Montag, 12. Juli 2010

Randomisiert-kontrollierte Studien – Wenn Daten Gewalt angetan wird

Die evidenzbasierte Medizin stützt sich auf die Ergebnisse von RCTs. Das setzt natürlich voraus, dass sie von ihren Autoren korrekt interpretiert werden.

Studien über die Präsentation solcher Studien hatten schon länger den Verdacht aufkommen lassen, dass manchmal die Ergebnisse durch findige Formulierungen in die Richtung gebogen werden, die den Autoren wünschenswert erscheint. Statistiker analysierten nun das Phänomen.

Aus der Literatur wurden 72 RCTs extrahiert, die im Dezember 2006 publiziert worden waren. Man suchte nach „spin“; das ist die entstellende Darstellung nichtsignifikanter Ergebnisse, um daraus einen scheinbaren Nutzen für den Patienten zu machen. Solche verzerrenden Darstellungen waren teilweise schon im Titel zu finden; die „Results“ der Abstracts waren in 37,5% betroffen, die „conclusions“ in 58,3%. Mehr als 40% der Arbeiten zeigten „spin“ in mindestens zwei Sektionen des Haupttextes.

Tendenziöse Formulierungen in den Abstracts halten die Autoren für besonders bedenklich, denn viele Leserentscheiden nach dem Inhalt des Abstracts, ob sie eine Publikation in Gänze lesen. Die weitere Ausleuchtung dieser Problematik sollte u. a. dazu führen, dass die Peer Reviewer der Journals für dieses Problem sensibilisiert werden. WE

Boutron I et al.: Reporting and interpretation of randomized controlled trials with statistically non significant results of primary outcomes. JAMA 303 (2010) 2058-2064
Bestellnummer der Originalarbeit 100644
aus Praxis-Depesche 6/2010

Soldaten in Afghanistan – Der Fluch des Einsatzes im Nicht-Krieg

Die Friedensmission am Hindukusch zieht Störungen bei den Soldaten nach sich, über die man sich bei uns erst langsam zu sprechen getraut.

Hingegen analysierte man in Großbritannien offen und mit einer Befragung der Betroffenen die Folgen der Einsätze im Irak und in Afghanistan für die mentale Gesundheit. Die Prävalenz einer wahrscheinlichen posttraumatischen Stress-Störung (PTSD) betrug 4,0%. Mit 19,7% bzw. 13,0% waren „gewöhnliche mentale Störungen“ (Depression, Angst etc.) bzw. Alkoholmissbrauch wesentlich häufiger. Das PTSD-Risiko war bei Kampfeinheiten höher als bei Versorgungseinheiten.

Die Bemühungen um die seelische Gesundheit der Soldaten konzentrieren sich u. a. in den USA und im UK auf die PTSD. Zumindest bei den Briten ist aber der Alkohol das größere Problem. Auch in der Allgemeinbevölkerung nimmt diese Abhängigkeit zu; bei Soldaten hat der Missbrauch jedoch eine viel größere Dimension.

Störungen der mentalen Gesundheit bei Soldaten nehmen nach Ansicht der Autoren nicht prozentual zu, aber in absoluten Zahlen, solange immer mehr Truppen in Konflikte im Ausland geschickt werden. WE

Fear NT et al.: What are the consequences of deployment to Iraq and Afghanistan on the mental health of the UK armed forces? A cohort study. Lancet 375 (2010) 1783-1797
Bestellnummer der Originalarbeit 100642

aus Praxis-Depesche 6/2010

Psychische Entwicklung – Der Segen von Almosen für Indianer

Ein Experiment des Lebens hatte die Möglichkeit gegeben, die Folgen finanzieller Unterstützung für Indianergemeinden in North Carolina im Hinblick auf das Auftreten von Sucht und psychiatrischen Erkrankungen zu verfolgen.

In jener Great Smoky Mountains Study hatte man die psychische Entwicklung junger Leute verglichen, wobei die Reservat-Indianer finanzielle Zuschüsse zum Familieneinkommen erhielten, die weißen Bewohner nicht. Im Jahr 2003 war über die Auswirkungen auf die Jugendlichen publiziert worden; jetzt konnte man sie als junge Erwachsene nochmals examinieren.

Ähnlich wie bei der früheren Analyse zeigte sich auch im Falle der jungen Erwachsenen, dass bei den bezuschussten Indianern die Häufigkeit psychiatrischer Störungen im Vergleich zu den Weißen signifikant geringerwar (OR 0,46), dies vor allem hinsichtlich Alkohol und Cannabis-Missbrauch.

Der Nutzen auf die psychische Entwicklung wurde in der Adoleszenz offenbar von einer besseren Überwachung durch die Eltern vermittelt, bei den jungen Erwachsenen durch weniger kriminelle Freunde.

Die Befunde widerlegen nicht die Annahme, dass Sucht und andere psychische Störungen Gehirnkrankheiten sind, so die Autoren. Vielmehr zeigen sie, dass Ansätze an exogenen Faktoren anhaltende Auswirkungen haben, unabhängig davon, ob eine genetische Disposition für die Störungen besteht oder nicht. WE

Costello EJ et al.: Association of family income supplements in adolescence with development of psychiatric and substance use disorders in adulthood among an American Indian population. JAMA 303 (2010) 1954-1960
Bestellnummer der Originalarbeit 100643
aus Praxis-Depesche 6/2010