Donnerstag, 26. September 2019

Fall Khashoggi: Mohammad bin Salman räumt gewisse Verantwortung ein

Er habe nichts davon gewusst, sagt der Kronprinz einem US-Sender. "Aber es geschah unter meiner Amtsaufsicht"

Der saudi-arabische Kronprinz Mohammad (oft auch: Mohammed) bin Salman räumt ein gewisses Maß an Verantwortlichkeit für den Mordfall Jamal Khashoggi ein, wie am heutigen Donnerstag verschiedene Medienberichte melden. So geht aus einem Trailer des US-Senders PBS für das Doku-Format Frontline hervor, dass der Kronprinz seinem Interviewer Martin Smith gesagt habe: "Es geschah unter meiner Amtsaufsicht (i. O. "watch"). So geht alle Verantwortung auf mich, da es unter meiner Aufsicht passierte."

Die Frage, die der Interviewer im Trailer stellt, geht von der höflichen Annahme aus, dass Mohammad bin Salman nichts von der Tötung wusste. Im Begleittext zur Sendung steht, dass der Kronprinz darauf insistiert habe, dass er nichts davon wusste.

"Wie konnte dies passieren, ohne dass Sie davon wussten?", heißt es im Trailer. Die Antwort: "Wir haben eine Bevölkerung mit 20 Millionen. Wir haben 3 Millionen Regierungsangestellte." Smith fragt nach: "Und sie können sich eins Ihrer Flugzeuge nehmen?" Der Kronzprinz antwortet ihm: "Ich habe Offizielle und Minister, die Dinge verfolgen und sie sind verantwortlich. Sie haben die Befugnis, dies zu tun."

Das Gespräch fand im Dezember letzten Jahres(!) am Rande einer Rennsportveranstaltung mit elektronischen Autos statt. Die Sendung soll am kommenden Dienstagabend, dem 1. Oktober, auf PBS ausgestrahlt werden. Am 2. Oktober letzten Jahres hat der im Exil lebende saudische Staatsbürger Jamal Khashoggi das Konsulat seines Landes in Istanbul betreten und ist seither nicht mehr lebend gesehen worden.

Am Sonntag zuvor (29.September) strahlt der US-Sender CBS ein Interview mit dem Kronprinzen in seinem Format "60 Minutes" (ungefähr 11 Millionen Zuschauer) aus. Es ist sehr viel aktueller, da sich das US-Fernsehteam mit Mohammad bin Salman am vergangenen Dienstag im saudischen Jeddah (Dschidda) traf. Der Sender verrät allerdings vorab nichts über den Inhalt.

So konzentrieren sich die Berichte über das Eingeständnis des Kronprinzen, wie sie von Reuters stammend in der israelischen Zeitung Ha'aretz oder von al-Jazeera wiedergegeben werden, auf die Aussagen aus dem Dezember letzten Jahres, die der Journalist Martin Smith zitiert.

Auch der bekannte Autor der New York Times, Ben Hubbard, bezieht sich in seinem Bericht für die New York Times über das von einem "Nicht schuldig" an der Tat eingeschränkte Verantwortungseingeständnis des Kronprinzen einzig auf Aussagen, die vor zehn Monaten zur brisanten Sache gemacht wurden.

Allein die lange Wartezeit zeigt schon an, dass die Bekenntnisse des Prinzen nicht sensationell genug waren, um sie möglichst bald als Scoop zu veröffentlichen. Der Aufmerksamkeitswirbel, den sie anregen, soll der Sendung zum Jahrestag des Verschwindens Khashoggi nutzen.

Es wäre eine Sensation, wenn der Kronprinz im CBS-Interview, das am Sonntag ausgestrahlt wird, bedeutend mehr eingesteht als diese "minimale moralische Verantwortung", die strafrechtlich nicht relevant ist, wie al-Jazeera den Leiter des Zentrums für "Gulf Studies" an der Universität von Katar zitiert.
mehr:

- Fall Khashoggi: Mohammad bin Salman räumt gewisse Verantwortung ein (Thomas Pany, Telepolis, 26.09.2019)
siehe auch:
Die türkische Zeitung "Sabah" hat am 9. Sept. am frühen Nachmittag ein gekürztes Transkript der Audioaufnahmen vom Mord an Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul veröffentlicht.

Immer wieder war von dieser Aufnahme die Rede – zeitweise auch von angeblichen Filmaufnahmen, die es aber nicht gab – und es wurden nur tröpfenweise Einzelheiten daraus gestreut. Offenbar hatte der türkische Geheimdienst das Konsulat abgehört. Unklar ist, wie "Sabah" – die Zeitung steht der Regierung von Präsident Erdogan nahe – an die Aufnahmen gekommen ist.

Zitieren wir "Sabah" (hier in deutscher Übersetzung):

Eine Aufzeichnung der Gespräche zwischen Maher Abdulaziz Mutreb, der Nr. 2 des Todeskommandos, und Dr. Salah Muhammed Al-Tubaigy, dem Chef der Gerichtsmedizin der Saudischen Allgemeinen Sicherheitsabteilung, ist mit dem Zeitstempel um 13:02 Uhr versehen, nur 12 Minuten bevor Khashoggi im Konsulatsgebäude ankommt, um die Heiratsformalitäten zu erledigen.

Das Gespräch zwischen den beiden, die zu den fünf Verdächtigen gehören, die in Saudi-Arabien wegen des Mordes mit der Todesstrafe bedroht sind, ist wie folgt: […]

Am Ende des Gesprächs fragt Mutreb, ob das "Tier, das geopfert werden soll", eingetroffen ist. Um 13:14 Uhr meldet ein unbekanntes Mitglied des Todeskommandos: "[Er] ist hier."
[Dietrich Klose, Khashoggi-Mord: Audioaufnahme veröffentlicht, Freitag-Community, 11.09.2019]
Der Fall Khashoggi – Kleine Morde unter Freunden? (Matthias Weik, Marc Friedrich, Telepolis, 25.11.2018)
Saudi Arabien – erst Business, dann Moral (Matthias Weik, Marc Friedrich, Telepolis, 26.10.2018)
Saudi-Arabien: Absolute Herrscher richten sich nicht nach dem Westen (Thomas Pany, Telepolis, 23.10.2018)

Saudi- Arabien am Pranger | Weltspiegel extra {15:31}

Weltspiegel
Am 21.10.2018 veröffentlicht 
Weltspiegel extra vom 23. Oktober 2018
Die Diskussion läuft heiß. Staaten ringen um die angemessene Reaktion, erhöhen den Druck auf Saudi-Arabien. Es kursieren immer neue Versionen von Hintergründen und Umständen des Todes des Journalisten Jamal Khashoggi.
Bild: dpa / picture-alliance

Tagesdosis 20.10.2018 – Der Fall Khashoggi: Was steckt dahinter? (Podcast) (Thomas Pany, Telepolis, 20.10.2018)
Khashoggi: Korrekturen, Lügen und eine Leiche, die verschwunden ist (Post, 20.10.2018)
„Washington Post“ veröffentlicht Khashoggis letzten Artikel (Thomas Pany, Telepolis, 18.10.2018)
US-Senator und Geheimdienstkontrolleur Bob Graham «Die 28 geheimen Seiten weisen auf Saudi-Arabien« (Post, 02.06.2016)
Saudi-Arabien: Ein Verbündeter bei der Verteidigung unserer westlichen Werte (Post, 20.12.2015)

Der ukrainische Sumpf holt Washington ein – oder umgekehrt

Trump hat die Mitschrift des Gesprächs mit dem ukrainischen Präsidenten freigegeben. Es gab keinen direkten Handel, aber es offenbart seltsame Wünsche Trumps und das Verhalten von Vassalen

Mit der Veröffentlichung der Mitschrift des Telefongesprächs, das Donald Trump mit Wolodymyr Selenskyi (Zelenskyi) am 25. Juli nach der Parlamentswahl in der Ukraine führte, ist das Weiße Haus vorgeprescht. Die Frage ist nun, ob damit ein Impeachment über die vermeintliche Verletzung der Verfassung vom Tisch ist. Denn in dem Gespräch drang Trump zwar darauf, die Vorgänge um seinen Hauptkonkurrenten Joe Biden und seinen Sohn zu untersuchen, und er wünschte auch ziemlich diffus eine Untersuchung darüber, ob Ukrainer eine Rolle bei den 2016 vom Democratic National Committee gestohlenen Emails gespielt haben. Dabei sollte eine direkte Zusammenarbeit zwischen dem Justizministerium und der ukrainischen Staatsanwaltschaft sowie Trumps persönlichem Anwalt John Giuliani stattfinden. Trump verband dies aber nicht mit irgendwelchen Angeboten oder Drohungen, die kurz zuvor vorübergehende von Trump gesperrten Hilfsgelder in Höhe von 391 US-Dollar, darunter 250 Millionen für Militärhilfe, wurden gar nicht erwähnt.


Das dürfte vermutlich in der Beschwerde des Whistleblowers aus den Geheimdiensten auch stehen, der beim Generalinspekteur der Geheimdienste deswegen eine noch weiterhin geheim gehaltene Eingabe machte. Der Generalinspekteur verlangte die Freigabe an den Kongress, weil im Gespräch möglicherweise das Parteienfinanzierungsgesetz verletzt worden war. Die Anzeige wurde auch an das Justizministerium weitergegeben, das aber befand, dass nach der diesem vorliegenden Mitschrift des Gesprächs hier kein Vergehen des Präsidenten vorliegt, weswegen sie auch nicht wie sonst üblich an die Geheidienstausschüsse weitergegeben wurde. Das müssen Anzeigen, die direkt etwas mit den Geheimdiensten zu tun haben. Kerri Kupec, die Sprecherin des Justizministeriums, erklärte überdies, Trump habe mit Justizminister Barr nie über eine Ermittlung gegen Biden in der Ukraine gesprochen, Barr habe mit Giuliani auch nie über etwas mit der Ukraine Zusammenhängendes gesprochen.

Nancy Pelosi, die Sprecherin des mehrheitlich von Demokraten besetzten Repräsentantenhauses, hatte wohl etwas überstürzt kurz vor der Freigabe der Mitschrift die Einleitung eines Impeachment-Prüfverfahrens angekündigt. Nach der Freigabe, die die vermutete Verknüpfung der Forderung nach Ermittlungen mit den amerikanischen Hilfsgeldern nicht bestätigte, hielt Pelosi dennoch an den Vorwürfen fest: "Tatsache ist, das der Präsident der Vereinigten Staaten im Bruch mit seinen verfassungsmäßigen Verantwortlichkeiten eine ausländische Regierung gebeten hat, ihm bei seiner politischen Wahlkampagne zu Lasten unserer nationalen Sicherheit und mit der Untergrabung der Integrität unserer Wahlen zu helfen". Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren, die darauf hoffen kann, Biden zu überholen, meinte, die Mitschrift sei ein "rauchender Colt". Auch der demokratische Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders gab einen Kommentar ab: "Donald Trump ist der korrupteste Präsident in der neueren Geschichte dieses Landes." Hillary Clinton unterstützt weiter ein Impeachment, weil "der Präsident der Vereinigten Staaten unser Land verraten hat".

Der demokratische Senator Chuck Schumer verlangt weiter Einsicht in die Whistleblower-Anzeige. Die soll sich auf Verschiedenes beziehen, der Generalinspekteur sagte aber nicht, ob es dabei auch um Trump geht. Am Dienstag hatte der Senat, in dem die Republikaner eine Mehrheit haben, einstimmig einer Resolution zugestimmt, in der die Trump-Regierung aufgefordert wird, die vollständige Whistleblower-Anzeige dem Kongress zu übergeben. Die soll nun auch an den Geheimdienstausschuss des Senats gehen.

mehr:
- Der ukrainische Sumpf holt Washington ein - oder umgekehrt (Florian Rötzer, Telepolis, 26.09.2019)
siehe auch:
USA-Wahlkampf: When the shit hits the fan… (Post, 23.09.2019)
Die korrupte politische US-Kaste: Die Kronprinzen sahnen ab! (Post, 02.05.2019)
Einzig Lincoln hätte die Autorität gehabt, milde Friedensbedingungen im von radikalen Republikanern dominierten US-Kongress durchzusetzen. So aber wurden die Südstaaten unter Militärverwaltung gestellt und mussten während der "Ära der Rekonstruktion" bis 1877 mitansehen, wie die Vereinigten Staaten nach den Wünschen des Nordens umgestaltet wurden. Die Wirtschaft des kriegszerstörten Süden wurde umgekrempelt, tiefgreifende Änderungen an den überkommenen gesellschaftlichen Strukturen blieben aber aus.

Die Leidtragenden waren die durch den Krieg "befreiten" schwarzen Sklaven, für die man sich im Norden nicht wirklich einsetzte. Mit drei Verfassungszusätzen erhielten sie zwar im Jahr 1866 die Bürgerrechte und das Wahlrecht, doch blieben sie bestenfalls Menschen zweiter Klasse. An die Stelle der Sklaverei trat die Rassentrennung, von mehreren Südstaaten ab 1876 in den sogenannten "Jim-Crow-Gesetzen" festgeschrieben.
Das Ende dieser Prolongation der Sklaverei wurde erst wenige Monate vor Veteran Woolsons Tod eingeläutet. Am 1. Dezember 1955 weigerte sich die schwarze Bürgerrechtlerin Rosa Parks in einem Autobus in Montgomery (Alabama) ihren Sitzplatz einem weißen Fahrgast zu überlassen. Die Proteste gegen ihre Festnahme waren der Startschuss für die Bürgerrechtsbewegung, die zur Abschaffung der Rassentrennung durch das "Civil Rights Act" (1964) unter Präsident Lyndon B. Johnson führte.

Das Gesetz veränderte auch die politische Landschaft der USA nachhaltig. Im Jahrhundert nach dem Bürgerkrieg waren die Südstaaten ein Bollwerk der Demokraten gewesen, die Republikaner standen als Partei des ehemaligen Kriegsgegners auf verlorenem Posten. Die Bürgerrechtsbewegung änderte dies nachhaltig, der demokratische "Solid South" (Geschlossener Süden) wurde rot. Doch änderten sich nur die politischen Vorzeichen, nicht die gesellschaftlichen Realitäten.

So wurde der erste schwarze US-Präsident Barack Obama im Jahr 2008 als Kandidat der ehemaligen Sklavenhalter-Partei Demokraten gewählt. Die Südstaaten stimmten aber fast geschlossen für seinen landesweit abgeschlagenen republikanischen Gegenkandidaten John McCain. Mittlerweile als "Bible Belt" tituliert, ist der Süden zum Kernland der nach rechts gerückten ehemaligen Nordstaaten-Partei geworden. Trennte Nord und Süd früher die Sklavenfrage, sind es heute weltanschauliche Themen wie Abtreibung und Homosexualität, aber auch die Haltung zu Ausländern und der Todesstrafe. 
[150 Jahre US-Bürgerkrieg: USA immer noch gespaltenDie Presse, 11.04.2011 – Hervorhebungen von mir]
mein Kommentar:
Habe ich richtig verstanden?
Wenn Trump Selenskyi unter Druck setzt, ist das möglicherweise Verfassungsbruch, wenn Biden Poroschenko unter Druck setzt (Post, 02.05.2019 – s.o.), kümmert das nur die Republikaner? Was ist denn das für eine Logik?