Dienstag, 30. Oktober 2012

Tendzin Gyatshos banale Wahrheiten, die moralische Verwahrlosung gesellschaftlicher Eliten und Peer Steinbrücks Nebenverdienste

Vor kurzem war der Dalai Lama zu Besuch bei einem Londoner Thinktank. Clemens Wergin saß einen Tag neben ihm und berichtete in der Welt am Sonntag darüber.

Gestern abend ging bei »Hart aber fair« eine Diskussion über nebenverdienende Politiker über die Bühne. (Teilnehmer: Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, Siegfried Haider, Geschäftsführer einer Redneragentur, Katja Kipping, LINKE-Vorsitzende, Dirk Hoeren, Chefkorrespondent der BILD und Markus Zwicklbauer, Steuerberater, der aus Protest gegen die Griechenland-Rettungsschirme die Steuerzahlung verweigerte. Hier kann man sich das Video wohl noch einige Tage ansehen.)


Ich empfehle, zuerst den Artikel zu lesen und sich dann erst das Plasberg-Video anzusehen.


Adrian Pickshaus kommentiert den Gesprächsverlauf in der Welt.

Was mich am Artikel über den Dalai Lama fasziniert, ist
1. dessen Vorschlag einer säkularen Ethik: »Wir brauchen einen Weg, um ethische Fragen nicht über die Religion, sondern über die biologische Natur des Menschen anzugehen.«
2. die Feststellung, »diejenigen, die bisher als gesellschaftliche Elite galten, [litten] unter ihrer ganz eigenen moralischen Verwahrlosung«.
3. die Erwähnung des »typisch europäischen Reflexes, immer gleich zu fragen, was der Staat tun sollte, um die Moral der Gesellschaft zu heben. Die Europäer scheinen ihr moralisches Gewissen an den Staat outgesourct zu haben.«

Vor diesem Hintergrund wirkt die Plasberg-betreute Diskussionsrunde banal. Ich gewann den Eindruck, daß Linken-Chefin Kipping in bemerkenswerter Eintracht mit BILD-Chefkorrespondent Hoeren sowie Steuerberater Zwicklbauer einfach mal jemanden suchen, dem sie ans Bein pinkeln können. Nach dem geläufigen »Geiz-ist-geil«-Motto sollen sich doch bitte unsere Volksvertreter entweder nicht zu Vorträgen einladen lassen oder sie zumindest kostenlos halten. Wenn Steinbrück in drei Jahren 1,25 mio Euro durch Vorträge verdient hat und im Mittel 14.000 EUR pro Vortrag erhält, heißt das nach Adam Riese, daß er in drei Jahren etwa 90 Vorträge gehalten hat, das sind etwa zweieinhalb pro Monat. Wenn Zwickelbauer in einem Nebensatz dann kritisiert, Steinbrück sei dann jeden zweiten Tag unterwegs, ist das einfach nur blöde.
In der Tagesschau vom 30. Oktober war von 1,25 mio Euro innerhalb von vier Jahren die Rede. Das muß erstaunen: die sogenannte Steinbrück-Affäre zieht sich jetzt schon über mehrere Wochen, und da ist nach so langer Zeit immer noch nicht klar, um welchen Zeitraum es geht? Lächerlich, und ein Offenbarungseid des bundesdeutschen Journalismus.

Zu einem SPIEGEL-Artikel vom 31.10.2012, der kritisiert, daß Steinbrück auch von hoch verschuldeten Kommunen für seine Vorträge Geld genommen hat.

Im Dialog: Alfred Schier mit Wolfgang Kubicki 24.02.2012



Man beachte vor allem 13:30 und 16:20 Min.!

Es ist leicht, auf Politiker draufzuhauen. Wir sollten uns genau überlegen, inwiefern das Verhalten unserer Volksvertreter auch mit der Art zu tun hat, wie wir mit ihnen umgehen. An diesem Punkt kommen mir Barack Obama und Lance Armstrong in den Sinn. Über letzteren schreibt Richard Herzinger in der Welt am Sonntag: »Jetzt zahlen wir ihm mit unserer Abscheu und Verachtung zurück, dass er unsere Wunschbilder von menschlicher Vollkommenheit zu erfüllen schien.« Bei Barack Obama läuft dies in diskret abgemildeter Form: Die Amerikaner sind enttäuscht, daß er nicht so viel und so schnell geschafft hat, wie sie sich dies wünschten. Und wenn dieser Punkt nun diskutiert werden würde: Das Ergebnis wäre, daß es wiederum Obamas Schuld ist, weil er ja diese Erwartungen in uns geweckt hat.

Wir leiden unter uns selbst, unserer Gier, unserem Neid und unserer Trägheit. Aber wir wollen es nicht wissen.
Aus dem Armstrong-Artikel:
»Das war die auf ihn projizierte Vorstellung, durch Ambition, Selbstbeherrschung und Leidenschaft könne der Einzelne alle noch so kühnen Träume verwirklichen.«

Und nochmals aus dem Artikel über den Dalai Lama:
»Nur wer früh Liebe erfahre, sei später fähig zu Güte und Fürsorge. Auf diese häusliche Erziehung sollten Schulen aufbauen. […] moralische Überzeugungen ließen sich den Menschen nicht von außen auferlegen. Moral, Empathie und Güte kämen von innen und seien nur durch Bildung zu fördern.«