Montag, 31. Dezember 2012

Heute vor 23 Jahren – 31. Dezember 1989: Letztes »Begrüßungsgeld« für DDR-Bürger

Einen Blauen als Willkommengruß 

Schon seit 1970 erhielten Bürger der DDR und auch Deutschstämmige aus der Volksrepublik Polen zur Unterstützung ein »Begrüßungsgeld«, wenn sie nach Westberlin oder in die Bundesrepublik einreisten. Das Kopfgeld betrug zunächst 30 DM und konnte zweimal im jahr in Anspruch genommen werden. In der Öffentlichkeit war dieses Verfahren jedoch kaum bekannt, daher und infolge der rigiden Ausreisebegrenzung für DDR-Bürger hielt sich die Zahl derer, die es in Anspruch nahmen, in engen Grenzen. 
Schlange vor der Sparkassen-Filiale/Kurfürstendamm, November 1989
 Das änderte sich am 10. November 1989, einem Freitag, grundlegend. Nachdem am Vorabend die Mauer gefallen war, strömten Menschen über die ehemalige Grenze nach Westberlin und »eroberten« die Flanier- und Geschäftsstraßen im Westteil der Stadt. Vor den Geldinstituten standen DDR-Bürger Schlange, um sich ihr Begrüßungsgeld auszahlen zu lassen, das mittlerweile 100 DM betrug. Von einigen Sparkassenfilialen wurden chaotische Zustände gemeldet, da sich Tausende gleichzeitig dort sammelten. Am letzten Tag des jahres 1989 endete die Auszahlung in dieser Form, stattdessen wurde ein entsprechender Devisenfonds eingerichtet. 

Novalis (zum Jahresende) 
»Begrüße das neue Jahr vertrauensvoll und ohne Vorurteile, dann hast du es schon halb zum Freunde gewonnen.« 
Brockhaus - Abenteuer Geschichte 2012 

Sonntag, 30. Dezember 2012

Heute vor 200 Jahren – 30. Dezember 1812: Unterzeichnung der Konvention von Tauroggen

Preußischer General kündigt Truppenhilfe 

 Eine Mühle in einem kleinen litauischen Dorf nahe der Stadt Tauroggen war heute vor 200 Jahren, am 30. Dezember 1812, Schauplatz einer folgenreichen Unterschrift: Ohne von seinem König dazu ermächtigt zu sein, unterzeichnete General Graf Yorck von Wartenburg, Oberbefehlshaber des preußischen Hilfskontingents Napoleons in dessen Russlandfeldzug, die Konvention von Tauroggen, einen separaten Waffenstillstand mit Russland. Das war Verrat, doch zugleich ein erster Schritt zur Befreiung Preußens von der napoleonischen Fremdherrschaft. 
General Yorck von Wartenburg (rechts) und ein russischer General
besiegeln [Hans Karl von Diebitsch-Sabalkanski?] die Übereinkunft, kolorierter Holzstich, 1880


 Yorck schickte umgehend einen Kurier nach Berlin, um seiner Majestät den Vorgang zu melden. Friedrich Wilhelm III. (König von 1797 bis 1840) zeigte sich wenig amüsiert über die Eigenmächtigkeit seines Generals und enthob ihn des Kommandos. Yorck erfuhr nur aus der Zeitung von seiner Degradierung und ignorierte sie. Das militärische Desaster, das die Grande Armee in Russland erlebte, spielte Yorck in die Karten. Schon im März 1813 rief der König selbst sein Volk zum Befreiungskrieg gegen Napoleon auf

 Was am 30. Dezember noch geschah: 
 1947: König Michael I. von Rumänien dankt unter dem Druck der im Land herrschenden Kommunisten ab. 
 Brockhaus - Abenteuer Geschichte 2012 

Der Zirkus – eine Welt unerschöpflichen Zaubers

Die große Parade

Zirkusbilder sind zentral im Werk Marc Chagalls. Sie sind für ihn Bilder vorn Leben in seiner reinsten Form und bergen tiefe religiöse Dimensionen in sich. „Ich habe Clowns, Akrobaten und Schauspieler immer als tragische menschliche Wesen betrachtet, die für mich den Personen auf gewissen religiösen Gemälden gleichen. Selbst heute noch spüre ich beim Malen einer Kreuzigung oder eines religiösen Werkes die gleichen Gefühle, die ich empfinde, wenn ich Zirkusleute male“, notiert er. Auf dem Grunde des Lächelns schwimmt eine Träne. Um Lebensfreude zu spüren, muss man den Schmerz kennen, und um Zuversicht zu zeigen, muss unter ihrem bunten Gewand auch der Zweifel ein Zuhause haben.


Auf dem Grunde des Lächelns schwimmt eine Träne
Der Clown lehrt uns, wie wir über uns selbst lachen sollen. Und dieses unser Lachen wird aus Tränen geboren.
Freude ist wie ein Strom: sie fließt ohne Unterlass. Das ist nach meinem Glauben die Botschaft, die der Clown uns zu über­bringen versucht, dass wir teilhaben sollen am unaufhörlichen Fluss, der endlosen Bewegtheit, dass wir nicht anhalten sollen, um nachzudenken, zu vergleichen, zu zergliedern, zu besitzen, sondern fließen immerfort, ohne Ende wie Musik. Das ist der Gewinn im Verzicht, und der Clown schafft das Sinnbild dafür. An uns ist es, das Symbol in Wirklichkeit zu wandeln.
Zu keiner Zeit der menschlichen Geschichte war die Welt so voller Leiden und Angst. Hie und da treffen wir jedoch Men­schen, die unberührt und unbefleckt blieben vom allgemeinen Elend. Es sind keine herzlosen Geschöpfe, weit davon entfernt! Sie haben die Freiheit gewonnen. Die Welt erscheint ihnen anders als uns. Sie sehen mit anderen Augen. Wir sagen von ihnen, dass sie der Welt gestorben sind. Sie erleben den Augenblick in seiner vollen Größe, sie strahlen, und dieses Strahlen rund Inn sie ist ein immerwährendes Lied der Freude.
Der Zirkus öffnet eine winzige Lücke in der Arena der Verges­senheit. Für eine kurze Spanne dürfen wir uns verlieren, uns auflösen in Wunder und Seligkeit, vom Geheimnis verwandelt. Wir tauchen wieder empor zur Verwirrung, betrübt und entsetzt vom Alltagsanblick der Welt. Aber diese alltägliche Welt, die wir allzu gut zu kennen meinen, es ist dieselbe, die einzige Welt, eine Welt voll Magie, voll unausschöpflichen Zaubers. Wie der Clown führen wir unsere Bewegungen aus, täuschen wir vor, bemühen wir uns, das große Ereignis hinauszuschieben. Wir sterben in den Wehen unserer Geburt. Wir sind niemals gewesen, wir sind auch jetzt nicht. Wir sind immerzu im Werden …

Henry Miller




Samstag, 29. Dezember 2012

Heute vor 122 Jahren – 29. Dezember 1890: Das Massaker am Wounded Knee


Am 29. Dezember 1890 töteten Soldaten des 7. US-Kavallerieregiments Männer, Frauen und Kinder der Minneconjou-Lakota-Sioux-Indianer unter Häuptling Spotted Elk (auch „Big Foot“) bei Wounded Knee. Dieses Massaker brach den letzten Widerstand der Indianer gegen die Weißen. Vorausgegangen war die „Ghost Dance“-Bewegung von Wovoka, einem Propheten der Paiuten. Die Geistertanz-Revitalisierungs- und Erlösungsbewegung richtete sich an alle Indianerstämme.
Die erfolgreiche Verbreitung der Lehre wurde von der US-Regierung als eine Bedrohung aufgefasst. Sitting Bull, Spotted Elk und andere Häuptlinge wurden als potenziell gefährlich angesehen. Sitting Bull wurde am 15. Dezember getötet.

Am Tag des Massakers hatte Colonel James William Forsyth den Befehl, die Sioux in ein Militärlager in Omaha zu deportieren. Die Sioux wurden zunächst informiert, dass sie alle Feuerwaffen auszuhändigen hätten. Unzufrieden mit der Anzahl der freiwillig abgegebenen Waffen, begannen die Soldaten, die Zelte zu durchsuchen. Forsyth war mit dem Ergebnis noch immer unzufrieden und ordnete eine Leibesvisitation an. Auch dies ließen die Indianer über sich ergehen – alle, bis auf den Medizinmann Yellowbird, der heftigst protestierte und einige Schritte des Geistertanzes tanzte. Alarmiert suchten die US-Soldaten weiter. Als sie bei Black Coyote fündig wurden, der eine neue Winchester unter seiner Kleidung versteckt hatte, und sich weigerte, das Gewehr abzugeben – immerhin habe er viel Geld dafür bezahlt, und die Wegnahme des Gewehrs durch die US-Soldaten wäre endgültig gewesen –, kam es zu einem Gerangel, bei dem sich ein Schuss löste.

Hierauf begannen die US-Soldaten zu feuern. Aus auf den Anhöhen positionierten 42 mm Hotchkiss-Gebirgskanonen verschossene Granaten töteten zahlreiche Indianer. Unter den Toten war auch Häuptling Spotted Elk. Auch 25 Kavalleristen starben, zumeist getötet von den Kugeln der eigenen Seite.

Forsyth wurde von jeder Schuld freigesprochen.

Der Schriftsteller Lyman Frank Baum dürfte der öffentlichen Meinung seiner Zeit nicht allzu fern gewesen sein, als er im Aberdeen Saturday Pioneer vom 3. Januar 1891 lediglich die toten US-Soldaten beklagte, hinsichtlich des Konflikts mit den Indianern jedoch deren „totale Auslöschung“ forderte:

„Die merkwürdige Politik der Regierung, eine so schwache und schwankende Person wie General Miles zur Überwachung der unruhigen Indianer einzusetzen, hat zu einem schrecklichen Blutvergießen unter unseren Soldaten geführt (...) Es hat reichlich Zeit für schnelle und entschiedene Maßnahmen gegeben, die dieses Desaster verhindert hätten. (Diese Zeitung) hat zuvor erklärt, daß unsere Sicherheit von der totalen Auslöschung der Indianer abhängt. Nachdem wir ihnen jahrhundertelang Unrecht getan haben, sollten wir diesem noch ein weiteres Unrecht folgen lassen und diese ungezähmten und unzähmbaren Kreaturen vom Angesicht der Erde wischen (...) Andernfalls können wir erwarten, dass die kommenden Jahre genau so voller Schwierigkeiten mit den Rothäuten sein werden wie die vergangenen.“[1]

Im 20. Jahrhundert wandelte sich die Sicht auf die Ereignisse. Vor allem das 1970 erschienene Sachbuch Bury My Heart at Wounded Knee („Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“) von Dee Brown beschrieb das Massaker als Schlusspunkt des Genozids an der indianischen Bevölkerung der Great Plains.




»Objektive« Informationen über den Hergang des Geschehens einzuholen ist so gut wie unmöglich. Daher habe ich im vorgehenden aus Wikipedia zitiert.

Massaker am Wounded Knee (STERN Online)






Siehe dazu auch folgende Posts:
1850-1900: Siedler erobern den Westen der USA
Fernseh- bzw. Filmtips
Wir sind alle chinesische Tibeter …

Ausschnitte aus dem Film Halbblut (Thunderheart)


Freitag, 28. Dezember 2012

Zeit vergeht nicht, Zeit entsteht

Der Jongleur, 1943

Sie machen Zeit

Ich habe sie gesehen: die Makonde-Schnitzer unter dem Strohdach in der tansanischen Steppe;
singend, dösend, wartend:
und auch die Bananenverkäufer am Rande der Straße nach Moshi,
schweigend, plappernd, sitzend;.
auch die Sisalarbeiter auf der abgebrannten Erde des Dorfes, schwitzend, hockend, gähnend;
die alten und die jungen Leute unter den Feuerbäumen, liegend, horchend, beobachtend.
Es umgab mich in diesem Lande die verführerische Faszination der Ruhe.
Aber ich reagierte europäisch und fragte meinen schwarzen Freund: „Was machen alle diese Leute da? Sie sitzen und dösen und plappern und warten. So könnt ihr niemals den Anschluss an den Fortschritt gewinnen.”
„Du hast den Eindruck, unsere Leute sind faul, nicht wahr? fragte der kurz dagegen. Ich verhehlte nicht, dass meine Gedanken zumindest in diese Richtung gingen.
„Was ich jetzt sage, fuhr er fort, „wirst du kaum verstehen: Diese Leute sitzen da und machen Zeit. Das alte Afrika kennt auch in seinen Sprachen keine Form der Zukunft. Wir haben keine Zeit, also können wir auch nicht über sie verfügen, können nicht planen und uns nicht festlegen. Alle Zeit ist ein Geschenk. Sie muss erst entstehen, wir können sie nur erwarten.”
„Und wodurch entsteht Zeit? fragte ich.
„Durch Regen, sagte er, „oder durch die Geburt eines Kindes, durch Krankheit, durch Hochzeit, durch eine Begegnung, durch einen Tanz, durch ein Gespräch oder ein Fest. Dann ist die Zeit geboren, und wir können in ihr leben. Dann rechnen wir auch nicht wie ihr Europäer die Zeit nach Tagen und Jahren, sondern nach Erlebnissen und Ereignissen, mehr noch: Wir rechnen nicht, sondern erfahren. Dadurch bekommt unser Leben seinen Sinn und seine Hoffnung.
„Ich will darüber nachdenken, warf ich ein.
„Das ist schon der erste Fehler, meinte mein Freund. „Du musst dich öffnen für das, was auf dich zukommt.
Mir fiel damals auf, dass sie alle keine Armbanduhren hatten. Ich fuhr nach Haus mit dem Gedanken, wie schön es wäre, wenn …
Aber dazu ist es wohl zu spät.
Peter Spangenberg



Irgendwo zwischen Nacht und Morgen. Eine Momentaufnahme aus einem kleinen Zirkus. Die Uhr hält inne. Die gewohnte Welt steht scheinbar still. Schwebezustand. Ganz so, wie in jener eigentümlich zeitlosen Zeit „zwischen den Jahren. Aber ebenso wie in dieser Zeit, ist auch bei Chagall der scheinbare Stillstand zugleich der Beginn einer kraftvollen Bewegung. Es ist die Stunde der Künstler. Die Uhr gibt nicht länger den Takt vor. Ein alter Geiger spielt auf. Der Tanz beginnt. Ein engelähnliches Fabelwesen – das selber verschiedene Welten in sich vereint – schwebt und steht und dreht sich auf einem Bein, bewegt wohl durch den sanften Schlag seiner Flügel. Der Jongleur, so bezeichnet Chagall dieses Bild von 1943, hat Macht über die Zeit. Er spielt mit ihr und stellt sie buchstäblich auf den Kopf. Pirouettendrehend geht von ihm eine Bewegung aus, die sich einer Spirale gleich von der Mitte der Manege nach rechts, also gegen den Uhrzeigersinn, öffnet. Auch dies eine – gemessen am normalen Rhythmus unseres Lebens – verkehrte Welt. Die in himmelblaue Farbtöne getauchte Spiralbewegung umfasst die Zuschauer und verschmilzt sie mit dem Geschehenen. Wird hier etwas richtig gestellt? Das Maß der Zeit bestimmt nicht die Uhr, sondern die Magie des Erlebens. Die Manege – für Chagall grundiert vom liebevollen rotgolden glühenden Land seiner Kindheit – wird zur Mitte und zum Zauberkreis einer Welt der Wunder, die Gaukler, Akrobaten, Trapezkünstler, Musikanten und Kunstreiterinnen bevölkern. Hereinspaziert. Willkommen im Zirkus amn Rande der Zeit. Hier gehen die Uhren anders. Vielleicht, um mich daran zu erinnern, dass die Zeit eigentlich nicht vergeht, sondern entsteht.