Donnerstag, 30. April 2015

Der Ukraine-Konflikt – Aktuelles, Teil 4

 

Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. 
 Ich habe noch niemanden gekannt, 
 der sich zur Stillung seiner Geldgier 
auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte. 
Die beutegierige Canaille 
hat von eh und je auf Krieg spekuliert.
(Carl von Ossietzky, 1882 - 1945, in der Weltbühne vom 8. Dezember 1931;
gefunden bei ossietzky.net)




The most common way people give up their power 
is by thinking they don't have any. 
(Alice Walker, *1944, US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin)



Menschen kämpfen für ihre Freiheit
und gewinnen diese mittels einer sehr harten Schule.
Ihre Kinder, aufgewachsen in Gelassenheit,
lassen sie sich wieder entgleiten, diese armen Narren.
Und deren Enkel avancieren einmal mehr zu Sklaven. 
(D. H. Lawrence, 1885 - 1930, englischer Schriftsteller)



Der Westen gewann die Weltherrschaft 
nicht durch die Überlegenheit seiner Ideen 
oder Werte oder Religion, 
sondern vielmehr durch seine Überlegenheit 
bei der Anwendung organisierter Gewalt. 
(Samuel Phillips Huntington, 1927-2008, US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Autor)


März 2015 
Nemzov: "Russland wird faschistisch" (Florian Rötzer, Telepolis 03.03.2015)
Interview kurz vor seinem Tod: "Selbst in meinen wildesten Träumen würde ich nicht versuchen, einen Maidan in Moskau zu organisieren" 
Als vor kurzem die so genannte Antimaidan-Bewegung in Moskau im Vorfeld zu der für den 1. März eigentlich geplanten Protestveranstaltung der Opposition demonstrierte und von der Regierung wohl geduldet einige zehntausend Anhänger auf die Straße brachte, ging es nicht nur um eine Ablehnung gegen die Regierung in Kiew und eine Stärkung des russischen Präsidenten Putin. Einer der Anführer, Nikolai Starikow, der Stalinverehrer und Gründer der rückwärts gewandten nationalistischen Partei "Großes Vaterland", warnte auch russische Oppositionelle, keine Umsturzversuche zu machen.
Zitat:
Aus dieser gewalttätigen Stimmung der Rechten und Nationalisten heraus, die derzeit in Russland Aufwind haben, ist gut vorstellbar, dass aus diesem Kreisen der Mordanschlag auf den Oppositionspolitiker Nemzov geplant und ausgeführt wurde. Offenbar gehen die russischen Sicherheitskräfte davon aus (Nemzow-Mord - gibt es eine rechtsradikale Spur?). Dabei ist die Putin-Opposition sowieso schwach und zersplittert. Die Zeiten, wo sie hunderttausend Menschen auf die Straße brachte, ist längst vorbei.
Der Ukraine-Konflikt und der neue Kalte Krieg zwischen den USA und Russland hat die Menschen noch mehr hinter Putin gebracht und dürfte die russische Regierung auch dazu treiben, eine offensive, nationalistische Politik zu betreiben, um als Großmacht nicht einzuknicken. Nach einer Umfrage des Levada- Instituts vom letzten Freitag äußerten nur 15 Prozent der Befragten Sympathie für Oppositionspolitiker wie Nemzov, Kaspari oder Navalny. 68 Prozent sympathisieren nicht mit diesen. Das mag sich nach der Ermordung etwas verändert haben, zeigt aber, die Opposition wenig Rückhalt hat und möglicherweise durch den Anschlag noch weiter eingeschüchtert werden soll. Ein Grund ist sicher auch, dass es nur noch wenige unabhängige Medien in Russland gibt und alle großen Fernsehsender staatstreu berichten.
Nemzov soll schon vor seiner Ermordung Todesdrohungen erhalten haben. Der frühere Regierungschef Litauens Andrius Kubilius berichtete, Nemzov habe ihn 2012 gefragt, ob er in Litauen Asyl erhalten würde. Newsweek hat gestern ein zuerst in der polnischen Newsweek-Ausgabe erschienenes Interview mit dem Oppositionspolitiker veröffentlicht, das er angeblich Stunden vor seinem Tod gegeben haben soll. Erklärt wird, dass paramilitärisch angezogene Pro-Putin-Typen erklärt hätten, sie würde jeden Protest gegen die Regierung in Blut ertränken: "Sie begannen mit Nemzov", so Newsweek, ohne allerdings dafür mehr als Spekulation zu bieten.


- "Gnadenlose Vernichtung von Menschen und Infrastruktur" (Florian Rötzer, Telepolis 03.03.2015)
UN-Bericht wirft allen Konfliktparteien schwere Vergehen vor, in den "Volksrepubliken" wird patriotische Mode beworben
Kehrt allmählich in der Ostukraine Normalität ein, nachdem angeblich die schweren Waffen von der Front abgezogen wurden und nur noch kleinere Scharmützel stattfinden? UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra'ad Al Hussein warnte allerdings gestern, dass die Ostukraine, wo bereits 6000 Menschen während des Konflikts getötet wurden, kurz vor einem "neuen und sehr tödlichen Kapitel" des andauernden Konflikts stehen könne. Vor allem das Leben der Menschen in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten sei "untragbar", die Menschenrechtssituation sei schlecht. 980.000 Menschen seien in die Ukraine geflüchtet, 600.000 in andere Länder, vorwiegend nach Russland.



Meine aktuelle Zusammenfassung:
Ich glaube, es ist ziemlich einfach: Putin hat die Entwicklung vorhergesehen und wußte, daß es angesichts der latenten Aggressivität Kiews gegenüber der russischsprachigen Bevölkerung im Osten der Ukraine [siehe: Ukraine 7 – Der Sprachenkonflikt als Teil des Ukraine-Konfliktes, 03.05.2014], der US-amerikanischen (5 Milliarden US-Dollar investieren für Freiheit und Demokratie? Wer das glaubt, der gehört verprügelt!) und der westeuropäischen Einmischung zu kriegerischen Auseinandersetzungen und zu dem Versuch einer ethnischen Säuberung durch die faschistische Regierung in Kiew kommen würde. (Kiew will die russischsprachigen Menschen loswerden – etwa 15-20 Prozent der Bevölkerung, die Bodenschätze und die Industrieanlage der Ostukraine aber behalten.) 

Putin hat sich noch rechtzeitig die Krim geschnappt – er müßte noch blauäugiger sein als Gorbatschow, um seinen Mittelmeerhafen aufzugeben – und danach abgewartet. Er konnte sich die Hände reiben angesichts der US-gesteuerten Medienberichterstattung, der nach kurzer Zeit – zumindest bei der westlichen Intelligenzia – die Glaubwürdigkeit vollkommen abhanden kam und den Fehlleistungen der Kiewer und der US-Politiker (Timoschenkos – »dem Dreckskerl [Putin] in den Kopf schießen« und Nulands – »Fuck the EU« – Telefonate). 

Nun hat Europa brav sanktioniert und mit der Ukraine einen Klotz am Bein, der der finanziell schwankenden EU nach all den Banken-Desastern und den aufgespannten Rettungsschirmen zu schwer werden dürfte. Putin hat von Anfang an auf ein Patt gespielt, weil er am Verhandlungstisch die besseren Karten in der Hand hat. Ich bin gespannt, ob er seinen Korridor zur Krim und wie die EU die Ukraine über den Winter bekommt. Nach soviel Tamtam ist die EU der Ukraine gegenüber in der Pflicht.

Worüber keiner bisher gesprochen hat, ist der wahre Konflikt in der Ukraine: da geht es nicht um West oder Ost, da geht es um oben (die Oligarchen-Klicke) gegen unten. Dieser ganze Konflikt ist von den ukrainischen Oligarchen hochgekocht worden, um nun mit frischem EU-Geld ihr korruptes Spiel noch eine Weile weiterspielen und sich dann verdrücken zu können. Wie die EU dann Freiheit und Demokratie in ein solch verfilztes Land bringen will, kann sie sich dann von den Griechen zeigen lassen…
Wenigstens hat die Sache ein Gutes: Die alte EU wird den USA jetzt endlich kritischer gegenüberstehen – oder sie geht unter…

Wer mir bei dem ganzen Theater leid tut, ist Obama. Der muß innenpolitisch sowas von unter Druck stehen, daß er das ganze Spiel mitgespielt hat und vom Friedensnobelpreisträger (in Oslo werden sie in Zukunft vorsichtiger sein) zum Falken mutiert ist… [Nope, we can’t…] Ich wäre gespannt, irgendwann einmal zu erfahren, was da alles hinter den Kulissen abgelaufen ist. 

gefunden in »Politfratzen« (Die Anmerkung, 11.09.2014)

Und Angie hat – das muß ich ihr lassen – zum ersten Mal in ihrer Regierungszeit mal was richtig gemacht: brav mitgekläfft (was anderes ist ihr wohl nicht übrig geblieben angesichts der deutschen »Souveränität«) und sich ansonsten bedeckt gehalten.
Und ich werde mich mit zunehmendem Alter in meinem Sessel zurücklehnen und auf Politiker und Journalisten warten, die Format haben. Vielleicht wird’s ja noch was vor meiner Rente…


Ukraine-Serie:

- Ukraine 20 – ARD-Programmbeirat bestätigt Publikumskritik (18.09.2014, zuletzt aktualisiert am 04.10.2014)
- Ukraine 19 – Die Ukraine, korrupter Journalismus und der Glaube der Atlantiker (29.08.2014, zuletzt aktualisiert am 19.10.2014)
- Ukraine 18 – Putin als Projektionsfläche für die deutsche Sehnsucht nach dem »Starken Mann«? (23.08.2014)
- Ukraine 17 – I love Putin, Putin loves you (19.08.2014, zuletzt aktualisiert am 29.10.2014)
- Ukraine 16 – Eine Gefährdung unserer Europäischen Kultur (18.08.2014, zuletzt aktualisiert am 19.08.2014)
- Ukraine 15 – Die – zumindest teilweise – Vernichtung eines gepanzerten russischen Phantom-Konvois (15.08.2014, zuletzt aktualisiert am 02.09.2014)
- Ukraine 14 – »Wir sind Menschen des Friedens« (29.07.2014, zuletzt aktualisiert am 15.08.2014)
- Ukraine 13 – Unser westliches System und die MH 17-Berichterstattung (27.07.2014, zuletzt aktualisiert am 14.09.2014)
- Ukraine 12 – Geld und Faschismus in der Ukraine (18.05.2014, zuletzt aktualisiert am 18.09.2014)
- Ukraine 11 – Unsere Medien: Nicht-Berichten und Sprachverdrehung und der Krieg »Reich gegen Arm« (16.05.2014, zuletzt aktualisiert am 01.10.2014)
- Ukraine 10 - Joe Bidens Sohn fällt die Treppe hoch (12.05.2014, zuletzt aktualisiert am 29.10.2014)
- Ukraine 9 – Wider die veröffentlichte Meinung (11.05.2014, zuletzt aktualisiert am 31.07.2014)
- Ukraine 8 – Mariopol und die Berichterstattung  (10.05.2014, zuletzt aktualisiert am 26.07.2014)
- Ukraine 7 – Der Sprachen- bzw. ethnische Konflikt als Teil des Ukraine-Konfliktes (03.05.2014, zuletzt aktualisiert am 27.09.2014)
- Der Ukraine-Konflikt 6 – Wer stoppt die USA? (25.04.2014, zuletzt aktualisiert am 28.10.2014)
- Der Ukraine-Konflikt 5 – Die Nagelprobe des Journalismus (21.04.2014, zuletzt aktualisiert am 29.10.2014)
- Der Ukraine-Konflikt 4 – Um was geht es eigentlich? (28.03.2014, zuletzt aktualisiert am 20.08.2014)
- Der Ukraine-Konflikt 3 – Westliche Naivität oder westliche Machtpolitik? (25.03.2014, zuletzt aktualisiert am 26.07.2014)
- Der Ukraine-Konflikt 2 – Über unterschiedliche Meßlatten und die Verwendung von Sprache am Beispiel der Homosexuellen-Gesetzgebung in Deutschland und des israelisch-palästinensischen Konflikts (21.03.14, zuletzt aktualisiert am 03.09.2014)
- Der Ukraine-Konflikt 1 – Westliche Aufgeregtheit und staatliches Gedächtnis (04.03.2014)

siehe auch:
Deutsche glauben den Medien nicht (Post, 26.12.2014)
Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht (Post, 28.11.2014)
Frieden muss gestiftet werden (Post, 24.11.2014)
Bedrohliche Sprachlosigkeit (Post, 19.11.2014)
- Der ewige Krieg – Obama bricht das Recht (Post, 18.10.2014)
- IPPNWforum: Roter Faden durch den ukrainischen Dschungel (Post, 08.10.2014)
- Vor 55 Jahren – 15.-27. September 1959: Nikita Chruschtschow besucht die Vereinigten Staaten (Post, 25.09.2014)
- Menschen, die mir während der Ukraine-Krise positiv aufgefallen sind (17.09.2014)
- Aachener Rede von Gabriele Krone-Schmalz (14.09.2014)
- Heute vor 44 Jahren – 4. September 1970: Salvador Allende wird zum Präsidenten Chiles gewählt (19.10.2014)
- Deutschland und die Ukraine, zur Geschichte (02.09.2014)
- Endlich: Council on Foreign Relations sieht Hauptschuld an Ukraine-Krise beim Westen (26.08.2014, zuletzt aktualisiert am 17.09.2014)
- Heute vor 100 Jahren – 15. August 1914: Das erste Schiff durchfährt den Panamakanal (15.08.2014) 
- Dianne Feinstein, CIA, NSA (09.08.2014) 
Roter Faden durch den ukrainischen Dschungel (Kai Ehlers, IPPNWforum Nr. 138, Juni 2014, S. 22)
- Die US-amerikanische Außenpolitik (27.04.2014)
- Jean Ziegler, ein wahrhaftiger Mensch (10.09.2013)