Montag, 25. Februar 2008

GEK-Report: Nützt Psychotherapie?

Von Frau Ursula Neumanns Seite:
(Bevor man sich ans Lesen macht, kann man sich selbiges vielleicht sparen, wenn man sich gleich die letzten vier Absätze des Posts ansieht.)

Die GEK machte Furore mit ihrem jüngsten Gesundheitsreport, in dem die Psychotherapie verdammt schlecht weg kam.

Das kann man nicht so stehen lassen. Auf einen kaum vorhandenen Erfolg zu schließen, weil – so das Untersuchungsdesign – weil nach einer Psychotherapie die in den Monaten zuvor angestiegenen Arzbesuche, Medikamenteneinnahme und Klinikaufenthalte praktisch „lediglich“ wieder auf den Wert vor dem Anstieg gesunken sind, ist etwa so sinnvoll, wie aus der Tatsache, dass ich nach vollzogener Zahnsanierung wieder genauso selten zum Zahnarzt gehe, wie die Jahre vorher.

Oder um es noch konkreter zu machen: Ist meine Mamma-Carcinom- OP deshalb nicht sonderlich effektiv gewesen, weil ich heute immer noch ein bisschen öfter in einer Arztpraxis zu finden bin als vor der Diagnose?

Dass zudem der Prof, der das ganze untersuchte, sich vor Jahren mit der Forderung hervortat, die Psychotherapie als Lifestyle-Wellness-Produkt aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen zu kicken, sollte bei einem anständigen Forscher eigentlich dazu führen, dass er sich selbst in dieser Frage für befangen erklärt.


Ärzte Zeitung, 20.02.2008

Hilft Psychotherapie zu wenig? - Verbände und Kasse im Streit

[Es erscheint mir sinnvoll, auf die Wikipedia-Definition von »Helfen« zu verweisen. Beachte 3. Abs., Satz 1; der Wikipedia-Artikel verweist auch auf »pluralistische Ignoranz«; von dort geht es zu »Verantwortungsdiffusion«; Bemerkung von panther]

Massive Kritik an Gesundheitsreport 2007 der Gmünder Ersatzkasse / Therapeutenverbände hinterfragen Form und Inhalt der Untersuchung

BERLIN. Wenn es um die Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren geht, werden Untersuchungen zu diesem Thema besonders kritisch betrachtet. Wenn dann noch die These vermittelt wird, dass solche Verfahren den Gesundheitszustand der Patienten nicht oder nur kaum verbessern, wie dies der Report 2007 der Gmünder Ersatzkassen nahelegt, ruft das erst recht Psychotherapeuten auf den Plan.

Von Wolfgang van den Bergh

Die Gmünder Ersatzkasse (GEK) hat in ihrem "Report 2007" die ambulante ärztliche Versorgung unter die Lupe genommen. Dabei lag der Schwerpunkt auf der ambulanten Psychotherapie als Kassenleistung. In Auftrag gegeben wurde die Untersuchung beim Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung in Hannover unter dem Vorsitz von Professor Friedrich Wilhelm Schwartz. Für die GEK steht danach fest: "Die ambulante Psychotherapie hat keine deutlich nachweisbaren positiven Wirkungen."


Wissenschaftler stellen nur leichte positive Effekte fest

Untersucht wurde, wie sich ambulante Psychotherapien auf die Häufigkeit von Arztbesuchen, auf Arzneimittelverschreibungen und auf die Verweildauer im Krankenhaus auswirken. Grundlage dazu lieferten versichertenbezogene Daten, die seit der Gesundheitsreform 2004 den Kassen von den KVen zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Beobachtungszeitraum betrug vor der Psychotherapie mindestens zwei Quartale und danach sechs Quartale. Das Fazit der Studienautoren fällt zwar nicht so drastisch aus, wie der Rückschluss der GEK, gibt jedoch die Tendenz eindeutig vor: "Nach den vorliegenden Auswertungen zeigen sich allerdings ggf. nur eher leichte und nicht durchgängig beobachtete Effekte auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen nach Therapiebeendigungen ab." Diese Aussage will der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) so nicht stehen lassen. In einer Stellungnahme heißt es, dass die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen - wie Arztbesuche, Medikamenteneinnahe und Klinikaufenthalte - in den letzten Monaten vor Aufnahme der Psychotherapie regelmäßig deutlich stieg, um dann wieder abzufallen auf einen Wert, der meist etwas unter dem Ausgangswert liegt. Hier nur von einem "geringen Erfolg" zu sprechen, will der bvvp nicht akzeptieren.

Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung und bvvp verweisen in getrennten Stellungnahmen darauf, dass nicht nur der Status quo ante wieder erreicht wurde, sondern dass in der Psychotherapiegruppe gegenüber der Vergleichsgruppe die Zahl der Arztbesuche und die Einnahme von Medikamenten zurückgegangen seien und sich die Zahl der Krankenhausaufenthalte sogar deutlich verringert habe.

Kritisiert wird auch, dass außer den Parametern Arztbesuch, Arzneiverschreibungen und Klinikaufenthalt nicht untersucht worden sei, ob und in welchem Ausmaß Psychotherapie die psychischen Krankheiten der Patienten vermindert. Dazu der Chef der Vereinigung Dieter Best: "Wenn schon Aussagen zur Wirksamkeit der Psychotherapie getroffen werden, hätte der GEK-Report dieser Frage nachgehen müssen. Zumindest hätten die Schlussfolgerungen aus den Daten einer differenzierten Analyse bedurft."

Roland Deister vom bvvp widerspricht auch der ökonomischen Kritik der Autoren mit Blick auf die gestiegene Inanspruchnahme von Psychotherapien in den Jahren 2000 bis 2006 um 61 Prozent. Deister: "Es fällt dabei unter den Tisch, dass dies nur ein Zuwachs von 0,33 Punkten, nämlich von 0,55 Prozent auf 0,88 Prozent der gesamten Versicherten bedeutet." Der nachgewiesene Bedarf in der Bevölkerung liege aber mindestens bei sieben Prozent.


Verbände kritisieren Psychotherapie-Kritiker

Beide Verbände gehen noch einen Schritt weiter und bewerten die Untersuchung als einen Versuch, die ambulante Psychotherapie zu diskreditieren. Das machen bvvp und Vereinigung vor allem an dem Mitautor der Studie fest. Professor Schwartz, früherer Vorsitzender des Gesundheits-Sachverständigenrates und heute Chef des beauftragten Instituts, gilt als Kritiker der Psychotherapie als Kassenleistung.

Beide Verbände verweisen dabei auf ein internes Papier, über das die "Ärzte Zeitung" im Jahr 2000 berichtet hatte. Darin spricht sich Schwarz dafür aus, dass "Psychotherapie-Leistungen und Lifestyle-Arzneimittel gesondert und wettbewerblich und nicht obligatorisch versichert werden sollten". Ein Vorschlag, der in Vorbereitungen für weitere Gesundheitsreformen so nicht mehr aufgegriffen wurde.

Einig ist man sich jedoch mit den Autoren in der Erkenntnis, dass Auswertungen zur Effektivität von ambulanter Psychotherapie im Rahmen der Versorgungsforschung wichtig sind. Deister: "Das ist dringend erforderlich - und zwar nicht nur die Kurzzeittherapie, sondern auch die Langzeittherapie." Unterdessen haben beide Verbände die Führungsspitze der GEK zu Gesprächen aufgefordert. In der nächsten Woche findet ein Treffen mit dem bvvp statt. Weitere Infos zur Studie unter www.GEK.de; (Presse)


Gesundheitszustand kaum verbessert

In einem Statement zum Report schreibt Professor Friedrich-Wilhelm Schwartz: "Der vielleicht maßgeblichste Befund der bis jetzt durchführbaren Auswertungen zu Behandlungsverläufen ist bei ambulanten Kurzzeittherapien die Beobachtung, dass das Niveau der Inanspruchnahme von gesundheitlichen Leistungen auch in unterschiedlich definierten Subgruppen von Patienten zwei Jahre nach Genehmigung überwiegend nicht von dem Ausgangsniveau abweicht, welches in den entsprechenden Gruppen ein Jahr vor der Genehmigung erfasst wurde. Gemessen daran, finden sich bei den Patienten mit (...) genehmigter Psychotherapie also kaum greifbare Hinweise auf eine maßgebliche Veränderung des Gesundheitszustandes im Therapieverlauf innerhalb der betrachteten drei Jahre."

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Es ist natürlich etwas viel, und das ist ja auch der Sinn der Sache. Deshalb für Lesefaule drei Punkte herausgegriffen:

1. Der GEK-Report weist nach, daß die Patienten vor einer Kurzzeitpsychotherapie 4,72mal so viele Medikamente schluckten wie zwei Jahre danach.


























2. Der Report weist nach, daß Patienten 9 Monate nach einer Psychotherapie genausoviel Krankenhaustage in Anspruch nehmen wie eine Vergleichgruppe. Daß dem dargestellten Diagramm (GEK-Report, S. 204) aber zu entnehmen ist, daß Psychotherapiepatienten vorher das 4,4Fache an Krankenhaustagen in Anspruch nahmen, wird nicht erwähnt.

Zu Punkte 1 und 2 vergleiche man den letzten Absatz in obigem Artikel (Zitat Prof. Schwartz, kursiv von mir).
Die Gmünder Ersatzkasse hatte Prof. Schwartz mit der »Studie« beauftragt. Dieser rief 2000 bei den Psychotherapeuten Empörung hervor, als er Psychotherapie mit Lifestyle-Arzneimitteln gleichsetzte und forderte, »beide sollten gesondert wettbewerblich und nicht obligatorisch versichert werden«. (Ärzte-Zeitung vom 27.4.2000, zitiert nach Stellungnahme der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung zum GEK-Report 2007 vom 11.12.07) Die Schlußfolgerung von Prof. Schwartz ignoriert die Aussagen aus der statistischen Aufbereitung der Daten: Das Niveau der Inanspruchnahme von gesundheitlichen Leistungen duch Psychotherapiepatienten weiche zwei Jahre nach Genehmigung überwiegend nicht von dem Ausgangsniveau ab, und es gebe kaum greifbare Hinweise auf eine maßgebliche Veränderung des Gesundheitszustandes. Das hat mit Wissenschaftlichkeit nun wirklich nichts zu tun.
Wir dürfen uns also nach der Motivation der Gmünder Ersatzkasse fragen. Ich rate mal: die haben einfach jemand Profilierten mit der »Studie« betraut und sich nicht weiter gekümmert.
Fragen wir aber nach der Motivation von Prof. Schwartz, darf man mit Fug und Recht annehmen, daß er entweder seine eigene Studie nicht richtig gelesen hat oder sich im Mainstream der Entsolidarisierung des deutschen Gesundheitswesens vor dem Hintergrund eines scheinbaren Neoliberalismus als Gesundheitspolitiker profilieren will. Auf seinen weiteren Werdegang dürfen wir gespannt sein.
Und jetzt stellen wir uns einen Gesundheitspolitiker vor, der den Gutachter, der ihm grad ein 200 Seiten starkes Machwerk auf den Tisch legt, fragt: »Was ist denn dabei rausgekommen?« Gutachter: »Bringt nix.« Was wird dann wohl passieren?

3. Die Autoren des Reports verweisen auf eine um 61 Prozent gestiegene Inanspruchnahme von Psychotherapien in den Jahren 2000 bis 2006. Roland Deister vom bvvp (Verband der Vertragspsychotherapeuten): "Es fällt dabei unter den Tisch, dass dies nur ein Zuwachs von 0,33 Punkten, nämlich von 0,55 Prozent auf 0,88 Prozent der gesamten Versicherten bedeutet." Der nachgewiesene Bedarf in der Bevölkerung liege aber mindestens bei sieben Prozent.
Frage also: Cui bono?

Ich verweise noch auf einen älteren Artikel vom November 2006

Zur Stellungnahme des Verbandes psychologischer Psychotherapeuten

Zu einer weiteren, sehr dezidierten Stellungnahme von Rudolf Sponsel (hier kann auch der GEK-Report heruntergeladen werden)

Das hier wäre vielleicht eine Alternative

Letzte Frage: Bei wem macht ein Report solcher Qualität Furore?