Sonntag, 3. September 2006

Qualitätssicherung bei unseren Volksvertretern

Hauskrach im Schmidt-Ministerium

Beamte wollen sich nicht den Schwarzen Peter für Mängel der Gesundheitsreform zuschieben lassen

Berlin. Im Bundesgesundheitsministerium von Ulla Schmidt (SPD) herrscht dicke Luft. Beamte, die in der Sommerpause das Gesetz zur Gesundheitsreform entworfen haben, rebellieren dagegen, dass ihnen jetzt von der Führung des Ministeriums der Schwarze Peter für Mängel des Gesetzes zugeschoben werden soll.
In einem Flugblatt „informiert“ die Betriebsgruppe der Gewerkschaft ver.di die Mitarbeiter des Ministeriums einpört „über ein Ereignis der letzten Tage, das bisher einmalig in der Geschichte unseres Hauses ist“. Bei einer der zentralen Reformen der Bundesregierung seien die Beamten „bei der Formulierung des Gesetzentwurfs weitgehend von der politischen Führung allein gelassen worden“. Nach Kritik in der Offentlichkeit „ließ die Leitung stattdessen durch das Pressereferat verkünden, Fachbeamte des Hauses hätten falsch gehandelt“, wirft die Gewerkschaftsgruppe der Führung des Hauses vor. Unter anderem hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert, der Entwurf entspreche nicht den politisch vereinbarten Eckpunkten.
Der Gesetzentwurf ist nach Angaben der Gewerkschafter auf ungewöhnliche Art zustande gekommen: Am 5. Juli erhielten die Beamten den Auftrag, aus den Eckpunkten der Koalition innerhalb kürzester Zeit ein Gesetz zu entwerfen. „Bei zahlreichen Eckpunkten blieben Fragen offen, nicht zuletzt, weil die Fachebene an der Formulierung der Eckpunkte nicht beteiligt gewesen war“, schreibt die ver.di-Betriebsgruppe. „Fatal“ nennt sie es, „dass die inhaltliche Klärung, wie manche Eckpunkte gemeint sind, (trotz Nachfrage!) nur in eingeschränktem Maße mit den politisch Verantwortlichen erfolgte“. Der für die Reform zuständige Abteilungsleiter habe „kein einziges Gespräch über den geplanten Gesetzentwurf mit den Mitarbeitern geführt“, bevor der Entwurf an Außenstehende versandt wurde.
Am 17. August war der mehrere Hundert Seiten starke Gesetzentwurf fertig – und die Verfasser mussten „zur Kenntnis nehmen, dass sich ihr eigener Abteilungsleiter in Teilen von den Entwürfen distanzierte und erklärte, so seien die Regelungen nicht richtig und auch nicht gewollt gewesen!“ Das Pressereferat des Ministeriums nannte den Entwurf öffentlich ein „allererstes Arbeitspapier“ von Fachbeamten.
„Wieso distanziert sich die Leitung des Hauses so von ihrer Arbeitsebene?“, fragen die Beamten. Ob bewusst, auf dem Rücken der Fachebene, „die politischen Möglichkeiten ausgelotet“ werden sollten?
Der Sprecher des Ministeriums, Klaus Vater, wies die Vorwürfe am Freitag als „absurd“ zurück. Von einer Revolte im Ministerium könne keine Rede sein. Die ver.di-Betriebsgruppe sei nur eine „Minigruppe“ mit einer Handvoll Mitgliedern. Der Entwurf sei von „außerordentlich befähigten Leuten“ erarbeitet worden, die „keinerlei Anlass zur Kritik“ böten.

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2.9.2006

„Und Format, was iss mit Format?“

„Warum hätte er darüber sprechen sollen?“

Alle reden über Günter Grass und seine Vergangenheit. Einer hat bislang geschwiegen: Helmut Frielinghaus. Jetzt hat sich Grass’ langjähriger Lektor zu Wort gemeldet. In einem Brief an Freunde und Lektorenkollegen kommentiert er die Vorgänge – und den in seinen Augen grotesken Medienrummel. Der HAZ stellte er den Brief zum Abdruck zur Verfügung.

Liebe Freunde, einige von Euch haben mich nach meiner Meinung über die Debatte um Günter Grass gefragt. Eine in Kalifornien lebende frühere Verlagskollegin schreibt: „Ich wüsste gern, was Deine Gedanken zu Günter Grass sind.“ Ein amerikanischer Übersetzer fragt: „Was ist los in Deutschland, wie ist es möglich, dass die Medien auf diese Weise über Günter Grass herfallen?“
Ich will versuchen, auf beides zu antworten.
Ich habe das Manuskript des Buches zwei- oder dreimal im Herbst letzten Jahres und dann noch zweimal im Januar und Februar dieses Jahres gelesen. Ich habe bei der Passage über Günters kurzfristige Zugehörigkeit zur Waffen-SS nur kurz gestutzt und weitergelesen. Beim Wiederlesen habe ich gedacht: Das wird ein paar hämische Artikel in BILD und anderen Zeitungen geben. Ich habe mir aber keine weiteren Gedanken gemacht. Ich bin selbst ab 1941 widerwillig „Jungvolkjunge“ in der „Hitlerjugend“ und am Ende des Kriegs, 1944/45, offiziell, wenn auch nicht in der Praxis, Angehöriger des „Volkssturms“ gewesen. Meine älteren Brüder waren beide Luftwaffenhelfer, der ältere hatte ein Hitlerbild in seinem Zimmer zu Hause, das mein Vater, ein protestantischer Pfarrer und kein Nazi, in der Nacht, in der unser Haus nach einem Luftangriff abbrannte, ins Feuer warf.
Obwohl Günter und ich aus sehr unterschiedlichen Elternhäusern kommen, denken wir, politisch für immer geprägt von dem, was wir nach dem Krieg erfuhren, in vielem ähnlich, das heißt, ich teile seit Jahrzehnten sehr viele von Günters Ansichten in politischen Fragen, und natürlich in literarischen Fragen. Seit 1989 bin ich sein Lektor.
Ich kann verstehen, dass viele, auch einige von Günters Freunden wie zum Beispiel Salman Rushdie, der im Übrigen in BBC 4 sehr überzeugend über Günter und sein Werk sprach, enttäuscht fragen: „Warum hat er über diese kurze Zugehörigkeit zur Waffen-SS (mit 16, 17 Jahren) nicht viel früher gesprochen?“
Ich könnte umgekehrt fragen: „Warum hätte er darüber sprechen sollen? Diese dem Jugendlichen verordnete kurzfristige Zugehörigkeit zu einer als „Kanonenfutter“ ausgebildeten Einheit hatte nach dem Krieg keinerlei Bedeutung mehr. Bedeutung hatte, dass Günter, wie er oft laut gesagt und immer wieder geschrieben hat, an Hitler und den „Endsieg“ geglaubt und bis zu den Nürnberger Prozessen nicht geglaubt hatte, was in der Nachkriegszeit über die Verbrechen der Deutschen bekannt wurde. Das auszusprechen war sein mutiges Bekenntnis.
Günter und ich haben über das Manuskript und auch über die Waffen-SS-Passage gesprochen, aber ich bin, ehrlich gesagt, nicht einmal auf den Gedanken gekommen, ihn zu fragen: Warum sagst Du das erst jetzt? Ich bin nicht auf den Gedanken gekommen, weil mir die Tatsache und Günters Schweigen darüber nichts bedeuten. Es wäre praktischer und einfacher gewesen, wenn er früher darüber gesprochen hätte, aber in meinen Augen nicht „moralischer“.
Das ungeheuerliche Echo auf die Mitteilung, das zwei Wochen vor Erscheinen des Buches durch einen Leitartikel von Frank Schirrmacher in der FAZ und ein Interview mit Günter in derselben Ausgabe der Zeitung ausgelöst wurde, hat in meinen Augen etwas Groteskes und Absurdes, aber auch etwas Gespenstisches, es ist mir unheimlich. Seit Mitte August haben unzählige Journalisten über eine Episode im Leben eines Menschen geschrieben, ohne das Buch gelesen zu haben, ohne sich zu erinnern, wie oft Günter öffentlich, in Reden und Schriften, sich zu den Fehlern und Versäumnissen seiner Jugend bekannt hat. Wer hat so viel öffentliche Buße getan? Die Erkenntnis, dass er als Jugendlicher auf der falschen Seite gestanden und zu wenig gefragt hat, ist die entscheidende Grundlage, seines Schreibens, seiner literarischen und politischen Arbeit in fünf Jahrzehnten.
Ich weiß nicht, wie man das Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ lesen kann, ohne an eigene Fehler, Irrtümer und Versäumnisse zu denken. Inzwischen haben sich viele Schriftsteller aus aller Welt zu Wort gemeldet und gesagt, dass Günters Schweigen über dieses eine Detail weder sein literarisches Werk noch seine politische Arbeit schmälert.
Ich möchte auf einen anderen Aspekt eingehen. Die Selbstgerechtigkeit und Feindseligkeit, mit der in Deutschland die Debatte geführt wird, die grotesken und absurden Verdächtigungen und Unterstellungen, die gegen Günter und den Verlag geäußert wurden, haben für mich das Ansehen des literarischen Lebens in Deutschland und der deutschen Literaturkritik beschädigt. Was sind die Hintergründe dieser massiven Angriffe, die es in dieser Form bisher, soweit ich mich erinnern kann, nicht gegeben hat? Ist es Rache, weil Günter mit seiner scharfen politischen Kritik an nach dem Krieg noch amtierenden Nationalsozialisten oder auch an dem westdeutschen Vorgehen bei der Vereinigung 1989,1990 und danach oft recht gehabt hat?
Ich weiß es nicht. Aber ich merke tagtäglich, dass mich – sicher auch auf Grund meines Alters – das, was da jetzt geschehen ist und geschieht, beunruhigt. Der Ton der Debatte, die ja bisher keine wirkliche – nämlich in Kenntnis des neuen Buches und des Lebens von Günter geführte – Debatte ist, erinnert mich an die dreißiger und vierziger Jahre. Haben wir, die Deutschen, einen – gewöhnlich hinter zivilisiertem Verhalten verborgenen, aber von Zeit zu Zeit ausbrechenden – Hang, über Einzelne, die anders sind, mit Hass herzufallen und zu Gericht zu sitzen?
Um meinen Freunden deutlich zu machen, wie angewidert und beunruhigt ich bin, sage ich, dass ich, hätte ich die Möglichkeit, gern in ein anderes Land umziehen würde.
Günter wird „Beim Häuten der Zwiebel“, wie geplant, am 4. September in Berlin vorstellen, er wird an allen vorgesehenen Lesungen und an dem Übersetzertreffen im Dezember in Lübeck festhalten. Die freundlichen Nachrichten aus Gdansk und die Äußerungen von Schriftstellern und Übersetzern haben ihm gut getan.

Ich grüße Euch herzlich,
Helmut Frielinghaus


Helmut Frielinghaus
… geboren 1931, ist Journalist, Lektor und Übersetzer. Seit 1989 lektoriert er die Bücher von Günter Grass. Seit 1991 arbeitet Frielinghaus als Übersetzer – unter anderem hat er Bücher von John Updike und Raymond Carver ins Deutsche übertragen. Zu seinen Publikationen gehören: „Der Butt spricht viele Sprachen: Grass-Übersetzer erzählen“ und „ The Günter Grass Reader“. Für den Göttinger Steidl Verlag hat Frielinghaus mehrmals die Treffen zwischen Günter Grass und seinen Übersetzern moderiert.

Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 2.9.2006


Obenstehender Brief ist das beste, was ich seit Beginn dieses hysterischen Raschelns im Blätterwald gelesen habe. Die überall spürbare „political correctness“, die Häme, sowohl auf dem rechten wie auf dem linken politischen Spektrum, ist realitätsfremd, unerträglich selbstgerecht und völlig überzogen. Vielleicht fragen wir uns in ein paar Jahren einmal, ob es nicht diese politisch korrekte Überempfindlichkei ist – über die 1988 auch Bundestagspräsident Jenninger mit seiner ehrlichen, gutgemeinten und mutigen (er hätte es sich ja auch einfach machen können) Gedenkrede über die Reichskristallnacht stolperte –, die es Günter Grass angezeigt schienen ließ, zu schweigen. Man stelle sich vor, was passiert wäre, wäre er in den 70er Jahren damit herausgerückt …

Der vierte Golfkrieg

Das Konzept der US-Regierung für die irakische Landwirtschaft findet sich in einem Dekret des einstigen Zivilverwalters Paul Bremer. Bevor er die Amtsgeschäfte im Juni 2004 an die irakische Übergangsregierung übergab, hat er genau einhundert Gesetze erlassen - seine „Order 81“ trägt den Titel „Gesetz über Patente, Industriemuster, unveröffentlichte Informationen, integrierte Schaltkreise und Pflanzensorten“. Sie ändert den Umgang mit Saatgut im Irak grundlegend.
[…] Über Tausende von Jahren wurden die […] Pflanzensorten von irakischen Bauern gezüchtet, die Samen wurden von Generation zu Generation weitergegeben, jeder durfte sie anbauen und das Beste aus diesem Gemeineigentum machen. […]
Paul Bremers „Order 81“ verbietet es irakischen Bauern künftig, über Saatgut frei zu verfügen. Neue Pflanzensorten – und unter bestimmten Voraussetzungen auch die alten – dürfen danach nicht mehr frei nachgebaut werden. Anders als bisher üblich, dürfen die Bauern nicht mehr einen Teil der Ernte im folgenden Jahr aussäen – es sei denn, sie zahlen Gebühren an den Züchter. Diese Regelung sei „notwendig zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des irakischen Volkes“, schreibt Bremer in der Begründung seines Gesetzes, es biete Unternehmen einen Jairen, effizienten und verlässlichen Schutz für ihr intellektuelles Eigentum“. [sic!] Millionen irakischer Bauern macht „Order 81“, wenn sie umgesetzt wird, abhängig von Saatgutlieferanten – meist Großkonzerne wie Monsanto oder Syngenta. Das Dekret erschwere massiv die Ernährungssouveränität der Iraker, kritisiert die internationale Umwelt- und Agrarorganisation GRAIN, stattdessen werde die „Zukunft der irakischen Landwirtschaft an den Interessen von US-Unternehmen ausgerichtet“. […]
Mit der Reform der Landwirtschaft beauftragte die US-Regierung Daniel Amstutz, einen langjährigen Spitzenmanager von Cargill, einem der größten Agrarkonzerne der Welt. „Amstutz den Wiederaufbau der Landwirtschaft im Irak zu übertragen ist, als ob man Saddam Hussein zum Vorsitzenden einer Menschenrechtskommission machte“, kommentierte die britische Hilfsorganisation Oxfam. Einzige Kompetenz des Managers sei es, die Interessen von US-Unternehmen durchzusetzen. Jedenfalls drängten die Amerikaner in der Folgezeit auf ein Ende der staatlichen Lebensmittelrationen, weil diese die Entwicklung freier Märkte verhinderten. Vehement forderten sie die Abschaffung der Agrarsubventionen (mit denen Saddam Hussein früher die Lebensmittelproduktion förderte und zugleich viele Bauern zu treuen Anhängern machte). Entnervt klagte die Interims-Agrarministerin, Sawsan Ali Magid al-Sharifi: „Sogar amerikanische Farmer bekommen Subventionen! Warum sollen wir sie jetzt für die armen irakischen Bauern streichen?“ […]
Nutznießer von Regeln wie in „Order 81“ sind vor allem die Industriestaaten und dort ansässige Unternehmen; zu diesem Ergebnis kam im Jahr 2002 auch eine Kommission der britischen Regierung. Einst profitierten die reichen Länder selbst von Urheberrechtsverletzungen und der Abschottung ihrer Märkte, heute predigen sie den Entwicklungsländern das Gegenteil. 1968 wurde die internationale UPOV-Konvention erlassen, die kommerziellen Züchtern erstmals das Eigentum an Pflinzensorten einräumte. Damals wurde Bauern noch das Recht zugestanden, einen Teil ihrer Ernte wieder auszusäen. Dieses „Landwirteprivileg“ ist seitdem immer weiter beschränkt worden, Bremers „Order 81“ schließt es gleich ganz aus. Sie legt fest, was Monsanto in den USA noch jedem einzelnen Farmer in den Kaufvertrag für sein Saatgut schreiben muss.
„Eine Klausel wie diese habe ich noch nie gesehen“, sagt Maria Julia Oliva vom Center for International Environmental Law (CIEL) in Washington. Im Auftrag des Greenpeace Magazins hat die Fachanwältin den Erlaß analysiert. Ihr Befund: In mehreren Punkten ist er konzernfreundlicher als die ohnehin unternehmerfreundlichen internationalen Standards. „Die Interessen der Bauern und ihr Anteil an der Entwicklung von Saatgut werden völlig ignoriert“, urteilt Oliva. Auch die Klauseln, mit denen gemeinnützigen Institutionen üblicherweise Ausnahmen eingeräumt werden, seien „sehr schwach“ verankert.
Weit reichende Entscheidungen verstecken sich bei „Order 81“ in Detailformulierungen. Ganz nebenbei wird dort Gentechnik als eine Möglichkeit zugelassen, neue Sorten herzustellen. En passant ermöglicht wird auch die Patentierung von Pflanzenteilen, die international umstritten ist. Damit gehe Bremers Erlass „weit über alles bisher bekannte hinaus“, kritisiert Andreas Bauer, Gentechnik-Experte beim Umweltinstitut München. Irakische Bauern könnten eines Tages sogar für ihr traditionelles Saatgut zur Kasse gebeten werden: Der Eigentumsschutz für eine neue Sorte erstrecke sich nämlich auch auf Pflanzen, die gleiche oder ähnliche Charakteristika besitzen.
Der BBC-Journalist Greg Palast ging vor zwei Jahren der Frage nach, wie dieses Gesetz zustande kam. Er stieß auf Grover Norquist, einen der einflussreichsten konservativen Wirtschaftslobbyisten von Washington. „Ich besuchte ihn in seinem Büro“, so Palast, „und Norquist konnte es gar nicht erwarten damit zu prahlen, wie er im Finanz-, Verteidigungs- und Außenministerium und auch im Weißen Haus ein- und ausgegangen ist und die Pläne für die Zeit nach der Eroberung des Iraks mitgestaltet hat – von den Steuern und Importzöllen bis zu den Rechten an geistigem Eigentum, nach denen ich ihn explizit fragte.“ […]
Die US-Armee hat ein eigenes Agrarprogramm im Irak, die „Operation Amber Waves“ (im Englischen der lyrische Ausdruck für goldgelbe Weizenfelder). Hunderte Tonnen Saatgut hat das Militär seit 2004 an irakische Bauern verteilt, und zumindest ein Teil davon stammte aus den USA. Das Unternehmen World Wide Wheat aus Phoenix, Arizona, zum Beispiel hatte auf Bitten des Verteidigungsministeriums Saatgut für je drei Sorten Brot- und Hartweizen gespendet. „Wir erwarten nicht, irgendetwas zurückzubekommen“, betont Pressesprecher Sheldon Richardson. Theoretisch aber könnte seine Firma, wenn sich ihre Sorten in einigen Jahren im Irak verteilt haben, unter Berufung auf „Order 81“ Lizenzgebühren kassieren. Damit nicht genug: Durch Pollenflug kann sich importierter Weizen in die alten irakische Getreidesorten einkreuzen, und dank Bremers Dekret könnte das Unternehmen auch so entstandene Saaten als sein Eigentum deklarieren. „Order 81“ umfaßt nämlich auch Sorten, die „im Wesentlichen von einer geschützten Sorte abstammen“. Dasselbe gilt übrigens auch für den – wahrscheinlichen – Fall, daß irakische Bauern etwas von den Millionen Tonnen amerikanischen Weizen ausgesät haben, die seit 2003 als Lebensmittellieferungen in das Land gelangten. […]

Greenpeace Magazin 3/06

Initiative Nachrichtenaufklärung

Jedes Jahr veröffentlicht die „Initiative Nachrichtenaufklärung“ eine Liste der zehn wichtigsten Themen, die von deutschen Medien vernachlässigt worden sind. Über die Rangfolge entscheidet eine Jury aus Journalisten, Wissenschaftlern und Studenten. Vorbild der Initiative ist das amerikanische „Project Censored“, das schon seit 30 Jahren darauf hinweist daß Fernsehen, Radio und die großen Zeitungen zahlreiche Themen ausblenden. Die Gründe sind vielfältig: Eitelkeit und Bequemlichkeit von Journalisten, ökonomische Interessen der Medienbesitzer, Desinteresse des breiten Publikums oder objektive Schwierigkeiten bei der Recherche. Auf der 2005er Liste vernachlässigter Themen steht auch Paul Bremers „Order 81“. Einige weitere sind:
  • Deutschland vernachlässigt den Kampf gegen Korruption, bis heute ist es der entsprechenden UN-Konvention nicht beigetreten, anders übrigens als Peru oder Uganda.
  • Immer häufiger werden bei Wahlen in Deutschland elektronische Geräte zur Stimmabgabe eingesetzt, dabei sind sie erheblich leichter zu manipulieren als papierene Stimmzettel.
  • Etliche Pestizide, die hierzulande verboten sind, dürfen von deutschen Firmen exportiert werden – über die Obst- und Gemüseimporte kommen sie zurück zu den Verbrauchern.
  • Polizei und Geheimdienste können jederzeit und nach eigenem Ermessen private E-Malls mitlesen – und Telekom-Firmen stellen die Schnittstellen bereit.
  • Russische Ölfirmen zerstören mit dem Geld deutscher Banken die Umwelt in Westsibirien, beteiligt sind auch öffentliche Kreditinstitute wie die WestLB.
Seit seiner Gründung hat das Greenpeace Magazin stets über vernachlässigte Themen berichtet. Künftig werden wir direkt mit der „lnitiative Nachrichtenaufklärung“ zusammenarbeiten. Und unsere Leser rufen wir auf. Weisen Sie uns auf Themen hin, die Ihrer Meinung nach zu wenig beachtet werden! Wir leiten Ihr Thema dann an die Initiative weiter. Unsere Mall-Adresse: gpm@greenpeace-magazin.de

Weitere Infos:
Greepeace Magazin 3/06

Reiche Beute in fremden Revieren

Der Leverkusener Bayer-Konzern wird in einer amerikanischen Studie der Bio-Piraterie beschuldigt. Laut „Out of Africa: Mysteries of Access and Benefit Sharing“ produziert Bayer das Diabetes-Mittel Glucobay mit Hilfe eines Bakteriums aus dem kenianischen Ruiru-See. Jährlich erziele der Konzern mit Glucobay einen Umsatz von rund 278 Millionen Euro, von dem allerdings kein Cent nach Afrika zurückfließe. Das Medikament, das den Blutzucker senkt, wurde 1991 in Deutschland zugelassen. 1995 ließ sich Bayer einen neuen Herstellungsprozess von Acarbose, dem Wirkstoff des Präparats, patentieren. In der Patentschrift wird die Verwendung des Bakterienstamms Actinoplanes SESO genannt, nicht aber dessen Ursprung in Ostafrika. Bayer-Sprecher Helmut Schäfers weist darauf hin, daß das beschriebene Boden-Bakterium überall auf der Welt in Sandstrand und im Humus von Wäldern vorkomme. Genau dies gilt aber nicht für den speziellen Wildstamm. Bayer behauptet, das UN-Übereinkommen zum Schutz der biologische Vielfalt von 1992 zu unterstützen. In der so genannten Rio-Konvention wird allerdings ausdrücklich für eine Beteiligung der Herkunftsländer an den Gewinnen plädiert, wenn die Naturstoffe in westlichen Pharma-Labors landen.

Greenpeace Magazin 3/06

Agrarsubventionen für Reiche?

46 Prozent des EU-Haushalts fließen in die Förderung der Landwirtschaft. Deutschland zahlt davon gut neun Milliarden und erhält sechs Milliarden aus den Brüsseler Töpfen zurück. Doch wer profitiert von diesen Geldströmen? In einigen Ländern wurden die Empfänger der Subventionen inzwischen offen gelegt. So kann man in Dänemark im Internet nachschauen, wie viel Geld der Bauer nebenan erhält. Auch die Niederlande, Schweden, Großbritannien und Frankreich haben sich nach politischem Druck für die Veröffentlichung entschieden. Daher ist bekannt, dass etwa Prinz Charles im Jahr 2004 stolze 990.000 Euro erhielt. Der Konzern Nestlé konnte in England gar 18 Millionen einstreichen. Es zeigt sich, daß nicht die kleinbäuerliche Landwirtschaft von den Brüsseler Zahlungen profitiert, sondern hauptsächlich Großbetriebe und Konzerne mit erheblichem Landbesitz. „Dieses Muster ist auch in Deutschland zu erwarten“, ist sich Martin Hofstetter, Agrarexperte von Greenpeace, sicher: „Die reichsten Bauern bekommen die meisten Subventionen. Verlierer sind Kleinbetriebe und die Umwelt, die unter der stark geförderten Intensivlandwirtschaft leidet.“ Deutsche Behörden weigern sich bisher, Zahlungen offen zu legen. Nun laufen mehrere Klagen unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz.

Greenpeace Magazin 3/06

Bioskandal

Die Europäische Union hat mit der neuen Richtlinie für Ökolandbau die Skepsis der Biogemeinde bestätigt: Sie verwässert Biokriterien und verbietet den strengeren Bioverbänden sogar, ihre Vorteile vergleichend herauszustellen. Kontrolliert werden soll das Label „Bio“ in Zukunft in Brüssel und den einzelnen Ländern – ohne Beteiligung der Bioverbände. Kommt der EU-Entwurf im Sommer so durch, wäre das Label „Bio“ entwertet. Jetzt ist von Verbraucherminister Seehofer Initiative gefragt, um die Richtlinie noch umzubiegen.

Greenpeace Magazin 2/06