Donnerstag, 18. Januar 2018

Wir kommen in dieser Gesellschaft nicht mehr hinterher.

Wir kommen in dieser Gesellschaft nicht mehr hinterher. Sie ist schwindel-erregend geworden und lockt deshalb Schwindler an. Ist die Zukunft post-demokratisch und neo-feudal?

Vielen Menschen ist im vergangenen Jahr wieder schwindlig geworden. Unsere Gesellschaft nimmt Fahrt auf. Alles wird schneller, unübersichtlicher und fragmentierter, darin sind sich Soziologen einig. Man kommt nicht mehr so recht hinterher, manchmal auch nicht mehr wirklich klar in dieser komplexen Welt: Globalisierung, Klimawandel, Migration, Diversität; und jetzt auch noch Digitalisierung und Robotik und was noch alles.

Moderne, auf Fortschritt basierende Gesellschaften stehen vor der ständigen Herausforderung, ihre Regeln und kulturellen Normen weiterzuentwickeln und so die komplexer werdende Wirklichkeit verständlich zu machen. Transformationsprozesse, die wir aktuell politisch, ökonomisch, technologisch und kulturell bezeugen, bieten sowohl Chancen als auch Gefahren.

Der überforderte Mensch

Der Anthropologe Joseph Tainter untersucht in seinen Arbeiten gesellschaftliche Entwicklungen und Gründe für den Zusammenbruch von Gesellschaften. Er zeigt dabei, dass gesellschaftliche Krisen und Zusammenbrüche neben organisationalen auch individual-psychologische Ursachen haben. Durch eine zunehmende Komplexität haben die Menschen keine Bewältigungsstrategien mehr, mittels derer sie ihre Existenz sinnvoll in eine verändernde Welt einschreiben können. Die genannten Begriffe wie Globalisierung, Migration, Digitalisierung etc. verkommen schnell zu abstrakten Ungetümen in Aufzählungen von Zeitdiagnosen. Was wesentlich erscheint, ist der Einfluss von Veränderungen im konkreten Leben von Menschen.

Und hier zeigt sich eine Tendenz: Viele halten nur noch mit Mühe Schritt. Unsere emotionale und narrative Anpassungsfähigkeit kommt an Grenzen. Der Mensch entfremdet sich von der Welt, wendet sich ab oder einfachen Erzählungen zu, in denen das eigene Leben irgendwie noch Sinn ergeben kann. Es sind also nicht allein und nicht nur technologische Veränderungen oder Ressourcenengpässe, die Krisen auslösen, sondern die Unfähigkeit, das eigene Leben und die Gesellschaft anders zu denken und zu leben. Das hat auch gesellschaftliche Konsequenzen, denn wird das "Wir im Ich" porös, so gefährdet es umgedreht das gesellschaftliche Miteinander.

mehr:
- Erosion der Ordnung: In schwindel-erregender Gesellschaft (Gastbeitrag von Martin Kolmar und Thomas Beschorner, Universität St. Gallen, SPON, 14.01.2018)

mein Kommentar:
Ich frage mich, ob wir überhaupt jemals hinterher gekommen sind.
In einer sich beschleunigenden Welt ist Verlässlichkeit wichtig.
Die Menschen benötigen Vertrauen in die Gesellschaft, in der sie leben.
Und wenn die Geschichten, die sie erzählt bekommen, sich als falsch oder »gefärbt« erweisen, verlieren sie dieses Vertrauen.
Und wenn die Geschichten, die sie selbst erzählen wollen, nicht gehört werden, fühlen sie sich in dieser Gesellschaft nicht mehr aufgehoben.
Fake-News – auch staatlich verordnete – hat es schon immer gegeben. Sie konnten vor 50 Jahren mangels Internet nur noch nicht als solche entlarvt werden.
Die einseitige Ukraine-Berichterstattung in den Leitmedien war mein Anfang:
- Medien: intellektuelle Korrumpierbarkeit in Konfliktzeiten (Post, 06.02.2016)
- Deutsche glauben den Medien nicht (Post, 26.12.2014)
- Ukraine 20 – ARD-Programmbeirat bestätigt Publikumskritik (Post, 18.09.2014) 

Der Zustrom von Einwanderern, von denen viele traumatisiert sind und von denen sich viele nicht integrieren lassen, führte zur Pegida-Bewegung.
Der krampfhafte Versuch, Griechenland in ein wirtschaftlich hochdrehendes Europa zu integrieren, führte letztlich zu den Rettungsschirmen, was wiederum zur Gründung der AfD führte.
Beide, sowohl Pegida als auch AfD, wurden alsbald in die indiskutable Rechts-Außen-Ecke hineininterpretiert – und damit ein gesellschaftliches Redeverbot verhängt.
Die gesellschaftliche Stimmung fühlt sich seit Beginn der Ukraine-Krise so an, als befänden wir uns im Krieg oder kurz vor einer Katastrophe.
siehe dazu:
- Operation Northwoods (Wikipedia)
- Church Committee (Wikipedia)
- Tonkin-Zwischenfall (Wikipedia)