Samstag, 28. September 2019

Die Gier der US-Elite: der Anstand scheint nicht nur in Wahlkampfzeiten Kopf zu stehen

Jüngstes Beispiel: Fall Biden/Trump. Das von Russland finanzierte Medium RT Deutsch bringt am Abend des 27. September einen Kommentar des Chefredakteurs und darin integriert eine Äußerung des Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und früheren Vizepräsidenten bei Obama, Joe Biden. Diese Äußerung zeigt, dass der frühere Vizepräsident nicht nur Opfer, sondern Täter ist. Alleine schon das folgende Zitat müsste das Amtsenthebungsverfahren gegen den amtierenden Präsidenten Trump wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen. Aber die USA sind das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wie wir wissen.

Hier ist Bidens Äußerung verschriftet:

„Poroschenko und Jazenjuk haben sich mir gegenüber verpflichtet, gegen den Generalstaatsanwalt vorzugehen. Und sie taten es nicht. Nun kommen sie aus der Pressekonferenz heraus und ich sage ihnen: Ich gebe, ähm, wir geben euch die Milliarde Dollar nicht. Sie sagten, „Sie haben keine Befugnis dafür, Sie sind kein Präsident“. Ich sagte: ruft ihn an. Ich sage euch, ihr kriegt das Geld nicht. Ich sagte, ich reise in 6 Stunden ab. Ihr habt also 6 Stunden. Wenn der Generalstaatsanwalt bis dahin nicht gefeuert ist, gibt es kein. Geld. Dieser Hurensohn. Und er wurde gefeuert.“
In diesem Kommentar des Chefredakteurs von RT Deutsch, Ivan Rodionov, wird visuell gezeigt, wie der ehemalige Vizepräsident sich geäußert hat – bei Minute 0:58:
Nackt unter Freunden – warum Trump Selenskij brutal vorführte {5:44}


RT Deutsch
Am 27.09.2019 veröffentlicht 
Nach Veröffentlichung des Transkripts wird immer noch über einen vermeintlichen Machtmissbrauch von Trump fantasiert. Was dabei Selenskij zum Besten gab, fällt unter den Tisch - unverdienterweise. RT Deutsch Chefredakteur Ivan Rodionov hat genauer hingeschaut.
Mehr auf unserer Webseite: https://deutsch.rt.com/
[Video von mir eingepflegt, auf den NachDenkSeiten gibt es nur einen Link]
mehr:
- Wenn es die von Russland finanzierten Medien in Deutschland nicht gäbe, müsste man sie erfinden. (Albrecht Müller, NachDenkSeiten, 28.09.2019)

Lawrow: Was für eine Paranoia! Nun sollen wir hinter dem Skandal um Trump-Selenksij-Gespräch stecken {3:44}

RT Deutsch
Am 30.09.2019 veröffentlicht 
Der russische Außenminister Sergei Lawrow hat am Freitag seine abschließende Pressekonferenz auf der 74. UN-Generalversammlung in New York gehalten. Während dieser sprach er mehrere Themen an, auch die Veröffentlichung des Telefonprotokolls des US-Präsidenten Donald Trump und dessen ukrainischen Amtskollegen Wladimir Selenskij.
Heute sagte sogar Nancy Pelosi [Sprecherin des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten], Russland stecke hinter dem Vorfall, der nun durch das Telefongespräch wieder entfacht wurde. Russland habe alles vorbereitet. Meiner Meinung nach ist es die Paranoia, die für alle offensichtlich ist.
Diese hatte jüngst eine Amtsenthebungsuntersuchung gegen US-Präsident Donald Trump eingeleitet mit der Begründung, dass dieser bei dem Telefongespräch Druck auf seinen ukrainischen Amtskollegen ausgeübt habe, damit er gegen Joe Biden, Trumps Kontrahent bei der anstehenden Präsidentschaftswahl, wegen Korruption ermittelt, beziehungsweise die Geschäfte dessen Sohnes Hunter in der Ukraine untersucht. Biden wird vorgeworfen, als damaliger US-Vizepräsident die Entlassung des ukrainischen Generalstaatsanwaltes Wiktor Schokin erzwungen zu haben, um seinen Sohn vor Korruptionsermittlungen zu schützen.
Das Weiße Haus hatte das Protokoll zum besagten Telefongespräch veröffentlicht, um die Vorwürfe zu entkräften.
Pelosi sieht sich durch das Protokoll aber bestärkt und meint, Trump habe sein Amt missbraucht, um sich politische Vorteile herauszuschlagen, und verglich im TV nun den Vorfall mit der noch immer nicht bewiesenen Einmischung in die US-Wahlen 2016, die Russland angeblich durchgeführt habe und sagte zum aktuellen Fall:
Übrigens, ich denke, Russland hat da eine Hand im Spiel.

Irgendwelche Belege kamen von ihr für diese These allerdings nicht.
Trump bezeichnete Pelosis Vorstoß als Hexenjagd und lächerlich.
Auch der russische Außenminister Sergei Lawrow äußerte sich zur Veröffentlichung. Er sagte:
Damals, als meine Mutter mich aufzog, erklärte sie, dass es unanständig sei, die Post von jemand anderem zu lesen. Ich war es immer gewohnt, mich daran zu erinnern. Darüber hinaus geht es um die Briefe der Menschen, die für Führungspositionen gewählt wurden. Es gibt Traditionen, es gibt Anstand, auch die diplomatischen, die ein gewisses Maß an Vertraulichkeit voraussetzen, die eine Übereinstimmung in diesen Fragen voraussetzen.
Lawrow zog auch einen Zusammenhang zwischen der Russland-Hysterie im politischen Wettkampf in den USA und den jüngsten Visa-Verweigerungen für russische Delegierte, die an der UN-Generalversammlung teilnehmen sollten. Demnach habe ihm US-Außenminister Mike Pompeo versichert, dass weder er noch Trump mit der Nicht-Erteilung der Visa etwas zu tun hätten. Lawrow erklärte, er habe keinen Zweifel daran und schlussfolgerte, dass die "Paranoia", die Medien und Demokraten gegenüber Russland an den Tag legen, vielleicht Verursacher seien:
Wenn ernsthafte Politiker und die Massenmedien, die vorgeben, seriös zu sein, es auf der ganzen Welt verbreiten, wird natürlich der Beamte, der die Frage nach der Erteilung eines Visums beantworten muss, denken: 'Oh, na, da sollte ich besser irgendwie auf Nummer sicher gehen.
Auch kommentierte er die Spannungen rund um den Persischen Golf. Er beobachte, dass immer mehr Länder in der Region sich wünschten, die Situation zu entschärfen.
[Man sollte] Verhandlungen aufnehmen und sich nicht über die Medien oder Megaphone gegenseitig beschuldigen, sondern all diese Bedenken auf den Tisch legen und sie sachlich, ohne sich auf irgendwelche Propaganda zu verlassen, berücksichtigen und die Zufriedenstellung aller an diesem Prozess Beteiligten anstreben.
Die 74. Sitzung der UN-Generalversammlung wurde am 17. September in New York eröffnet, wobei die globale Klimakrise eines der Hauptthemen war. Die Generaldebatte, bei der hochrangige Vertreter von Staaten ihre Reden hielten, begann am 24. September, darunter 91 Staatsoberhäupter und Spitzendiplomaten aus 193 Nationen.
Mehr auf unserer Webseite: https://deutsch.rt.com/

Als Beispiel eines unserer Leitmedien:
Mit der Berufung Hunter Bidens in den Vorstand rückte Burisma, der größte nichtstaatliche Gasproduzent der Ukraine, der seinen Firmensitz auf Zypern hat, in den Fokus der Öffentlichkeit. Mitbegründer des 2002 gegründeten Unternehmens ist Mykola Slotschewskyj. Slotschewskyj ist ein typischer Vertreter jener ukrainischen Oligarchen, bei denen sich Politik und die eigenen wirtschaftlichen Interessen vermischen. Er gehörte zum Kreis um den früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch, der im Februar 2014 nach den Massenprotesten auf dem Majdan nach Russland geflohen ist. Slotschewskyj war in Janukowitschs Kabinett von 2010 bis 2012 Umweltminister – und stand im Verdacht, seine dadurch entstandenen Verbindungen für seine privaten Geschäfte ausgenutzt zu haben. Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine nahm Ermittlungen wegen Korruption gegen Slotschewskyj und Burisma auf, die 2016 schon ruhten und 2017 schließlich ganz fallengelassen wurden.
An dieser Stelle wird die Geschichte eines etwas undurchsichtigen Unternehmens in Zeiten russischer Aggression in der Ukraine auch für die Weltpolitik wieder interessant. Denn der amerikanische Präsident Donald Trump wirft Joe Biden nun vor, seinen Posten damals ausgenutzt zu haben, um Korruptionsermittlungen gegen Burisma und damit seinen Sohn zu verhindern, indem er Druck auf die Ukraine ausgeübt habe, den ermittelnden Generalstaatsanwalt Viktor Schokin zu entlassen.
Schokin wurde in der Ukraine wie im westlichen Ausland jedoch ohnehin als Figur verstanden, die eine Reform der ukrainischen Justiz fast unmöglich machte. So soll er etwa Ermittlungen gegen Gesetzesbrecher in den eigenen Reihen verhindert und die Reformer, die nach der Majdan-Revolution 2014 in die Behörde kamen, bei ihren Bemühungen behindert haben. So entließ er als letzte Amtshandlung auch seinen Stellvertreter und Gegenspieler David Sakwarelidse. Vor seinem Rücktritt im Frühjahr 2016 wurde Schokin auch von westlichen Diplomaten und Vertretern der Europäischen Kommission scharf kritisiert – und die Ermittlungen gegen Burisma ruhten schon vor seiner Entlassung.
[Gerhard Gnauck, Die Rolle eines undurchsichtigen Unternehmens in der Weltpolitik, FAZ, 26.09.2019]
Was schreibt Gnauck in der FAZ nicht?

1. Gnauck schreibt nichts über die von Hunter Biden und Christopher Heinz, Stiefsohn des damaligen (2013-2017) US-Außenministers John Kerry, 2009 gegründete Offshore-Unternehmensgruppe Rosemont, zu der noch im gleichen Jahr ihr Studienfreund Devon Archer 
(2004 bei den US-Präsidentschaftswahlen leitender Berater von John Kerry, gilt seitdem als einer der wichtigsten Wahlkampffinanziers der Demokraten [Quelle: NachDenkSeiten]) 
hinzustieß.

2. Er schreibt auch nichts darüber, daß 2014 neben Hunter Biden auch Devon Archer in den Burisma-Vorstand aufgenommen wurde, also zwei zentrale Persönlichkeiten aus der Rosemont-Gesellschaft.
Quelle: Burisma


In seiner Eigenschaft als Minister für Ökologie und Natürliche Ressourcen ist [Slotschewskyj] für die Erteilung von Gas-Konzessionen (Zeitraum: Juli 2010 bis April 2012) zuständig und schustert seinem Konzern, Burisma Holdings, jede Menge an Explorationslizenzen zu.

[Die korrupte politische US-Kaste: Die Kronprinzen sahnen ab!, Post, 02.05.2019 – Hervorhebung von mir]

3. Er schreibt auch nichts darüber, daß Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin (10. Februar 2015 – 3. April 2016) um Ende 2015 herum die Ermittlungen gegen Burisma wiederaufgenommen hatte. Stattdessen erklärt er im letzten Absatz des Artikels, welch zwielichtige Figur Schokin war.
In [Slotschewskyjs] Zeit als Minister fiel auch die Vergabe der profitträchtigen Erdgaslizenzen an Burisma, das daraufhin seine Produktionsmenge fast verzehnfachte. […]

Erstmals auffällig wurde Burisma 2014, als die Kiewer Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung gegen das Unternehmen einleitete. 2016 wurden die Untersuchungen ergebnislos eingestellt, ein Jahr darauf zahlte Burisma umgerechnet 6,7 Millionen Euro Steuern nach.

[Florian Niederndorfer, Was hinter der Ukraine-Connection von Hunter Biden steckt, der Standard, 26.09.2019]

4. Gnauck schreibt auch nichts darüber, daß Joe Biden’s Sohn mit seiner Rosemont-Firmengruppe im Windschatten der politischen Aktivitäten  des Vaters milliardenschwere Geschäfte abgreift… (siehe meinen Konprinzen-Post)

mein Kommentar:
soviel zu unseren Leitmedien…

siehe auch:
- Die Gier der US-Elite: der Anstand scheint nicht nur in Wahlkampfzeiten Kopf zu stehen (Post, 28.09.2019)

Wichtige Medien wie die Süddeutsche Zeitung haben ihren Standort in Richtung Manipulation verschoben {13:05 – Start bei 2:01}

NachDenkSeiten
Am 24.09.2019 veröffentlicht 
Ein Interview mit dem Herausgeber der NachDenkSeiten. Das Interview mit Albrecht Müller führte Christian Goldbrunner am Rande der Pleisweiler Gespräche am 21. September 2019. Der Anstoß für dieses Interview war ein Streiflicht auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung mit einem rundum gehässigen Angriff auf die NachDenkSeiten und den Autor des neuen Buches „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst. Wie man Manipulationen durchschaut“. Das Streiflicht war nur der Anstoß – es geht dann um vieles mehr, im Kern um die Frage, wie wir uns die Freiheit unseres Denkens erhalten können.

zur Auseinandersetzung mit der Süddeutschen Zeitung:
- Die Süddeutsche übt Bumerang-Werfen… (Post, 16.09.2019)

aktualisiert am 01.10.2019

Der runde Tisch aus Buchenholz

Rubikons Leserinnen und Leser haben die Feder ergriffen.


„In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend glühen, wie das Abendrot um die Erde“ — Friedrich Nietzsche.

Die tiefste Liebe im Leben meines Mannes war zweifellos die zu seinen Töchtern Hanna und Katharina. Diese Liebe war nicht immer sichtbar, vor allem wurde sie nicht immer vollendet kommuniziert. Doch sie war in den Wurzeln seiner Seele verankert und dort in der Tiefe hat sich ein Schmerz mit ihr verschmolzen, ebenso groß wie die Liebe selbst.

Die frühe Scheidung im Vorschulalter der Kinder, die räumliche Entfernung zwischen Hamburg und Stuttgart, die Sprachlosigkeit des getrennten Elternpaares, die Unsicherheit Wolfgangs gegenüber seinen Kindern, wenn sie zu Besuch waren, aber auch seine Ungeübtheit darin, ein zuhörender Vater zu sein — all das ließ in seinen Töchtern nach und nach eine Entfremdung entstehen und damit verbunden das Gefühl, ihr Vater sei nicht anwesend, schlimmer noch, er sei niemals anwesend gewesen. Groll wuchs in ihnen heran. Sicher haben die beiden auch etwas von der Bitterkeit ihrer Mutter übernommen.

Wolfgang war kein einfacher Mann. Nicht immer hatte er ein Gespür für die Balance zwischen Zuhören und Reden und mir schien, dass er, je unsicherer er gegenüber seinen Töchtern war, umso mehr geredet hatte, wo er hätte zuhören sollen. Und er blieb stumm, wo es klarer Aussagen bedurft hätte. Das Schweigen oder Hinwegreden über das Wesentliche gewann überhand und irgendwann brachen die Töchter den Kontakt völlig ab.

mehr:
- Die Macht des Wortes (Lea R. Söhner, Rubikon, 28.09.2019)

Unser täglich Narrativ gib uns heute: »Wir sind die Guten!«

Heiko Maas begeistert sich für die „Regenschirm-Revolution“ und also einen Staatsstreich in China — und die Tagesschau applaudiert.

Grundmuster der US-amerikanischen Chinapolitik: Soziale Sabotage. Politische, organisatorische und finanzielle Unterstützung von Versuchen zu destabilisieren und einen „Regime Change“ herbeizuführen, notfalls gewaltsam. Ob in Tibet, in Xingjiang oder in Hongkong: Immer und überall finden die USA Leute, die sich infolge Beschränktheit oder gegen Geld als Maulhelden und „Unterstützer der Demokratie“ einsetzen lassen. In Hongkong heißt ihr „Menschenrechtsaktivist“ Joshua Wong und ist ein 22-jähriger Student. In Berlin ist es Heiko Maas, der größte Außenminister aller Zeiten. Beide voll dabei, eine „Regenschirm-Revolution“ gegen die Zugehörigkeit Hongkongs zur Volksrepublik China zu inszenieren. So abenteuerlich dieser Versuch, so hirnrissig seine Betitelung im medialen Echo. Die Tagesschau bewährt sich ganz vorne im Verzicht auf kritische und saubere Berichterstattung.

Der Minister entblödete sich nicht, für ein Foto mit dem Aufwiegler Wong zu posieren und ihn seiner Unterstützung zu versichern, nachdem schon die „Bild“ für Wong den Roten Teppich ausgerollt hatte. Da musste die Tagesschau natürlich mithalten (1). Über globale Konflikte, so kennen wir sie, berichtet die Redaktion ARD-aktuell eben entweder gar nicht oder gröblich verkürzt und oberflächlich, somit meistens irreführend.

Über Ursachen und Nutznießer der Konflikte erfährt man meist so gut wie nichts. Die Redaktion macht zwar für sich geltend, täglich einen Überblick über die weltweit wichtigsten Ereignisse des Tages zu geben, kann dem aber schon aus Platzgründen nicht gerecht werden. Sie muss eine Auswahl treffen und sollte das „nach journalistischen Grundsätzen“ ja getrost auch tun. Was dabei herauskommt, erweist sich jedoch nur zu oft als zwanghaftes Konformgehen mit der Bundesregierung und als Preisgabe eigenständigen Denkens. Der unaufrichtige Umgang mit Nachrichten aus den Kriegs- und Konfliktregionen unserer Welt sowie mit der darauf bezogenen deutschen Außenpolitik ist eine einzige große journalistische Pleite.

Seit Wochen wird das deutsche Publikum mit tendenziösen Berichten über die Umtriebe in Hongkong malträtiert. Der Informationskern dieser Nachrichten ist immer gleich und substantiell bescheiden. Die „Botschaft“ fürs vermeintlich unkritische Publikum:

„Die Kommunisten in Beijing lassen in der Sonderzone Hongkong die für Freiheit und Demokratie kämpfende Bevölkerung mit massiver Polizeigewalt unterdrücken. Hilfe tut not.“

Diese Agitation — vulgo: „Narrativ“ — wird in Variationen ständig wiederholt. Im Zuschauer setzt sich die Überzeugung fest, dass es in Hongkong tatsächlich um bürgerliche Freiheit gehe und dass die kommunistische Regierung in Beijing ihre Rolle als Hassobjekt der „internationalen Gemeinschaft“ selbst verschulde und verdiene.

Die Wirksamkeit dieser Propaganda ist nicht nur an sich methodisch erprobt, sondern auch deshalb garantiert, weil der Boden fruchtbar ist, auf den sie fällt: Haben wir nicht in jahrzehntelang eingeübter — eingetrichterter — Selbstgerechtigkeit die Gewissheit erworben, dass unser Land eine Musterdemokratie ist und wir am besten beurteilen können, wie es sich mit den Freiheitsrechten in anderen Ländern verhält? Den Anspruch darauf haben wir Deutsche mittlerweile doch im Urin beziehungsweise in der DNA, nicht wahr?

Trotz massiver Gewaltexzesse, plündernder und Brandsätze werfender „Demonstranten“, trotz der zeitweisen Besetzung des Internationalen Flughafens und zentraler Verkehrswege, trotz ungezählter Verletzter und millionenschwerer Sachschäden auf der Insel meldet die Tagesschau beschönigend und verharmlosend:

„Zehntausende Menschen in Hongkong haben sich nicht davon abhalten lassen (...) gegen die Regierung auf die Straße zu gehen (...) Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein, einige Demonstranten warfen Molotowcocktails und Steine auf Polizisten. (...) Einige Demonstranten nutzten Kegel, Metallabsperrungen und Mülleimer, um Straßenbarrieren zu errichten (…) Demokratie-Aktivisten festgenommen (...)“ (2).

Man vergleiche diese ekelhafte Suada mit dem Umgang, den die Tagesschau bezüglich der Demonstrationen in Deutschland pflegt: Nachrichten über Friedensdemonstrationen werden meistens komplett unterlassen/unterschlagen, und wenn Demonstranten Randale machen — am 1. Mai im Hamburger Schanzenviertel oder in Berlin —, dann werden Polizeieinsätze gegen sie als Selbstverständlichkeit ausgegeben, selbst wenn die ebenfalls in Gewalt ausarten.

Schon rein sprachlich-formal besteht keine Verwechslungsgefahr: Bei den Protestaktionen gegen das G20-Gipfeltreffen in Hamburg war regelmäßig von „Krawallen“ und nicht mehr bloß von „Demonstrationen“ die Rede. Gewaltszenen wurden als „bürgerkriegsähnliche Zustände“, beschrieben, die Täter als „Kriminelle“ bezeichnet, „marodierende und randalierende Gruppen“ als solche benannt — und nicht etwa als „Demokratie-Aktivisten“ beweihräuchert (3).

Noch ein wesentlicher Unterschied: Im Vordergrund der Berichterstattung über die Hamburger Szene stand die hingebungsvolle Beschreibung der Gewalttätigkeiten. Über die gesellschaftlichen Ursachen des Gewaltausbruchs sowie die Motive der Randalierer erfuhr man selbstverständlich nichts. Im Gegensatz zu Hongkong gab es weder Interviews mit ihren vermeintlichen Anführern noch Sonderberichte über „G20-Demokratie-Aktivisten“. Über die Ramstein-Demonstrationen beispielsweise verbreitete ARD-aktuell sowieso dröhnendes Schweigen. Das fällt auf (4).

Erstaunlich: Zwischen dem 1. und dem 15. September 2019 hat die Redaktion 101 Beiträge in Wort und Filmen über die Unruhen in Hongkong gesendet. Zum Vergleich: Über die Ukraine wurde im gleichen Zeitraum nicht mal ein Viertel dieser Menge angeboten, obwohl das Land nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt liegt und ständig für Instabilität und Aggressionen in Osteuropa sorgt.

mehr:
- Der Regenschirm-Revoluzzer (Volker Bräutigam, Friedhelm Klinkhammer, Rubikon, 28.09.2019)
siehe auch:
in den vier letzten Jahren wurden die Dschihadisten durch das Allied LandCom (Heereskommando) der NATO mit Sitz in Izmir (Türkei) kommandiert, bewaffnet und koordiniert.
[Thierry Meyssan, Das Geständnis des kriminellen John Kerry Voltairenet, 17.01.2017] 

… eine – seither veröffentlichte – Analyse der DIA (Der militärische Nachrichtendienst der USA) [hatte] davor gewarnt, dass die so genannte „syrische Opposition“ so gut wie ausschließlich aus fanatisierten, islamistischen Gewaltextremisten bestand.
[Hartmut Barth-Engelbart, Hillary Clinton für Giftgaseinsatz in Syrien verantwortlich – nicht Assad, barth-engelbart.de, 04.05.2016] 
Eine CIA-NGO im Great Game: Das National Endowment for Democracy (19.02.2016)
Putin und die USA: unpassende »Umtriebe«, FARA und die NGOs (Post, 17.08.2015)
Die CIA bei den Uiguren (Post, 07.12.2014)
Die geplatzte Bombe: Bin Laden hat bis zum 11. September für die USA gearbeitet! (Lukery, Daily Kos, Hintergrund, 14.08.2009)

Peter Scholl Latour rastet aus Syrien , Salafisten, Islam Der Talkshow Eklat {12:14 – Start bei 0:37}  

Der Sünder
Am 05.09.2012 veröffentlicht 
»Die Freiheitskämpfer von gestern benehmen sich genauso schlimm wie die Truppen Gaddafis.«

Ich werde nicht müde mich dessen zu wundern, wie unsere Partner, Mal ums Mal, wie man bei uns in Rußland zu sagen pflegt, auf ein und dieselbe Harke treten. Das heißt: immer wieder dieselben Fehler begehen. Seinerzeit sponserten sie extremistische islamistische Bewegungen für den Kampf gegen die Sowjetunion, und in Afghanistan haben diese ihre Abhärtung bekommen. Daraus entstanden sowohl die Taliban als auch die Al-Kaida. Der Westen hat, wenn diese schon nicht unterstützt, so doch mindestens seine Augen davor verschlossen. Und ich würde sagen, er hat den Einfall internationaler Terroristen nach Rußland und in die Länder Zentralasiens tatkräftig, informationsmäßig, politisch und finanziell unterstützt. Das haben wir nicht vergessen. 
[aus Putins Rede vor dem Waldai-Forum, Oktober 2010] 

Die Geschichte Europas wird umgeschrieben

Auf Antrag von 18 polnischen Mitgliedern hat das EU-Parlament eine Resolution gutgeheissen, die zynischer nicht sein könnte.
Wenn es mit der Umschreibung der Geschichte Europas so weitergeht, steht in zehn Jahren in den Schulbüchern, nicht Hitler und nicht das Deutsche Reich, sondern Stalin und die Sowjetunion hätten den Zweiten Weltkrieg angefangen. An der Neuschreibung der Geschichte beteiligt sich jetzt auch das – demokratisch gewählte – EU-Parlament.

Konkret: Am 19. September 2019 genehmigte das EU-Parlament mit 535 Ja- und 66 Nein-Stimmen bei 52 Enthaltungen (und etlichen Abwesenden) eine Resolution, die jeder historischen Erkenntnis spottet.

Haben die Medien darüber berichtet? Wenig bis gar nicht. Eigentlich erstaunlich. Wenn irgendwo Russland angeschwärzt wird, ist es meist ein willkommenes Thema. Warum ausgerechnet diesmal nicht? (*)

Zu Erinnerung und zur Kenntnis jener, die sich mit dieser Materie nie haben befassen müssen:

In Adolf Hitlers Buch «Mein Kampf» – erste Veröffentlichung inkl. 2. Teil 1926 – gibt es das 14. Kapitel über die «notwendige» Politik gegenüber dem Osten: «Ostorientierung oder Ostpolitik» (Ausgabe von 1936 im Eher-Verlag). Dort steht ab Seite 726 auf 32 Seiten für jede Leserin und jeden Leser unmissverständlich, dass Deutschland nicht nur das Recht hat, Russland anzugreifen und ihm Land für die Deutschen wegzunehmen, sondern dass die Deutschen das machen müssen! Die Deutschen brauchen mehr «Grund und Boden», um eine Weltmacht zu werden, und diesen «Grund und Boden» müssen sie sich von Russland holen. Zitat: «Nicht West- und nicht Ostorientierung darf das künftige Ziel unserer Aussenpolitik sein, sondern Ostpolitik im Sinne der Erwerbung der notwendigen Scholle für unser deutsches Volk.» (**)

Das haben bis 1936 nicht nur die über 2 Millionen Besitzer des Buches lesen können (Anm. des Verlags auf Seite VI der Ausgabe von 1936: Bisher verkaufte Auflage 2'250'000 Exemplare), das haben naturgemäss auch einige ausländische Politiker lesen können.

Unter diesen ausländischen und aufmerksamen Lesern war auch Maxim Maximowitsch Litwinow, ein sowjetischer Aussenpolitiker und Diplomat. Aufgrund der in «Mein Kampf» klar angesagten Strategie Hitlers gegen Russland inkl. Krieg versuchte Litwinow vor allem ab 1933 und dann immer intensiver, eine Anti-Hitler-Allianz England/Frankreich/USA mit Russland zu schnüren, allerdings ohne Erfolg. Die Westmächte vertrösteten die Sowjetunion immer wieder oder schickten an die Besprechungen in Moskau untergeordnete Delegierte, die zur Formulierung oder gar Unterzeichnung eines Abkommens gar keine Kompetenz hatten. (Zur politischen Aktivität von Litwinow gibt es eine gute Darstellung des kanadischen Historikers Michael Jabara Carley, hier zum Lesen und/oder downloaden, in Englisch. Einen anderen informativen Artikel zu Litwinow von Michael Jabara Carley – in Deutsch – kann man hier lesen: «Eine kleine Geschichtslektion für Justin Trudeau» .)

mehr:
- So schreibt das EU-Parlament die Geschichte Europas um (Christian Müller, Info-Sperber, 28.09.2019) – (auch auf den NachDenkSeiten zu finden)
siehe auch:
Glatt gelutscht: Sonneborn – Zweiter Weltkrieg von Russen begonnen (U. Gellermann, Rationalgalerie, 30.09.2019)
- EU-Parlament beschließt skandalöses Dokument (Tobias Riegel, Kritisches Netzwerk, 27.09.2019)
mein Kommentar:
Mainstream? Öffentliche Diskussion? Fehlanzeige! Wozu auch?

aktualisiert am 01.10.2019



Die letzte Abtreibungsklinik Mississippis

USA Die „Pinkhouse Defenders“ verteidigen die letzte Abtreibungsklinik Mississippis gegen religiöse Belagerer

Es ist sieben Uhr morgens, der Himmel hängt tief über Jackson, Mississippi. Dort, wo der Fondren Plaza die North State Street kreuzt, sitzt ein alter Mann im Campingstuhl am Straßenrand. Stoisch blickt er vor sich hin, als würde er an einem See sitzen und Forellen fischen. Aber statt einer Angel hat er Plakate neben sich aufgestellt. „Let me pray for you“ steht auf dem einen, „Pray to end abortion“ auf dem anderen. Er wartet nicht auf Fische, er wartet auf Frauen. Frauen, die mit dem Auto den Fondren Plaza hochfahren, Richtung Pinkhouse. Dann steht der Mann auf und fragt durch das geschlossene Beifahrerfenster: „Darf ich für Sie beten?“

Dreißig Meter weiter steht Derenda Hancock und zieht an ihrer Zigarette. „Das ist nur der gute Doug“, sagt sie mit Blick auf den Mann im Campingstuhl. „Es gibt auch einen bösen Doug. Der gute schreit wenigstens nicht rum.“ Sie lacht spöttisch und pustet Rauch in die feuchte, warme Luft. Derenda ist Mitbegründerin der „Pinkhouse Defenders“. Sie verteidigt die letzte Abtreibungsklinik Mississippis, dreimal die Woche, seit sechseinhalb Jahren. Zusammen mit weiteren Unterstützer*innen eskortiert sie Patient*innen vom Parkplatz in die pink gestrichene Klinik der Jackson Women’s Health Organization, um sie vor Menschen wie Doug zu schützen.

Kampf um den Straßenrand


Für den Kampf auf der Straße haben die Defenders ihre eigenen Waffen. Mit lauter Musik übertönen sie das aufdringliche „Gehsteig-Consulting“. Die Anlage hinter dem blickdichten Zaun, der die Klinik umgibt, spielt den neuen Regenbogen-Hit von Taylor Swift: „You need to calm down, you’re being too loud!“ Wenn eine Patientin die Straße aufwärts parkt und zur Klinik begleitet wird, dient ein großer Regenschirm als Sichtschutz vor den Antis. Die Antis, das sind die militanten Abtreibungsgegner*innen.

Der „gute Doug“, „der mit dem Make-America-Great-Again-Hut“, „Stimme-Gottes-Matt“ – im Laufe der Zeit haben sich die Defenders Spitznamen für ihre Belagerer ausgedacht. Man kennt sich. Normalerweise treten Klinik-Escorts nicht mit den Protestierenden direkt in Kontakt, sagt Hancock. „Aber es wurden zu viele. Also haben wir beschlossen, den Straßenrand zurückzuerobern.“ Seitdem gehen die Pinkhouse Defenders den Antis bewusst auf die Nerven. Sie rufen „Haut ab!“ und machen Videos, die sie auf ihrer Facebook-Seite teilen. „Die weniger Fanatischen lassen sich davon abschrecken“, sagt Hancock. Seitdem gehen die Pinkhouse Defenders den Antis bewusst auf die Nerven. Sie rufen „Haut ab!“ und machen Videos, die sie auf ihrer Facebook-Seite teilen. „Die weniger Fanatischen lassen sich davon abschrecken.“, sagt Derenda. Das Filmen dient auch dem Selbstschutz. Ein alter Mann im Campingstuhl sieht zwar harmlos aus, die Szene ist es nicht. Nach Angaben der NGO NARAL wurden in den USA in den vergangenen Dreißig Jahren elf Menschen von Abtreibungsgegnern bei Attentaten getötet. „Wir müssen etwas paranoid sein.“, sagt Derenda.

mehr:
- „You need to calm down“ (Nora Noll, der Freitag, 28.09.2019)

"Pink House Defenders" vs. Abolitionists Pt. 1 {9:23}

AbolishHumanAbortion
Am 09.04.2015 veröffentlicht 
When Abolitionists flooded Jackson and Fondren Mississippi for Project Nineveh we engaged the "Pink House Defenders." As this little series of videos will show they were entirely incapable of dealing with the arguments presented against their pro-choice ideology built of empty slogans and deceit.



Die eingebildeten Kranken

Als ich aufs Gymnasium eingeschult wurde, kam ich in eine Streicherklasse. Das bedeutet, meine Klasse hatte zwei Stunden mehr Unterricht als normal, und in diesen zwei Stunden lernte jeder von uns ein Streichinstrument. Heute weiß ich – eine Anne-Sophie Mutter werde ich ganz sicher nicht. Allerdings waren die Jahre auch nicht umsonst, denn ich habe dort etwas ganz anderes gelernt. Da das Konzept mit dem Extra-Geigenunterricht nicht gerade viele Jungs angesprochen hat, kam bei uns ein wohl eher seltenes Geschlechterverhältnis zustande – mit drei Jungs und zwanzig Mädchen. In meiner Klasse gab also fünf Jahre lang ein Kollektiv von pubertierenden Teenagerinnen den Ton an – für mein damaliges Ich der reinste Horror. Aber nun weiß ich, welche Folgen es haben kann, wenn Frauen die Oberhand bekommen.

Mich wundert eigentlich keine politische Bewegung mehr, gewissermaßen hat meine Schulzeit mich perfekt auf Fridays for Future, #Metoo und all diese Trends vorbereitet, die meine Generation förmlich in sich aufgesogen hat, weil sie wie für sie gemacht sind. Die Generation Schneeflocke ist empfindlich, sie will sich nicht mit fremden Meinungen konfrontiert sehen, sie vereint sich im Anderssein. Denn das ist der Punkt: dieses Anderssein, aber trotzdem dazu gehören; eine gewisse Unsicherheit, gepaart mit der Angewohnheit sich zu wichtig zu nehmen; das Verlangen gesehen zu werden und gleichzeitig das Bedürfnis, sich anzupassen. Meiner Beobachtung nach bauen diese ganzen neuen Ansichten, dieses seltsame, widersprüchliche Verhalten, das große Teile der Gesellschaft und vor allem meine Generation heutzutage an den Tag legen, darauf auf.

Ein Ergebnis scheint diese inflationäre Annahme psychischer Krankheiten zu sein. Nicht ganz richtig im Kopf zu sein, scheint zuweilen als erster und entscheidender Schritt zum Anderssein willkommen. In meiner Klasse war es auch ein probates Mittel im ständigen Kampf um das meiste Mitleid. Dass man in der Pubertät unterschiedliche Phasen durchmacht, ist normal, aber viele haben das auf ein höheres Level getrieben. Ich weiß noch, wie wir im Biologieunterricht über Essstörungen wie Magersucht gesprochen haben und wie kurz darauf die Hälfte meiner Klasse vermeintlich magersüchtig war. Die eingebildet Kranken mussten ihr neues Leiden laut in die Welt hinaus verkünden und waren dabei so berechenbar.

Der Trend des Ritzens

Unser Lehrer zeigte uns Bilder von einem Patienten mit Magersucht und erklärte uns, dass es doch tatsächlich ungesund sei, wenn sich der Brustkorb und die Wirbelsäule so deutlich abzeichnen und dass diese Leute schnellstmöglich Hilfe brauchen. Prompt stand vor der nächsten Sportstunde eine Traube von Mädchen vor dem Spiegel, die sich allesamt lauthals darüber beschwerten, dass man bei ihnen ja gar keine Knochen sieht, sie also folglich übergewichtig seien und für den Rest des Tages absolut nichts mehr zu sich nehmen würden.

Unser Lehrer erklärte uns die Lebensmittelpyramide und warum eine ausgewogene Ernährung wichtig für den Körper sei, und schon planten meine Mitschülerinnen, welche Lebensmittel sie von nun an alle weglassen würden, um durch Nährstoffmangel den gewünschten Abnehmeffekt zu erreichen. Irgendwann war die Aufmerksamkeit, die sie für diese Aktionen bekamen, nicht mehr groß genug. Wenn jeder stündlich rausrennt, um sich zu übergeben, ist es irgendwann nichts Besonderes mehr.

Wie gerufen kam damals ein Fachtag zur Aufklärung und Früherkennung von Depressionen. Nun soll hier keineswegs geleugnet werden, wie wichtig es ist, Depressionen zu erkennen. Doch als Nebeneffekt servieren Veranstaltungen, in denen haargenau erklärt wird, welche Anzeichen solche Krankheiten haben, den kleinen geltungsbedürftigen Mädchen die Symptome wie auf dem Silbertablett. Alles, was die dann noch machen müssen, ist mitschreiben und nachspielen. Wobei das Mitschreiben auch nicht vonnöten ist, denn am Ende werden oft die dazu passenden Hochglanzbroschüren verteilt.

Wer glaubt, ein Haufen vermeintlich magersüchtiger Mädchen sei schon schlimm, der soll abwarten, was künstlich depressive Mädchen alles so auf Lager haben. Alles fing damit an, dass immer mehr von ihnen den halben Arm bandagiert hatten und passend dazu im Winter kurze Ärmel trugen, sodass natürlich jeder fragte, was passiert war. „Hab mich geschnitten“, war dann die Antwort, und so ging der Trend des Ritzens los. Später kamen die Verbände ab und unzählige Narben zum Vorschein. Immer noch mit kurzen oder hochgekrempelten Ärmeln trugen sie die stolz vor sich her, es sei denn, sie merkten, dass jemand sie anschaute – dann versteckten sie ihre Arme theatralisch hinter ihrem Rücken. Ich fühlte mich wie im Irrenhaus, und es gab keine andere Zeit, die mich für diesen ganzen Gefühlskram so abstumpfen ließ wie diese.

mehr:
- Die neuen Leiden der jungen Schneeflocken (Elisa David, AchGut, 28.09.2019)