltschaft kämpft mit vagen Beweisen und gegen Leaks
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Am Montag begann der MH-17-Prozess am Bezirksgericht Den Haag im gut gesicherten Justizkomplex am Flughafen Schiphol. Angesetzt ist der Prozess, fast sechs Jahre nach dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 am 17. Juli 2014 auf ein Jahr, erwartet wird ein "Mammutprozess", der sich viele Jahre hinziehen dürfte. Gestern wurde er bereits das erste Mal auf den 23. März vertagt. Die Anwälte des Angeklagten Pulatow hatten zusätzliche Zeit zur Analyse der Anklage gefordert, ein viele Opferangehörige vertretender Anwalt verlangte Zugang zur Fallakte.

Als Beweise liegen vor allem von Bellingcat gesammelte Bilder aus dem Internet, vom ukrainischen Geheimdienst SBU abgehörte Telefonate und Funksprüche, Postings in Sozialen Netzwerken und angeblich bis zu 13 Zeugen vor, von denen einer, wie der scheidende leitenden Staatsanwalt Westerbeke schon vor dem Prozess sagte, den Abschuss der Buk-Rakete gesehen haben soll.

Die niederländische Staatsanwaltschaft wies gestern auf den anonymen Zeugen #58 hin, der 2014 für die Separatisten gearbeitet habe und in der Nähe der Abschussstelle gewesen sei, als die Rakete abgeschossen wurde. Er sollte mit seinem Team die Stelle bewachen, habe er gesagt. Man sei erst froh gewesen, dass das Flugzeug abgestürzt war, bis von der Absturzstelle zurückkehrende Menschen berichtet hätten, dass es sich um eine Passagiermaschine handelte. Nach ihm hätten die Soldaten am Buk-System mit einem russischen Akzent gesprochen, es seien russische Soldaten da gewesen, auch Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB. Russische Staatsmedien wenden ein, dass in der Ostukraine viele Menschen russisch sprechen. Die Staatsanwaltschaft, die den Zeugen schützen und verhindern will, dass er vor Gericht aussagen muss, erklärt gleichwohl, dass wichtige Fragen offen seien. Auch mit anderen Zeugenaussagen gibt es wegen deren Vagheit oder der Unauffindbarkeit der Zeugen Schwierigkeiten.

mehr:
- MH17-Prozess eingehüllt in Desinformations- und Medienkampagnen (Florian Rötzer, Telepolis, 11.03.2020)
siehe auch:
MH17 – Durcheinander beim JIT (Post, 23.02.2020)
- Überraschende Ereignisse in den MH-17-Ermittlungen (Post, 05.01.2020)

»DIE ZEIT« demontiert sich selbst

Die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» ist kaum mehr verdaubar. Nicht zuletzt der Herausgeber selbst ist unerträglich geworden.
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Die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» galt einmal als beste Wochenzeitung im deutschsprachigen Raum überhaupt. Es gab viel Lob und Zustimmung, kaum Kritik oder zumindest nur punktuell. Das «Zeit»-Abonnement war die Möglichkeit, sich auf hohem Niveau über den Rest der Welt ein Bild zu machen.

Tempi passati. Infosperber hat schon vor längerer Zeit auf zwei zunehmende Schwachpunkte aufmerksam gemacht: Der Frontseiten-Aufmacher wurde immer öfter einem Thema der Psychologie gewidmet, als ob man die «Zeit» abonniert hätte, weil man selbst psychisch angeschlagen ist und nach Hilfe Ausschau hält. Und zweitens war es immer äusserst ärgerlich, wenn «Zeit»-Herausgeber Josef Joffe persönlich auf der Frontseite einen Kommentar platzierte.

Beide unerfreulichen Tendenzen haben sich seither verstärkt. Es gibt praktisch keine Ausgabe mehr, die dem Leser nicht schon auf der Frontseite mitteilt, er, der Leser, oder sie, die Leserin, hätten ein psychisches Problem – in der Liebe, in der Selbstbeurteilung, im Freundeskreis, im Berufsleben usw. Und wenn Herausgeber Josef Joffe schreibt, dann ist es nicht mehr nur ärgerlich, sondern schlicht unerträglich.

Mit der Ausgabe vom 20. Februar hat «Die Zeit» sich selbst übertroffen und einen neuen Höhepunkt erreicht. Aufmacher ist das Thema ‹Monogamie›. Das Besondere daran: Schon auf der Frontseite wird darauf aufmerksam gemacht, dass das Thema ‹Monogamie› diesmal «in allen Ressorts» behandelt wird: «Monogamie. Die grosse Illusion? Wie Wissenschaftler den Seitensprung beurteilen und ob Treue noch immer erstrebenswert ist: Eine Streitfrage durch alle Ressorts der ZEIT». Und, ebenfalls ärgerlich, darunter eine halbseitige Anzeige des Pharma-Unternehmens Bristol-Myers Squibb. Blätterte man um, erschien eine zweite Frontseite, der obere Teil identisch mit der ersten, der untere Teil anstatt mit der grossen Pharma-Anzeige mit zwei Leitartikeln; einer davon, einmal mehr, von Herausgeber Josef Joffe.

mehr:
- Die (gute) Zeit der (guten) «Zeit» ist abgelaufen (Christian Müller, Info-Sperber, 07.03.2020)
siehe auch:
«Die Zeit»: Wenn der Boss kommentiert (Christian Müller, Info-Sperber, 10.01.2020)
DER SPIEGEL im Niedergang (Post, 04.09.2018)
- Der Qualitätsverlust unserer Medien ist vorprogrammiert (Christian Müller, Info-Sperber, 23.06.2014)
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Markus Lanz vom 5. April 2017 {2:03:56 – Start bei 1:32:26 – Michael Lüders: »Was mich sehr wundert ist, daß es keine deutsche Zeitung gibt, die diese Zusammenhänge mal darstellt. […] Man müßte doch denken, daß alle an Recherche interessierten Journalisten ein Interesse daran haben, diese Dinge aufzugreifen. […] und ich habe den Verdacht, daß es nicht darum geht, Aufklärung zu leisten sondern darum, Feindbilder am Leben zu erhalten«}

Jewell Chas
Am 15.04.2017 veröffentlicht 
Info-Text (Link)
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Rainer Mausfeld: Demokratie erneuern!

Demokratie erneuern! - Rainer Mausfeld - DAI Heidelberg 2020 {1:36:14}

DAI Heidelberg
Am 11.03.2020 veröffentlicht 
Demokratie heißt: Interessenunterschiede in einem öffentlichen Debattenraum friedlich austragen, um zu einem gemeinsamen gesellschaftlichen Handeln zu finden.
Doch: Wie können wir unsere eigenen kognitiven und gefühlsmäßigen Beschränktheiten und Vorurteile erkennen? Warum reagieren wir so aggressiv, wenn unsere selbstverständlichsten Vorurteile in Frage gestellt werden? Wir sind so beschaffen, dass wir dazu neigen, unsere Gewohnheiten für Überzeugungen zu halten. Unser Geist produziert gleichsam instinktiv „Meinungen“. Ideologien sind gewissermaßen die kollektiven Vorurteile, die den Status quo als selbstverständlich erscheinen lassen.
Wie lassen sich nun die eigenen Interessen objektivieren? Wie gewinnen wir eine gemeinsame Kommunikationsbasis für ein demokratisches Gespräch, das sich an Argumenten orientiert?
Prof. Rainer Mausfeld (u.a. 2019 am DAI mit „Warum schweigen die Lämmer?“) spricht über Demokratie, Ideologien und Wege des Denkens.

siehe auch:
Rainer Mausfeld: Angst und Macht in kapitalistischen Demokratien (Post, 26.07.2019)

KenFM im Gespräch mit: Prof. Rainer Mausfeld ("Warum schweigen die Lämmer?") {1:38:19 – Start bei 36:01 
– Mausfeld: »Es gib keine bessere Revolutionsprophylaxe als Demokratie.«}


KenFM
Am 02.10.2018 veröffentlicht 

Eine Million monatlich für eine arbeitgeberfreundliche Gebetsmühle

Es ist Jahr für Jahr verblüffend zu sehen, mit welch einfachen Mitteln man große Politik machen kann, wenn man – das ist allerdings die unverzichtbare Voraussetzung – gleichzeitig noch im Besitz der großen Medien ist. Alle Jahre wieder schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) über Löhne und Lohnstückkosten im internationalen Vergleich, und Jahr für Jahr werden die Botschaften von willigen Medien wie der WELT eins zu eins verbreitet. Die großen Unternehmensverbände kaufen sich einfach (für läppische zwölf Millionen Euro im Jahr) ein Institut, das nichts anderes im Sinn hat, als bei wichtigen wirtschaftlichen Fragen die Öffentlichkeit in die „richtige Richtung zu führen“ oder zumindest, wenn das nicht hundertprozentig gelingt, die Öffentlichkeit so zu verunsichern, dass sich niemand mehr traut, das eigentlich Offensichtliche laut zu sagen.

Das „Institut der deutschen Wirtschaft“ nennt sich selbst „Privates Wirtschaftsforschungsinstitut“, zielt aber mit den Ergebnissen seiner „Forschung“ komischerweise immer in die gleiche Richtung, nämlich dahin, wo es den Arbeitnehmern weh tut. Im letzten „Vierteljahresheft zur empirischen Wirtschaftsforschung (IW-Trends 1/2020) heißt es mal wieder, es ergebe sich „ein deutlich verringerter Spielraum für Entgelterhöhungen“ für die nächsten Jahre. Noch nie hat das „wissenschaftliche Institut“ herausgefunden, dass die Löhne zu wenig gestiegen sind, dass die Lohnzurückhaltung der Vergangenheit überzogen war oder dass die deutsche Lohnzurückhaltung via riesige Leistungsbilanzüberschüsse in Europa ein gewaltiges Problem geschaffen hat. Das ist doch komisch, wenn man sich der Wissenschaft verpflichtet fühlt.

Aber auch das wäre kein Problem, wenn dem Arbeitgeberinstitut ein schlagkräftiges und mutiges Gewerkschaftsinstitut mit der gleichen Medienmacht gegenüberstünde. Doch davon kann in Deutschland nicht die Rede sein. Die Gewerkschaften samt ihrem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sind in der Lohnfrage äußerst defensiv, und eine Medienmacht, die ihre Interessen vertreten würde, gibt es nicht.

mehr:
- Arbeitgeber-Forschung und ihre Folgen (Flassbeck Economics, 10.03.2020)
siehe auch:
Die Verantwortungslüge (Post, 27.07.2020)
- Rainer Mausfeld: Angst und Macht in kapitalistischen Demokratien (Post, 26.07.2019)
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