Die große Parade |
Zirkusbilder sind
zentral im Werk Marc Chagalls. Sie sind für
ihn Bilder vorn Leben in seiner reinsten Form und bergen tiefe religiöse Dimensionen in sich. „Ich habe
Clowns, Akrobaten und Schauspieler
immer als tragische menschliche Wesen betrachtet, die für mich den
Personen auf gewissen religiösen Gemälden
gleichen. Selbst heute noch spüre ich beim Malen einer Kreuzigung oder
eines religiösen Werkes die gleichen
Gefühle, die ich empfinde, wenn ich Zirkusleute male“, notiert er. Auf
dem Grunde des Lächelns schwimmt eine
Träne. Um Lebensfreude zu spüren,
muss man den Schmerz kennen, und um Zuversicht zu zeigen, muss unter
ihrem bunten Gewand auch der Zweifel ein Zuhause haben.
Auf
dem Grunde des Lächelns schwimmt eine Träne
Der Clown lehrt uns, wie wir
über uns selbst lachen sollen. Und dieses unser Lachen wird aus Tränen geboren.
Freude ist wie ein Strom: sie fließt ohne Unterlass. Das ist nach meinem Glauben die Botschaft, die der Clown
uns zu überbringen versucht, dass wir teilhaben sollen am
unaufhörlichen Fluss, der endlosen
Bewegtheit, dass wir nicht anhalten sollen, um nachzudenken, zu
vergleichen, zu zergliedern, zu besitzen, sondern fließen immerfort, ohne Ende
wie Musik. Das ist der Gewinn im Verzicht,
und der Clown schafft das Sinnbild dafür. An uns ist es, das Symbol in
Wirklichkeit zu wandeln.
Zu keiner Zeit der
menschlichen Geschichte war die Welt so voller Leiden und
Angst. Hie und da treffen wir jedoch Menschen, die unberührt und unbefleckt
blieben vom allgemeinen Elend. Es sind
keine herzlosen Geschöpfe, weit davon entfernt! Sie haben die Freiheit gewonnen. Die Welt erscheint ihnen anders als uns. Sie sehen mit anderen Augen. Wir sagen
von ihnen, dass sie der Welt gestorben sind. Sie erleben den Augenblick in
seiner vollen Größe, sie strahlen,
und dieses Strahlen rund Inn sie ist ein immerwährendes Lied der Freude.
Der Zirkus öffnet eine winzige Lücke in der Arena der
Vergessenheit. Für eine kurze Spanne dürfen wir uns
verlieren, uns auflösen in Wunder und
Seligkeit, vom Geheimnis verwandelt. Wir tauchen wieder empor zur Verwirrung,
betrübt und entsetzt vom Alltagsanblick der Welt.
Aber diese alltägliche Welt, die wir allzu gut zu kennen meinen, es ist
dieselbe, die einzige Welt, eine Welt voll
Magie, voll unausschöpflichen Zaubers. Wie der Clown führen wir unsere
Bewegungen aus, täuschen wir vor, bemühen wir uns, das große
Ereignis hinauszuschieben. Wir sterben in den Wehen
unserer Geburt. Wir sind niemals gewesen, wir sind auch jetzt nicht. Wir
sind immerzu im Werden …
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen