Donnerstag, 4. Juli 2019

Die Kaputtmacher

Das US-Militär fragte via Twitter nach dem Einfluss des Militärdienstes auf das Leben von Armeeangehörigen — und erhielt schockierende Antworten.

Auf seinem Twitteraccount postete das US-Militär am 23. Mai 2019 ein Werbevideo der Army-Basis Fort Benning. Ein Privat First Class — deutsche Entsprechung: Gefreiter — der dort ansässigen Pathfinder-Ausbildungsschule schilderte, wie der Dienst ihn als Mensch und Kämpfer verbessert hätte. Der Folgetweet forderte die Leser auf, über die Auswirkungen des Armeedienstes auf das eigene Leben zu berichten. Daraufhin folgte ein wahrer Sturm an Reaktionen, der die Werbeabsicht der Macher in ihr Gegenteil verkehrt. Caitlin Johnstone archivierte einige dieser erschütternden Posts, die von zahlreichen zerstörten Existenzen berichten — zerstört durch Posttraumatische Belastungsstörungen, Vergewaltigungen, Alkoholexzesse, Suizid.
Nach dem Post eines Videos, in dem ein junger Rekrut vor laufender Kamera berichtet, wie der Militärdienst es ihm ermöglichte, ein besserer „Mann und Krieger“ zu werden, twitterte das Militär:

„Wie hat der Dienst dich beeinflusst?“

Als der vorliegende Text verfasst wurde, hatte der Thread bereits mehr als 5.300 Einträge. Die meisten davon zerreißen einem das Herz.

„Meine Tochter wurde während ihrer Militärzeit vergewaltigt“, schrieb ein Nutzer. „Sie wurde ins Krankenhaus. Dort versuchten die Krankenhausmitarbeiter — allesamt männlich —, sie davon zu überzeugen, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Das Leben ihres Peinigers sei sonst ruiniert. Sie blieb standhaft und wollte nicht nachgeben. Ging für einen Einsatz in den Irak, und leidet jetzt an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).“

„Seit 15 Jahren habe ich fast jede Nacht den gleichen Alptraum“, schrieb ein anderer.

Unabsichtlich gab das Militär den Menschen eine Plattform, um in tausenden von Tweets davon zu berichten, wie sie selbst oder eine ihnen nahestehende Person von einer skrupellosen Kriegsmaschinerie verschlungen, zermalmt und dann wieder ausgespuckt wurden.

Zweck dieses Artikels ist lediglich, ein paar dieser Antworten zu dokumentieren, um einerseits die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und anderseits zu verhindern, dass der Thread verloren geht, sollte er aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ gelöscht werden.

Nachstehend eine Auswahl der Tweets in einer Auflistung ohne bestimmte Reihenfolge:

„Jemand, den ich liebte, ging direkt nach der Highschool zum Militär, obwohl ich ihn bat, es nicht zu tun. Wenige Monate nach Ende seines Einsatzes kamen wir wieder zusammen. Eines Nachts sagte er mir, dass er mich liebt, und erschoss sich dann. Wenn ihr Jugendliche unbedingt für euren Imperialismus ausnutzen müsst, dann behandelt immerhin ihre PTBS.“


„Nachdem ich wieder von meinem Auslandseinsatz zurück war, konnte ich ohne ein paar Bier intus nicht in große Menschenmengen gehen. Ich habe eine Nervenschädigung im rechten Ohr, aber weil ich nicht schwach wirken wollte, als ich wieder zurückkam, log ich diesbezüglich vor den Mitarbeitern des Kriegsveteranenministeriums (VA). Mein Vater war Agent Orange ausgesetzt, das seine Lunge, sein Herz, die Leber und die Bauchspeicheldrüse zerstört. Vor fünf Jahren ist er schließlich daran gestorben. Er war 49, dem Gift nicht in Vietnam, sondern an seinem Dienststandort ausgesetzt gewesen, wird meine Tochter und meinen Neffen nie kennenlernen. Ich trinke immer noch zu viel. Menschenmengen sind an den meisten Tagen okay, aber ich muss nachts einkaufen gehen und kann tagsüber nicht arbeiten, weil da zu viele Menschen sind.“

„Der Vater meines besten Freundes aus der Highschool war beim Militär. Er litt 30 Jahre lang unter einer unbehandelten PTBS und einer schweren Depression, hat es seiner Familie nie erzählt. Weihnachten 2010 ging er in den Schuppen, um die Geschenke zu holen, und schoss sich in den Kopf. Das war die erste Beerdigung, auf der mir die Todesursache und die Gründe dafür überhaupt genannt wurden. Ich ging nach dem Gottesdienst nach Hause, fragte etwas herum und fand heraus, dass die meisten Beerdigungen, auf denen ich bisher war, ebenfalls auf durch den Militärdienst verursachte unbehandelte Gesundheitsprobleme zurückzuführen waren.“


„Ich lernte diesen Typen kennen, der im Irak war, Christian hieß er. Er war cool, hatte eine eigene Wohnung mit einer Stange im Wohnzimmer. Schmiss immer tolle Partys. Meine damals beste Freundin begann ihn zu daten, so blieben wir übers Wochenende in seiner Bude. Nach einer Party, um sechs Uhr morgens, holte er seinen Laptop raus. Er zeigte uns ein paar Bilder aus seiner Armeezeit. Bilder mit ein paar Jungs. Grinsend, lachend. Es war cool. Ich war betrunken und mir war’s egal. Er fing an, uns Bilder von ein paar kleinen Kindern zu zeigen. Nach einer Weile wurden seine Augen scheißdunkel. Ich dachte mir nur: Scheiße, der ist völlig high. Er erklärte uns ganz ruhig, dass alle diese Kinder tot seien. ‚Aber das ist es, was Krieg ausmacht. Tote Kinder und nichts, was man dafür vorweisen könnte außer einer Ermäßigung für Militärangehörige.‘ Christian nahm sich zwei Monate später das Leben.“

mehr:
- Die Kaputtmacher (Caitlin Johnstone, Rubikon, 04.07.2019)
siehe auch:
PTSD in der Bundeswehr (Post, 30.12.2015)
Ein kurzer Kommentar zu fast allem (Post, 09.10.2014)

Sandra Maischberger interviewt Horst-Eberhard Richter {21:01 
– Start bei 1:15: »Die Medien heute im Westen benehmen sich häufig wie eine vierte Waffengattung.« 
bis 2:45: »Was in denen angerichtet wird, die Leute töten müssen, die man nicht als persönliche Feinde erkennt.«}

docuville2 cinematographos
Am 05.05.2016 veröffentlicht 
ntv-Sendung vom 27.3.2003
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