Donnerstag, 5. November 2015

Weltweit wachsende Bedrohung staatlicher Überwachung

Netzfreiheit Der neue „Freedom on the Net“-Bericht zeigt die weltweit wachsende Bedrohung staatlicher Überwachung auf, auch in Deutschland

Die US-amerikanische NGO Freedom House hat eine neue Ausgabe ihres Berichts „Freedom on the Net“ veröffentlicht, in dem die globale Situation der Freiheit im Internet für den Zeitraum von Juni 2014 bis Mai 2015 untersucht wurde. Die Ergebnisse sind wieder einmal erschreckend, denn auf der ganzen Welt schränken Regierungen die Freiheit im Internet weiter ein, bauen die Überwachung ihrer Bevölkerung aus und gehen verschärft gegen Hilfsmittel zum Schutz der Privatsphäre vor. Auch in Deutschland gibt es derartige Vorfälle.

Mehr Überwachung, mehr Verfolgung, mehr Einschränkungen
In den 65 untersuchten Staaten haben 14 Regierungen neue Überwachungsgesetzeerlassen, meist ohne Evaluierung bisheriger Maßnahmen. Andere Staaten haben währenddessen ihre bestehenden Überwachungsinstrumente aufgerüstet. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorismus sind sowohl demokratische als auch autoritäre Staaten gegen die Möglichkeit der Verschlüsselung von persönlichen Daten und Informationen vorgegangen, und das obwohl Verschlüsselung gegen Zensur helfen kann. Die staatlichen Maßnahmen schaden aber weniger Terroristen als den eigenen Bürgern, derenRechte auf Privatsphäre und Anonymität verletzt werden.

Vor allem die Veröffentlichung und das Teilen von Informationen stand im Fokus der staatlichen Ermittlungs- und Überwachungsbehörden. In 42 der 65 Ländern mussten private Unternehmen oder einzelne Nutzer auf Druck staatlicher Stellen den Zugang zu Inhalten begrenzen oder diese sogar löschen, wenn diese mit politischen, religiösen oder sozialen Themen zu tun hatten. Im Vorjahr kam dies nur in 37 Staaten vor. 40 Staaten verhafteten Menschen, die derartige Inhalte im Internet zugänglich machten.

Deutschland schneidet in dem Bericht sehr gut ab
Die Bundesrepublik Deutschland schneidet im weltweiten Vergleich sehr gut ab, denn weder wurden bestimmte Inhalte oder Medien geblockt bzw. gelöscht, noch wurden Blogger oder Nutzer inhaftiert. Dies zeugt von einer funktionierenden Demokratie in Deutschland, in der es aber auch stets Versuche gibt, die Freiheit im Internet einzuschränken und die staatliche Überwachung weiter auszubauen. Auch hierzulande gab es mehrere Besorgnis erregende Vorfälle.

Anfang 2014 wurde uns Netzpiloten aufgrund einer von Bundestagspräsident Norbert Lammert gestarteten Kampagne gegen Blogger der Zugang zum Bundestag verwehrt. Höhepunkt in diesem Jahr war der politisch motivierte Vorwurf des Landesverrats gegen zwei Berliner Aktivisten. In beiden Fällen scheiterten die Versuche gegen Vertreter einer neuen Medienwelt vorzugehen, die Versuche gab es aber. Mit derVorratsdatenspeicherung, haben die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD erst kürzlich ein neues Überwachungsgesetz initiiert.

Den Bericht über die Bundesrepublik Deutschland hat der Gründer und geschäftsführende Partner des unabhängigen Think Tank iRights.Lab, Philipp Otto, verfasst. Otto, der u.a. das Projekt „Braucht Deutschland einen Digitalen Kodex?“ leitet und Herausgeber der jährlich erscheinenden Publikation „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik“ ist, berichtet bereits seit mehreren Jahren für Freedom House zur Situation in Deutschland.

mehr:
- Freedom House veröffentlicht neuen Bericht (Tobias Schwarz, der Freitag, 04.11.2015)

Trailer German - Der Staatsfeind Nr. 1 - Will Smith - Gene Hackman [1:20]

Veröffentlicht am 03.11.2013
Dieser Spionage Thriller von 1998 verliert wohl nie seine Aktualität zeigt er doch die mittel über die die Geheimdienste verfügen um "seine" Bürger zu beobachten.

Leider liegt mir der Trailer nicht in einer besseren Fassung vor, ich bemühe mich aber um eine bessere Version.

BWS-Wertung: 5/5

Copyright by Buena Vista International
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SPD will Kooperationsverbot abschaffen

Bildung Die Integration von Geflüchteten ist eine nationale Aufgabe, welche die Länder nicht stemmen können. Der Bund soll den Schulen helfen – doch seit 2006 ist das verboten

Na also, geht doch. Die SPD-Fraktion im Bundestag fordert die Abschaffung des so genannten Kooperationsverbots, das die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Schulpolitik blockiert. Die SPD will aber der Situation von Flüchtlingen in Schulen mit einer „Nationalen Bildungsallianz“ Herr werden. Also beschloss sie am Dienstag, Ganztagsschulen einzurichten und flächendeckend Schulsozialarbeit zu bezahlen. Erreicht werden kann das nur, wenn Berlin mit den Landesregierungen zwischen Kiel und München, zwischen Düsseldorf und Dresden auch in der Schulpolitik zusammen arbeitet. Dies sei nötig, sagte der Fraktionsvize der SPD, Hubertus Heil, dem Freitag, da ein Viertel der Flüchtlinge unter 16 Jahre alt – und also schulpflichtig sei. „Es besteht Handlungsdruck, daher müssen wir uns von Fesseln befreien, die uns als Bund daran hindern, den Schulen direkt zu helfen.“

Das Kooperationsverbot war vor knapp 10 Jahren beschlossen worden. Damals regierte ebenfalls eine Große Koalition aus Union und SPD. Sie fügte einen Passus ins Grundgesetz ein, den Heil „einen in Verfassung gegossenen Irrtum nannte.“ Dieser Passus untersagt, dass der Bund mit den Schulen der Länder auf irgendeine Weise zusammenarbeitet – weder Geld noch Gesetze noch Pläne des Bundes dürfen seitdem die Kulturhoheit der Länder für die Schulen berühren. Das Verbot hat bereits zu absurden Situationen geführt. In der Finanzkrise etwa konnte Berlin viele Milliarden für Schrottautos investieren, die Abwrackprämie. Aber es war ihm verboten, den Schulen Computer oder ähnliches zu bezahlen. Daher war es nötig, den Terminus einer „energetischen Gebäudesanierung“ zu erfinden – um eine Bundeskompetenz zu konstruieren, die Konjunkturmittel auch in Schulen lenkte.

Im Bundestag hat das Kooperationsverbot keinen guten Ruf. Frank-Walter Steinmeier nennt es „Blödsinn“, der Fraktionschef der CDU, Volker Kauder, sprach zu Beginn der Legislaturperiode vom „unsinnigen Kooperationsverbot in der Bildung“. Auch die stellvertretende Vorsitzende des DGB, Elke Hannack, ebenfalls CDU, findet es absurd: „Der Bund darf zwar im Rahmen der Entwicklungshilfe den Aufbau von Schulen in Indonesien finanzieren – in der Lausitz oder der Lüneburger Heide aber nicht.“

Die SPD und Hubertus Heil haben sehr konkrete Pläne mit der Aufhebung. Es sei denkbar, dass der Bund Teile der Lehrerschaft an den Schulen bezahlen würde, man könne das auch befristen. Das bezieht sich vor allem auf Pädagogen für das Fach Deutsch als Zweitsprache, von denen in naher Zukunft rund 20.000 benötigt werden. Die Schulen erwarten laut Kultusministerkonferenz bis zu 325.000 neue Schüler, kaum ein Bundesland hat für diese Aufgabe genug Geld im Etat. Es gäbe für die Aufhebung des Verbots sogar arithmetische Mehrheiten in Bundestag und -rat. Im Bundesparlament herrscht zum Beispiel eine 80-Prozent-Mehrheit, mit der man die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit zusammen bekäme. Aber eben nur rechnerisch – denn die Union ist anderer Auffassung. Insbesondere die CSU in Bayern stemmt sich seit vielen Jahren dagegen, dem Bund einen irgendwie gearteten Zugriff auf die Schulpolitik zu geben. Die Schulen gehörten zum Kernbereich der Staatlichkeit der Länder.

mehr:
- SPD will Kooperationsverbot abschaffen (Christian Füller, der Freitag, 03.11.2015)

Arbitrage – Die Privatisierung des Rechts

Enteignung von Rechten Arbitrage und Arbitration enteignen schleichend schwächere und weniger finanzstarke Vertragspartner ihrer Rechte. Die New York Times berichtet umfassend und kompetent

Schön, wenn ihr euch außergerichtlich einigt!
Bisher wird in Deutschland so getan, als seien die Praktiken der Arbitrage, der außergerichtlichen und ersatzgerichtlichen Streitschlichtung in Wirtschaftsfragen, nur in Ausnahmefällen, zwischen Großkonzernen und Staaten, wirklich wirksam, und dazu seien sie auch noch supereffizient und gesellschaftlich segensreich.

Schon das ist falsch, weil es de facto auf eine weitere und massive Entmachtung der gewählten und erwählten Politik, der Wähler, Steuerzahler und Staatsbürger hinausläuft.

Unternehmen und ihre immer besser eingespielten Anwaltskanzleien, werden bald vor allen Parlamenten und vor den Bürgern, die das Geschehen nicht verstehen und es auch nicht allzu genau wissen wollen, Gesetzestexte vorschreiben und jedes Gesetz mit Auswirkungen auf Firmen und Investoren, wird zukünftig auf einem außergerichtlichen Weg beklagbar sein, um Entschädigungssummen, die die Staaten zu zahlen haben, auszuhandeln oder durch die neuartigen "Richter" festlegen zu lassen.

Die Arbitrage, bisher freiwillig verbindlich, wird zukünftig, mit dem TTIP-Abkommen und einer Korona ähnlicher Abkommen, rund um den Globus, auf die höchste völkerrechtliche Ebene gehieft und damit verbindlich.

mehr:
- Arbitrage – Die Privatisierung des Rechts (Columbus, Freitag-Community, 03.11.2015)

Theater: der deutschen Bildungsbürger gegen Pegida & Co.

Theater In der Schaubühne Berlin lässt Falk Richter den deutschen Bildungsbürger gegen Pegida & Co. antreten.

Da kann einem schon mal Angst und Bange werden, wenn man sich in die immer hasserfüllteren Kommentarspalten zum Thema Flüchtlingsbewegung in Europa im Internet verirrt. Nicht nur die Parolen des rechtsnationalen Rands, auch die Stimmen sogenannter besorgter Bürger lassen einen da ein ums andere Mal erschauern. Der Humus, aus dem das wächst, besteht laut Falk Richter aus einem tief braunen Morast ewig gestriger Diskursgräber, aus denen sich die Geister der Vergangenheit immer wieder neu erheben. Richters Deutschland-Analyse FEAR, die vor Kurzem in der Schaubühne am Lehniner Platz Premiere feierte, fällt dann dementsprechend auch reichlich düster aus.

Im Großen und Ganzen ging es in den letzten Arbeiten von Autor und Regisseur Falk Richter immer auch um Ängste. Vor allem um jene von im Großstadtdschungel vereinsamten und sich in sozialen Netzwerken verlierender, moderner Menschen in Metropolen wie Berlin. Immer auch eine politische Gesellschaftskritik, die sich nicht nur ins rein Private der Familie zurückzog. Schon in seinem Stück Small Town Boy zur Lebenswelt von Schwulen in Berlin (am Maxim Gorki Theater) hatte Richter seinem Protagonisten Thomas Wodianka einen wütenden Hassmonolog auf Politiker und rechtskonservative, schwulenfeindliche Einpeitscher halten lassen. Nun widmet er sich im Kontext von Pegida-Demos und AfD ganz dem deutschen Alptraum des Fremdenhasses und der nationalen Selektion als Abgrenzungsmechanismus gegen eine sich drastisch ändernde Welt.

Was bedeutet heute eigentlich Heimat? „Dass Deutschland Deutschland bleibt.“ Hört man gleich zu Beginn - während im Video blühende Heimatfilm-Landschaften flimmern - aus deutschen O-Tönen, die Richter akribisch für diesen Abend gesammelt hat. Diese diffusen Stimmen aus dem Volk, der sich von der Politik verraten Fühlenden, denen meist noch hörbar die Fähigkeit zur genauen Artikulation fehlt, haben aber in Lutz Bachmann, Frauke Petry, Björn Höcke oder auch kürzlich Akif Pirincci bereits recht effektive Ideologen und Sprachrohre für ihre Ängste gefunden. Deren geistige Brandstiftung feiert dabei schon wieder Erfolge, wie brennende Flüchtlingsunterkünfte zeigen. In FEAR versuchen Richter und sein Schaubühnenteam zu ergründen, wie sich gerade im Osten des Landes diese neue nationalpatriotischen Bewegung, die zwar vorgibt, nichts mit den Nazis zu tun zu haben, aber doch klar deren Vokabular benutzt, kommen konnte.

mehr:
- FEAR (Stefan Bock, Freitag-Community)

FEAR /// Probentrailer der Schaubühne Berlin [2:29]

Veröffentlicht am 14.10.2015
Ein Stück von Falk Richter
Uraufführung
Regie: Falk Richter

Trailer: Silke Briel

http://www.schaubuehne.de/de/produkti...

Wie könnte 2015 eine Familie aussehen? Was können Begriffe wie Herkunft, Heimat oder Zuhause in einer globalisierten Welt bedeuten, mit welchem neuen Leben können sie gefüllt werden? Die westlichen Gesellschaften leben gleichermaßen in Angst und im Aufbruch. Überall in Europa erstarken reaktionäre Parteien, gedeihen Rechtspopulismus, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit. Verfechter von einfachen Weltbildern haben Hochkonjunktur. Längst errungen Geglaubtes wird plötzlich infrage gestellt: die EU wird angefeindet, die vierte Gewalt als »Lügenpresse« diffamiert, sexuelle und kulturelle Vielfalt bekämpft und in simpler Weise definiert, wie ein Mann, eine Frau, eine Familie oder eine Ehe zu sein hat. Beim Kampf um Gleichstellung erfährt gerade die Institution der Ehe eine symbolische Aufladung und Verklärung und wird als ein Privileg verteidigt, das einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe vorenthalten bleiben soll. Heraufbeschworen wird das konservative Idealbild einer Lebensform, in dessen Namen diskriminiert und aus- geschlossen wird. Zugleich scheinen normative Definitionen von Zugehörigkeit, Nationalität, Religion, Sprache, Kultur, Gender und sexueller Identität aufgegeben und individuell neu festgelegt zu werden.

Falk Richters Inszenierungen stellen den Menschen am Beginn des 21. Jahrhunderts, seine Art zu fühlen, denken und zu handeln in den Mittelpunkt. In prozesshaften, laborartigen Probenphasen, zusammen mit künstlerischen Ausdrucksformen wie Choreographie, Performance, klassischer oder elektronischer Musik, untersucht der Autor und Regisseur die Darstellung zeitgenössischer Lebens- und Empfindungswelten in den westlichen Gesellschaften auf der Bühne. Bjørn Melhus gehört zu den bekanntesten Videokünstlern Deutschlands. In seinem Werk untersucht er Einschreibungen gesellschaftlicher Traumata und Ängste in der Unterhaltungs- und Informationskultur der Massenmedien. Er arbeitet für »FEAR« zum zweiten Mal mit Falk Richter zusammen.

mein Kommentar:
Gefährlich wird’s in einer Gesellschaft, wenn sich Menschen nicht mehr ernst genommen fühlen.
Gefährlich wird‘s in einer Beziehung, wenn einer die Gefühle des anderen nicht respektiert.
Ganz gefährlich wird’s, wenn einer mitgeteilt bekommt: Das sollst Du nicht fühlen.
Wir sind eine Gesellschaft der Zu-kurz-Gekommenen.
Damit müssen wir nun zurecht kommen.
Mein Freund Charles [80J.], hat vor seinem Tod (vor zwei Jahren) prophezeit, daß wir in den kommenden Jahren auf der ganzen Welt einen Rechtsruck erleben werden. Da sind wir jetzt drin… Und die treibende Kraft ist Angst. Im Moment gehen wir in unserer Medienwelt mit unangenehmen Gefühlen so um, daß wir sie zu verdrängen versuchen. Das funktioniert nur eine Zeit lang…

Finnland: Ein Zeitalter geht zu Ende

Finnland Ein Zeitalter geht zu Ende, das auf Gemeinschaft, Bildung und Kultur setzte. Die Gesellschaft durchzieht eine melancholische Grundmelodie

Es waren 13 Grad Celsius angesagt, auch die Wolken. Nur nicht der Regen, der über den See kommt. Weit hinten, von Süden her, zieht er auf, dicht wie eine Wand. Man kann das gut sehen von Pispala aus, seit 1937 ein Ortsteil von Tampere: Eine Grundmoräne hat sich hier zu Finnlands höchstem Landrücken aufgetürmt. Wie ein Wall steigt er aus der ebenen Landschaft, legt sich in die Landenge zwischen Näsi- und Pyhä-See, als wolle er die Gewässer voreinander schützen.

Pispala bietet ein Doppelbild finnischer Geschichte – an den Hängen stehen durcheinandergewürfelte Holzhäuser. Im späten 19. Jahrhundert waren es Arbeiterwohnungen und Armensiedlungen, jetzt haben sich hölzerne Neubauten dazwischengedrängt, Künstler und Manager wohnen jetzt hier, Pispala ist die teuerste Wohngegend der Stadt.

Ende September greift der Herbst längst ins Grün dieser Sehnsuchtslandschaft aus Wald und See. Von Süden kommt die graue Regenwand voran. Der Pyhä-See zieht seine Oberfläche glatt, als wolle er die Tropfen abwehren. Bald regnet es auf der Höhe des Städtchens Nokia, das eine der spektakulärsten Achterbahnfahrten der jüngeren Wirtschaftsgeschichte durchlebt hat: den Aufstieg einer Zellstoff-und- Gummi-Firma, die Kabel herstellte und Gummistiefel, jahrelang mit Computern tüftelte und schließlich mit Telefonen Weltmarktführer wurde. Zu Spitzenzeiten zeichnete Nokia für vier Prozent des finnischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) verantwortlich. Auch daran lässt sich denken, wenn man im Park zwischen bunten Holzhäusern sitzt, inmitten eines Stadtteil gewordenen Traums der oberen Mittelschicht. Ringsherum weiße Eckpfosten, Metalldächer, aufgeräumte Veranden, saubere Zäune. Es riecht nach Holzofen und Zimtschnecken. Und man sitzt genau in dem Bild, das Finnland von sich selbst hat, harmlos, bürgerlich und intakt. Zum wackligen Fundament dieses Selbstverständnisses hat einen Tag zuvor der Ökonom Pertti Haaparanta, Professor an der Alvar-Aalto-Unversität in Helsinki, geführt. Mit Nokia ging es steil bergab, vor anderthalb Jahren kaufte Microsoft die Mobilfunksparte. 30.000 Beschäftigte sollten hinüberwechseln. Sechs Monate später waren die ersten 18.000 entlassen, im Juli 2015 löste Microsoft Nokia ganz auf. Die letzten 7.800 Mitarbeiter bekamen ihre Papiere. Professor Haaparanta sagt mit einer gewissen Resignation in der Stimme: „Vielleicht war das Unternehmen zu groß für Finnland.“

mehr:
- Still ruht der See (Lennart Laberenz, der Freitag, 28.10.2015)

VW: Anleitung zum richtigen Betrug

Satire VW, Deutsche Bank, Henkel: Deutsche Konzerne lassen sich viel zu leicht bei Regelverstößen erwischen. Unser Zehn-Punkte-Plan kann das ändern

Abgasskandal bei VW, bald jede Woche Neues von kriminellen Machenschaften der Deutschen Bank, den Regenwald zerstörendes Palmöl in den Reinigungsmitteln von Henkel: Wie kann es sein, dass Unternehmen als hoch rationale Akteure auch im 21. Jahrhundert nicht in der Lage sind, richtig zu betrügen? Sie begehen ganz offensichtlich Fehler, die es dringend zu analysieren und zu tilgen gilt. Dies ist eine Anleitung für eine völlig neue Unternehmensphilosophie, eine Anleitung zum richtigen Betrügen in zehn Punkten.

Erstens ist die Einhaltung von Recht und Moral dahingehend zu prüfen, ob sich aus ihr einzelwirtschaftlich Vorteile ergeben. Unternehmen sollten sich nicht von einer Rhetorik irritieren lassen, die Werten und Regeln irgendeinen hervorragenden Status zuspricht. Es gilt die Faustformel: Höhe der Strafe mal Entdeckungswahrscheinlichkeit. Für einen strategischen Betrug ist, zweitens, essentiell, dass Unternehmen sich auf ihre Mitarbeiter verlassen können. Der Begriff „Loyalität“ muss in die „Corporate Vision“ integriert werden, regelmäßige Trainings sind unabdingbar, damit klar wird: Betriebsgeheimnisse bleiben im Unternehmen. Das gilt insbesondere für Praktiken, die andere schädigen.

Drittens müssen Software-Systeme potentielle Whistleblower frühzeitig identifizieren, um sie schnellstmöglich freisetzen zu können. Viertens: Wenn ein Betrugsfall trotz sorgfältiger strategischer Ausrichtung – Planen, Steuern, Messen ist Chefsache – auffliegt, müssen Köpfe rollen, um den Anschein zu erwecken, jemand würde zur Verantwortung gezogen. Fünftens müssen Verschwiegenheitsklauseln in Arbeitsverträgen auch bei Ausscheiden der Mitarbeiter aus dem Unternehmen greifen. Eine finale Bonuszahlung oder der Erhalt noch nicht ausgezahlter Boni ist an Verschwiegenheit zu koppeln – das klappt immer!

Manager sollten es, sechstens, vermeiden, sich über „Corporate Social Responsibility-Programme“ öffentlich zu exponieren. Sie ziehen damit unnötig Aufmerksamkeit auf ihr Unternehmen und stehen so unter ständiger Beobachtung der Gesellschaft und, besonders verheerend, kritischer Nichtregierungsorganisationen, die ihre Aktivitäten als ein Versprechen missverstehen. Siebtens sollten Konzerne möglichst Geschäfte in den USA vermeiden. Die USA verfügen über ein Unternehmensstrafrecht, aus dem empfindliche Strafen resultieren können. In Deutschland werden Vergehen von Unternehmen bisher nur wie Falschparken als Ordnungswidrigkeit geahndet und sind daher deutlich günstiger.

Im Entdeckungsfall sollten Verantwortliche, achtens, ihre Betrugsstrategie mit einem einfachen Argument begründen: Auch andere Unternehmen betrügen. Der Begriff „Wettbewerbsfähigkeit“ ist hierbei prädestiniert zur häufigen Verwendung. Ganz wichtig: Das Reden über Gewinneinbußen vermeiden und lieber von der Rettung von Arbeitsplätzen sprechen.

mehr:
- Anleitung zum richtigen Betrug (Thomas Beschorner, der Freitag, 02.11.2015)

mein Kommentar: 
Wie ich gestern in einer Nachrichtensendung gehört habe, gibt es bei VW keine Fehlerkultur: Jeder, der einen Fehler zugegeben hat, wurde bestraft. 
Wie kann das sein?