Dienstag, 13. Dezember 2016

Der Deutsche Lehrerverband und die Inflation der Einsen

Josef Kraus plädiert dafür, dass Bayern Abiturnoten aus "anspruchslosen Bundesländern" nicht mehr anerkennt

Nach Auffassung des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, werden in bestimmten Bundesländern - hauptsächlich nennt er Berlin - allzu leicht gute Schulnoten vergeben. In Berlin habe sich die Zahl der Abiturzeugnisse mit der Bilderbuchdurchschnitts-Note 1,0 innerhalb von zehn Jahren "vervierzehnfacht", erklärte er gegenüber der Bild-Zeitung.

Auch in den Ländern Brandenburg, NRW und Thüringen sei die Tendenz, dass Abiturnoten immer besser würden, zu erkennen. Kraus spricht von einer "Inflation" bei den Schul- und Abiturnoten, die ein Ende haben müsse, weil Zeugnisse nicht zu "ungedeckten Schecks" werden dürfen. Seine Forderung, die er daran anschließt, hat es in sich:

Anspruchsvolle Bundesländer wie Bayern sollten die Abiturzeugnisse anspruchsloser Bundesländer nicht mehr anerkennen.
Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands

Aus dem Abitur müsse wieder "ein Attest für Studienbefähigung und nicht für Studienberechtigung werden", so Kraus. Es ist nicht die erste Spitze des früheren Gymnasiallehrers aus Landshut und "Bildungstitans" (CSU-Kultusminister Ludwig Spaenle) gegen die Bildungspolitik anderer Bundesländer. Berlin gehört zu seinen bevorzugten Angriffszielen. Die Politik habe dort mit Reformen das Schulsystem an die Wand gefahren, wetterte Kraus im Nachhall der Ergebnisse der IQB-Leistungsstudie im Oktober dieses Jahres. Bayern fand sich im bundesweiten Vergleich der neunten Klassen in Deutsch- und Englischkenntnissen an der Spitze, Berlin ganz unten.

mehr:
- Lehrerverbandschef kritisiert Inflation von guten Schulnoten (Thomas Pany, Teleplis, 12.12.2016)

siehe auch:
- Das Bundeskriminalamt und die Rechtschreibung (Post 04.12.2016)
- This knocks me from the socks (Post, 12.09.2014)


Wider die Rede vom "Postfaktischen"

Soziologischer Zwischenruf zur medialen Konstruktion von Wirklichkeit
Ausgehend von den USA macht seit etlichen Monaten nicht nur in den deutschen Leitmedien die Rede von den "postfaktischen Debatten" die Runde. Gestern wurde der Begriff zum Wort des Jahres 2016 erklärt. Postfaktisch - was soll das überhaupt bedeuten?

Erste Zweifel am Sinn des Begriffs kommen auf, wenn man ihn etymologisch seziert. "Post" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger als "nach". Insbesondere in den Kulturwissenschaften ist dies seit Jahren eine Modevorsilbe, die weniger etwas erklärt, als sie belegt, dass man nicht so genau weiß, was nach dem kommen könnte, über das man mehr als genug zu wissen glaubt. Die Rede von der "Postmoderne" wie die vom "Posthuman" treffen sich in dieser Grenzlinie zwischen Wissen und Nichtwissen.

Interessanter ist da schon das Adjektiv "faktisch", dass sich von "Fakt" ableitet. Dies wiederum, die humanistisch Gebildeten wissen es noch, ist eine Eindeutschung des lateinischen Nomens "factum", das im engeren Sinne eine Tat-Sache, also die Folge einer konkreten Tat, ganz generell jedes Ergebnis menschlichen Handelns bezeichnet. Fakt wäre damit das, was von Menschen gemacht und in die Welt gesetzt wurde.

Mithin würde das Attribut "postfaktisch" alle jene Sachverhalte benennen, die nicht mehr auf das Wirken von Menschen zurückgehen, sondern gleichsam nach-menschlich in die Welt gekommen sind. In diesem Sinne wäre "postfaktisch" dann etwa die Rückeroberung der verlassenen Städte durch Pflanzen und Tiere, wenn die Menschheit eines Tages ausgestorben sein sollte (siehe dazu den fast prophetischen Band von Alan Weisman 2007).

Dies aber ist mit dem Begriff in seiner aktuellen Verwendung ganz offensichtlich nicht gemeint. "Postfaktisch" steht vielmehr als Verdichtungsmetapher für die gesellschafts- und medienpolitische These, dass heute - im Gegensatz zu früher! - viele öffentliche Debatten nicht mehr auf der Basis von Fakten geführt würden.

mehr:
- Wider die Rede vom "Postfaktischen" (Michael Schetsche, Telepolis, 10.12.2016)

siehe auch:
- Politik ohne Fakten: Das gefühlte Zeitalter (Margarete Stokowski, SPON, 13.12.16)
- Wort des Jahres 2016: »Postfaktisch« (Post, 09.12.2016)

Transatlantische Russophobie: Nach Krim-Annexion, Luftraumverletzungen und geheimnisvollen U-Booten jetzt Cyberwar

Der Streit kulminiert in Washington und zeigt, wie zerrissen das Land ist
Während Donald Trumps Gegner auch in der eigenen Partei eine Möglichkeit sehen, diesen dadurch noch vor seinem Amtsantritt zu beschädigen, weil er angeblich von Russland bei der Wahl unterstützt worden sei, macht er sich selbst über die Behauptungen lustig. "Lächerlich" sei die Behauptung, sagte er im Interview für Foxnews, die der CIA gegenüber Abgeordneten in einer Geheimsitzung gemacht habe, dass Russland die Wahl zugunsten von ihm beeinflusst haben soll, er habe sie eindeutig gewonnen. Zudem äußerte er Skepsis gegenüber den Geheimdiensten, was als Affront gilt.

Seit George W. Bush hatte der mit vielen Diensten aufgeblähte Geheimdienstapparat mit mehr als 40.000 Angestellten und einem offiziellen Budget von zuletzt 70 Milliarden US-Dollar nicht nur mehr Geld bekommen, sondern die Dienste hatten auch weitgehend freie Hand, die Überwachung auszubauen. Auch Barack Obama stützte sich weiter auf die Geheimdienste, baute deren Zuständigkeiten aus und hat nun auch unter dem Druck vor demokratischer Abgeordneter die Geheimdienste aufgefordert, eine Untersuchung über die russischen "Cyberaktivitäten" vorzulegen. Zudem wurde beim Pentagon das Cyberkommando unter dem Direktor der NSA aufgebaut.

Wenn sich Trump mit den Geheimdiensten anlegt und deren Arbeit herabwertet, kratzt er nicht nur an der mächtigen, mit der Privatwirtschaft, Politikern und vielen Thinktanks vernetzten US-Sicherheits- und Militärbranche, sondern auch an deren Rechtfertigung durch den Globalen Krieg gegen den Terrorismus und zuletzt verstärkt durch den Konflikt mit Russland. Allerdings scheint das Ansehen der Geheimdienste unter den Leaks von Snowden gelitten zu haben. Der Ex-NSA-Direktor Alexander berichtete, dass dies neben dem angeblich geringen Gehalt im Vergleich zur Privatwirtschaft ein Grund sei, warum der NSA viele Leute davonlaufen (NSA-Mitarbeiter verlassen angeblich den Geheimdienst in Scharen).

Für den republikanischen Senator John McCain, der Vorsitzender des Streitkräfteausschusses und innerparteilicher Gegner Trumps ist, steht jedenfalls als Tatsache fest, dass die Russen in die Wahl eingegriffen haben. Nicht klar sei es, ob sie dies zugunsten eines Kandidaten gemacht haben, das müsse untersucht werden. Er könne aber Trumps Haltung nicht verstehen: "I don't know what to make of it because it’s clear the Russians interfered." McCain ist für die Einrichtung eines Kongressausschusses zur Untersuchung und kritisiert auch die Haltung Trumps gegenüber Putin: "Wladimir Putin ist ein Schurke und ein Mörder und ein Killer und ein KGB-Agent." Man könne zwar mit ihm reden, aber so wie das Reagan gemacht habe, aus einer "Position der Strenge" heraus. Für den demokratischen Abgeordnete Adam Schiff, der im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses sitzt, ist die Sache ebenfalls klar. Was man wisse, spreche dafür, dass Moskau sich zugunsten "des in der Geschichte am stärksten prorussischen Kandidaten" eingemischt habe. Vermutlich wird es einen Kongressausschuss geben, womit die Angelegenheit erst einmal vertagt ist und die Geheimdienste von Trumps Leuten geleitet werden.

mehr:
- Russische Einmischung in US-Wahl: Lächerlich, False-Flag-Aktion, bewiesen … (Florian Rötzer, Telepolis, 12.12.2016)
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siehe auch:
- Der Präsident der USA im Infowar: Wenn eine Medienlandschaft den Knall nicht hört (Marcus Klöckner, Telepolis, 11.12.2016)
- Feindbild: Russland macht Information zur Waffe (Florian Rötzer, Telepolis, 11.12.2016)
- US-Geheimdienste: Russland wollte Trumps Wahlsieg bewirken (Florian Rötzer, Telepolis, 10.12.2016)
- Propagandakrieg in den USA gegen Russland (Florian Rötzer, Telepolis, 10.12.2016)
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Dirk Müller erklärt: Warum Putin in der Ukraine handeln musste. {6:37}

Veröffentlicht am 12.11.2013
Newskritik Archiv
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Dirk Müller erklärt, warum Putin in der Ukraine handeln musste.

Adventsrätsel, das dreizehnte von vierundzwanzig

Das Erste liegt im Schweizer Land,
das Zweite überall,
das Ganze gibt’s am Meeresstrand, 
jedoch nicht überall.